Herausragend: Den Klassiker „Die Möwe“ einmal auf den Kopf gestellt
„Vielleicht braucht man einfach mal neue Formen!“, und „Es wird doch immer das Gleiche aufgeführt!“, ruft Kostja zugleich verzweifelt und enthusiastisch. Genau diese Reibung zwischen Frust und Mut bestimmt allzu oft den künstlerischen Prozess – und das Aufbegehren der Jugend gegen das verknöcherte Establishment. Selbst oder gerade weil es sich dabei um die eigene Mutter handelt …
Regisseurin Charlotte Sprenger nimmt sich im Thalia in der Gaußstraße den Theater-Evergreen „Die Möwe“ vor und bastelt aus dem immer gleichen Tschechow-Stoff ein ganz neues, überraschendes und unterhaltsames Stück. Die Form folgt hier der Funktion, nämlich das Nachdenken über kreative Prozesse. Den ewig bedrückten Schriftsteller Treplev ersetzt sie mit der jungen Filmregisseurin Kostja (Anna Maria Köllner).
Die „Möwe“ erleidet einen emotionalen Knockout
Die – und jetzt wird es ein bisschen kompliziert – dreht die „Möwe“ im Vorraum der Gaußstraße, während sich auf der Bühne die Gesellschaft beim Federballspiel die Langweile vertreibt. Mutter Arkadina, die berühmte Schauspielerin (Viktoria Trauttmansdorff), geizt nicht mit Kritik an den Versuchen Kostjas, neue Ideen zu entwickeln. Derweil ist Kostja (wie Treplev in der Vorlage) heftig verliebt in Nina (Pauline Renevier), die sich aber vom Ruhm des Autors Trigorin (Merlin Sandmeyer) bezirzen lässt. Der tragische Verlauf ist vorgezeichnet.
Kostja als Möwe – in einer herrlichen Szene mit Köllner in einem Flugdrachen-Kostüm – hat schließlich doch künstlerischen Erfolg, aber erleidet den menschlich-emotionalen Knockout.
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Durch das vertrackte Spiel mit den Ebenen („neue Formen“!) ist das Stück keine Minute langweilig, das Federball-Feld und die tollen Kostüme (Aleksandra Pavlović) sind ästhetische Augenweiden. Und das Spiel aller Darsteller:innen? Herausragend! Diese „Möwe“ erleidet wirklich keine Bruchlandung.
Thalia in der Gaußstraße: 26.4., 6./7.5., 20 Uhr, 28 Euro, Tel. 32814444, thalia-theater.de

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