Bob Dylan in Flensburg: Ein Konzert wie ein Mantra – und ein paar deutsche Worte
Dass Bob Dylan nicht zu den Künstlern gehört, die gerne Erwartungen des Publikums erfüllen, weiß man seit fast 60 Jahren. Fast jeder kennt die Geschichte, wie sich der einstige Folk-Barde 1965 auf dem Newport-Festival elektrifizierte und mit den neuen Versionen seiner Songs die alteingesessenen Hüter der lagerfeuerkompatiblen, amerikanischen Singer-Songwriter-Tradition erzürnte und vor den Kopf stieß. Am Sonntagabend erwischten die Fans beim Konzert in Flensburg einen der eher besseren Tage des Superstars, der sogar ein paar warme Worte auf Deutsch verlor.
Bei YouTube immer noch gerne geklickt: Der Clip von den Video-Aufnahmen zu „We are the World“, wo die vereinte Pop-Prominenz um Michael Jackson & Co. im Kollektiv innbrünstig zum Playback trällert, während die Nahaufnahme Dylan einfängt, das Gesicht eingefroren, der Mund zu einem belanglosen Murmeln geformt und in den Augen erkennbare Fluchtgedanken. Oder die Sache mit dem Literaturnobelpreis, der Dylan nicht besonders juckte und er die Verleihung in Oslo einfach schwänzte. Ganz so, als wäre die berühmte Textzeile „There must be some kind of way out of here” (aus dem Song „All Along The Watchtower”) seit jeher der Grundsatz seines künstlerischen Daseins.
- Deutsch (Deutschland)
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Dass Bob Dylan nicht zu den Künstlern gehört, die gerne Erwartungen des Publikums erfüllen, weiß man seit fast 60 Jahren. Fast jeder kennt die Geschichte, wie sich der einstige Folk-Barde 1965 auf dem Newport-Festival elektrifizierte und mit den neuen Versionen seiner Songs die alteingesessenen Hüter der lagerfeuerkompatiblen, amerikanischen Singer-Songwriter-Tradition erzürnte und vor den Kopf stieß. Am Sonntagabend erwischten die Fans beim Konzert in Flensburg einen der eher besseren Tage des Superstars, der sogar ein paar warme Worte auf Deutsch verlor.
Bei YouTube immer noch gerne geklickt: Der Clip von den Video-Aufnahmen zu „We are the World“, wo die vereinte Pop-Prominenz um Michael Jackson & Co. im Kollektiv innbrünstig zum Playback trällert, während die Nahaufnahme Dylan einfängt, das Gesicht eingefroren, der Mund zu einem belanglosen Murmeln geformt und in den Augen erkennbare Fluchtgedanken. Oder die Sache mit dem Literaturnobelpreis, der Dylan nicht besonders juckte und er die Verleihung in Oslo einfach schwänzte. Ganz so, als wäre die berühmte Textzeile „There must be some kind of way out of here” (aus dem Song „All Along The Watchtower”) seit jeher der Grundsatz seines künstlerischen Daseins.
Bob Dylan auf Deutschland-Tour: Keine Handyfotos erlaubt
Das Unerwartbare als Leitmotiv: Die doch eher ungewöhnlichen Stopps seiner Deutschland-Tour (Flensburg, Magdeburg, Krefeld – okay, und Berlin) passen da ins Bild. Oder auch nicht ins (selbst gemachte) Bild, denn Handyfotos und auch das Mitbringen von Smartphones war am Sonntagabend in der Flensburger Flens-Arena untersagt, was Dylan-Fans aber bereits in ähnlicher Form aus der Vergangenheit kennen. Diejenigen, die doch ihr Handy dabei hatten, mussten dieses in einen präparierten Kunststoffbeutel legen, der für die Konzertdauer mechanisch verriegelt wurde. Solche kauzigen Mätzchen gehören seit jeher dazu und werden höflich geduldet, auch wenn solches Gebaren natürlich diskutabel ist. Der 81-Jährige ist im Vergleich zu anderen noch lebenden musikalischen Urgesteinen wie Paul McCartney oder den Rolling Stones eben alles andere als ein Entertainer der großen Schauwerte. Auch dass ein Bob-Dylan-Konzert seit Jahrzehnten ohne Pressefotografen und die größten Hits auskommt, haben seine Fans als stillschweigendes Agreement angenommen.
Flensburg: Fans bekamen den „Handwerker“ Dylan zu sehen
Wer an diesem Abend auf noch mehr Überraschungen hoffte, bekam doch eher den „Handwerker“ Dylan zu sehen, als den Künstler. Auf der bis 2024 andauernden „Rough and Rowdy Ways“-Tour geht er pünktlich auf die Bühne und spielt allabendlich die gleiche Setlist, vorrangig mit Songs aus dem gleichnamigen Album. Etwa die bluesigen „Crossing The Rubicon“ und „False Prophet“, das schwelgerische „I Contain Multitudes“ oder das zarte „Black Rider“. Zur Eröffnung gab es aber „Watching the River Flow“, jenen Song von 1971, der Dylan aus seiner damaligen Schreibblockade befreite und für ihn einen neuen Sound begründete, weg vom schwergewichtigen politischen Protestsong, rein in die federleichten Beobachtungen alltäglicher Dinge. Der älteste Song folgte an diesem Abend gleich darauf, „Most Likely You’ll Go Your Way And I’ll Go Mine“ vom Album „Blonde on Blonde“ aus dem Jahr 1966.
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Um den 81-jährigen Dylan überhaupt auf der Bühne erkennen zu können, musste man zu Beginn des Konzerts zweimal hinschauen. Ein musikalischer Gigant, körperlich aber eher überschaubar, versteckte er sich für die kommenden 90 Minuten hinter seinem schwarzen Piano, das mit der Rückseite zum Publikum ausgerichtet war. Dahinter, meistens stehend, manchmal sitzend, der Star des Abends, ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet, zudem das Haar dunkel gefärbt. Den Bühnenhintergrund zierte ein grauer Vorhang in goldenem Licht, der Fußboden erstrahlte komplett mit transparentem Licht in Weiß.
Konzerte von Bob Dylan sind wie ein Mantra
Sollte es unter den Zuschauern, von denen viele aus Dänemark kamen, einige gegeben haben, die anfänglich enttäuscht gewesen sein könnten, ob der monotonen Darbietung, so wich dieses Gefühl doch schnell einer Erkenntnis: Konzerte von Bob Dylan sind wie ein Mantra, ein gleichförmiger Strom, in die er die großen Themen des Lebens um Liebe, Tod, Teufel und Erlösung eingießt. Dass die Fans einen seiner besseren Tage erwischt hatten, wurde spätestens zur Mitte des Konzerts klar, als sich Dylan mit den Worten „Danke, Flensburg. Lauter gute Leute hier“ (auf Deutsch!) bedankte.
All die Widersprüchlich- und Vielseitigkeit im Wesen von Bob Dylan ist in vielen seiner Songs verankert. In seinen jüngeren Songs sollte man aus „I Contain Multitudes“ zitieren, darin heißt es: „All the queens from my past lives / I carry four pistols and two large knives / I‘m a man of contradictions and a man of many moods / I contain multitudes”. Man kann sich nur glücklich schätzen, dass man zur gleichen Zeitspanne wie dieser launische Eigenbrötler lebt.