Fettes Brot: „Der beste Band-Abschied aller Zeiten“
Bald ist die letzte Scheibe von Fettes Brot aufgegessen: Wenn die Band am 3. September ihr restlos ausverkauftes eigenes Festival „Brotstock“ auf der Trabrennbahn hinter sich hat, ist nach 30 Jahren Schluss. MOPOP traf sich mit König Boris, Dokter Renz und Björn Beton in ihrem Büro auf St. Pauli, um bei Pfefferminztee und mit lachendem und weinendem Auge über den „besten Band-Abschied aller Zeiten“ zu sprechen.
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Bald ist die letzte Scheibe von Fettes Brot aufgegessen: Wenn die Band am 3. September ihr restlos ausverkauftes eigenes Festival „Brotstock“ auf der Trabrennbahn hinter sich hat, ist nach 30 Jahren Schluss. MOPOP traf sich mit König Boris, Dokter Renz und Björn Beton in ihrem Büro auf St. Pauli, um bei Pfefferminztee und mit lachendem und weinendem Auge über den „besten Band-Abschied aller Zeiten“ zu sprechen.
MOPOP: Warum macht ihr Schluss?
Dokter Renz: Über das Warum haben wir uns gar keine Gedanken gemacht. Wir machen’s einfach. Man kommt ja manchmal an so einen Punkt, wo man sein Werk anguckt und sich fragt: „Was haben wir denn jetzt schon alles erzählt?“ Und das ist eine ganze Menge. Wir sind sehr zufrieden mit allen Liedern, die wir veröffentlicht haben. Bis auf drei – aber wir sagen nicht, welche das sind. (lacht) „30 Jahre Fettes Brot“ klingt so werkumkreisend, dass wir ein Gefühl von einer Auserzähltheit unserer Geschichte hatten. Und dann haben wir uns gefragt: Was könnte der nächste große Pop-Moment bei uns sein? Und das Ergebnis ist, Fettes Brot zu beenden. Das hat natürlich traurige, aber auch sehr schöne Anteile. Deswegen möchten wir die Menschen schluchzend in den bunten New-Orleans-Abschiedszeremonie-Zug einladen und sagen: Hier, das wird noch mal richtig wild, heiß und ein großes Fest!
Viele finden diese Entscheidung sicher gar nicht schön.
Björn Beton: Ja, klar. Aber wir müssen da jetzt auch mal ganz egomäßig sein: Für uns ist das schön! Nach 30 Jahren können wir mal andere Dinge tun. Eine Tür geht zu, eine andere geht auf – und da steckt Schönheit drin. Natürlich wird es für uns das ganze Jahr auch ums traurige Abschiednehmen gehen. Ich weiß auch noch nicht, wie sich das am 1. und 2. September anfühlen wird. Aber wir haben ja davor die Tour, um uns an dieses Gefühl zu gewöhnen.
König Boris: Uns gefällt auch, dass wir unseren Abschied komplett selbst gestalten. Er passiert nicht einfach, versickert oder irgendeiner kippt tot um. Wir machen das bewussten Auges. So was gab es noch nicht so oft, dass Bands das Ende so offensiv zelebriert haben. Wir hoffen, das bleibt den Leuten in Erinnerung.
Björn Beton: Und ich sage auch immer: Die Gründe fürs Ende, die unsere Fans im Kopf haben, stimmen alle irgendwie. Da kann sich jeder eigene Gedanken machen, warum eine Band nach 30 Jahren Freundschaft und Leidenschaft aufhört.
König Boris: Die Idee aufzuhören hatten wir ja auch schon öfter. Wenn einem nichts Vernünftiges mehr einfällt, ist es auf jeden Fall besser, das so zu machen. Aber oft genug haben wir auch gesagt: „Nö! Jetzt machen wir noch mal.“ Dieses Mal ist es anders.
Bedeutet „auserzählt“, dass ihr auch in Songs nichts mehr zu erzählen habt?
Dokter Renz: Nein, aber Fettes Brot gibt ja auch einen gewissen Rahmen vor. Obwohl wir eine der Bands sind, die sich sehr häufig in neuer Kostümierung wiedererfunden hat. Ich fand uns immer sehr wandlungsfähig. Wenn man sich unsere „Hitstory“ auf den Plattenspieler legt, merkt man, dass da sehr viele unterschiedliche Lieder drauf sind. Und das waren alles Hits, krass! Das hätten auch mehrere Bands sein können. Aber nun genug des Eigenlobs. Wir haben alle drei individuell noch sehr viel musikalische Kreativität in uns. Wir sind alle drei offenbar Künstler-Typen – das war am Anfang ja noch keine wissentliche Entscheidung. Wir sind in unser liebstes Hobby reingetrudelt und konnten damit auf einmal Geld verdienen. Ein großes Glück! Ich für meinen Teil habe noch viele musikalische Ideen, aber als Gruppen-Erlebnis haben wir uns schon recht breit ausgedrückt.
Gab es einen bestimmten Auslöser oder Zeitpunkt fürs Schlussmachen?
König Boris: Solche Sachen sind immer Entwicklungen, ich könnte jetzt kein Datum nennen. Die Idee stand im Raum, wir haben miteinander gerungen, nachgedacht, gesprochen, Abstand gehabt und wieder neu drüber geredet. Irgendwann hat es sich dann herauskristallisiert. Und die Idee mit diesem besonderen Ende hat auch alles einfacher gemacht.
Dokter Renz: Unser Ziel war immer: der beste Band-Abschied aller Zeiten. Nicht weniger ist unser Anspruch.
Björn Beton: Corona war bestimmt auch ein Katalysator. Die Zeit der Pandemie war für die ganze Welt ja eine besondere. Und viele haben einfach mal die Reset-Taste gedrückt und geguckt, was eigentlich passiert. So war es bei uns auch. Alles Schlechte der Pandemie barg auch die Chance in sich, etwas Gutes daraus zu machen. Vor der Verkündung des Endes hatte ich dann wirklich Bammel und habe mich deswegen extra an dem Wochenende in Barcelona verkrochen. Die Reaktionen habe ich mir nur häppchenweise angesehen. Viele haben geschrieben, dass sie weinen mussten. Ich dachte nur: Ist das nicht übertrieben? Aber die meinten das wirklich ernst. Wir werden ihnen fehlen. Da hatte ich dann wieder die Erkenntnis, dass wir ganz viele tolle und respektvolle Fans haben. Klar sind die traurig, aber es kamen keine Hasskommentare. Wenn es so ist, dass jede Band die Fans bekommt, die sie verdient, dann haben wir ganz viel richtig gemacht.
Wie ist euer Verhältnis? Beste Freunde? Altes Ehepaar? Hat die Beziehung über die Jahre gelitten?
Dokter Renz: Müssen nicht zwei – in unserem Fall drei – Personen alles sein? Lover? Best Friend? Psychologe? Weggefährte? Das ist ja auch häufig das Problem in Liebesbeziehungen: Man stellt sich zu viel für den anderen vor. Aber es gibt so viele unterschiedliche tolle Menschen. Keiner von uns ist eifersüchtig, wenn die Kollegen nun auch mal mit anderen Menschen Abenteuer erleben. Eigentlich ist die Frage ja: Schlaft ihr noch miteinander?
Björn Beton: Im Nightliner.
Dokter Renz: Fühlt es sich noch so an wie beim ersten Mal? Nein!
König Boris: Wir verstehen uns aber noch so gut, dass wir so einen Abschied hinlegen können. Die meisten schaffen das nicht. Das ist für uns ein großer Erfolg. Natürlich ändern sich Beziehungen. Das sind ja Wellenbewegungen. Keine Beziehung bleibt gleich. Mal ist man sich näher, mal geht man weiter auseinander, um sich dann wieder aufeinander zuzubewegen. In 30 Jahren ist viel Platz für Entwicklung.
Dokter Renz: Abschiednehmen fühlt sich mit euch so schön an, dass ich manchmal denke: Da könnte man noch mal mehr draus machen. Aber dieses Mal ist es endgültig.
Björn Beton: Es ist kein Trick, um mehr Platten und Tickets zu verkaufen. Lustig, dass die Leute uns für solche Scherzkekse halten. Wir machen Witze, aber keine Witze mit euren Gefühlen.
Was würden die alten Brote den jungen raten?
König Boris: Renn so schnell du kannst! Oder: Leugne nichts, lächle nur!
Björn Beton: Nichts läge mir ferner, meinem jungen Ich irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Ich hätte sie sowieso nicht angenommen von so einem alten Knacker. Ich hätte das als Borniertheit, Besserwisserei oder komische Selbstgefälligkeit à la „Was weißt du schon vom Leben?“ empfunden. Ich würde nichts sagen, sondern einfach: „Mach deine Erfahrungen, go!“
Wird es euch schwerfallen, nicht mehr im Rampenlicht zu stehen?
König Boris: Das wissen wir ja noch nicht. Es kann ja auch sein, dass einer noch viel mehr im Rampenlicht steht, weil er Bundeskanzler wird.
Björn Beton: Genau! Danke Boris, jetzt hast du es verraten!
König Boris: Unsere Fressen sind ja tatsächlich seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit. Deswegen wird es wohl nicht passieren, dass wir, wenn wir im September unsere letzten Konzerte gespielt haben, nicht mehr erkannt und angesprochen werden. Vielleicht läuft das aus oder es bleibt so, weil wir weiter kreative Sachen machen, mit denen wir in der Öffentlichkeit stehen. Das wird sich alles noch zeigen.
Dokter Renz: Es kann aber durchaus sein, dass uns das auch fehlen wird – die Verlockungen, die von einer wohlwollenden Öffentlichkeit ausgehen, die sich immer die Hände reibt und fragt: Was kommt als nächstes von euch? Wir sind mit dieser positiven Erwartungshaltung verwöhnt worden – warum auch immer die Glücksfee uns für so ein Leben auserwählt hat. Es kann schon sein, dass man quasi auf dieser Droge hängenbleibt und denkt: Okay, alles, was ich anfasse, wird zu Gold und die Leute lieben meinen Scheiß.
König Boris: Es gab aber auch Schattenseiten. Wir wurden ja nicht immer nur geliebt. Wir haben auf jeden Fall auch lernen müssen, mit Ablehnung umzugehen.
Björn Beton: Was auf jeden Fall wegfällt, ist der direkte Kontakt zu unserem Publikum. Die Leute zahlen Eintritt, wir spielen unsere Songs und sie klatschen, weil es ihnen so gefällt. Mal sehen, wie sich das anfühlt, wenn es nicht mehr passiert.
Dokter Renz: Die größte Umstellung dürfte sein, dass wir uns unsere Unterwäsche selbst kaufen müssen. Die wird ja immer von ekstatischen Fans auf die Bühne geschmissen.
König Boris: Dokter Renz hat auf jeden Fall eine beeindruckende BH-Sammlung.
Wie kamt ihr auf die Idee, euer eigenes „Brotstock“ zu veranstalten?
Björn Beton: Als wir die Tour bekannt gegeben haben, wussten wir noch gar nicht so genau, was wir in Hamburg machen. Klar war nur, dass wir in der Heimat noch mal richtig auf die Kacke hauen wollten. Und dann haben wir in einem Anflug von Größenwahn zwei Mal die Trabrennbahn gebucht. Dass wir in sieben Stunden 50.000 Tickets verkaufen würden, hätten wir uns nicht erträumt. Und jetzt sind wir gerade immer noch dabei, uns zu überlegen, wie wir diese Abende füllen. Grob wissen wir das schon, aber wir werden das auf gar keinen Fall erzählen. Die Leute sollen sich überraschen lassen. Und es hat einen eigenen Namen bekommen, weil es sich schon von den anderen Tourshows unterscheiden wird.
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In sieben Stunden 50.000 Tickets zu verkaufen ist in diesen immer noch komischen Zeiten wirklich eine Hausnummer. Fühlte sich der Abschied deswegen dann nicht doch sehr mulmig an?
Dokter Renz: Es ist ja ein bisschen so, wie als wenn jemand stirbt. Auch wenn das ein makabrer Vergleich ist. Oft wird ja erst bei Grabreden die warme Dusche über den Verstorbenen ausgeschüttet. Und wir erzeugen durch den bewussten Schritt in den Ruhestand genau diesen Moment: Kommt noch einmal zusammen und lasst uns unser gemeinsames Schaffen feiern. Es hätte nichts Schöneres passieren können, dass so viele Leute uns noch mal sehen wollen. Aber das passiert natürlich auch nur, weil wir gesagt haben, wir hören wirklich auf. Viele Leute haben sich ja sonst durch Corona leider den regelmäßigen Konzertgang abgewöhnt, worunter die Kultur und alle, die nicht so einen Abschied wie wir im Köcher haben, sehr leiden. Deswegen wollen wir auch alle Menschen dazu aufrufen, wieder regelmäßig ins Molotow, Uebel & Gefährlich und andere Läden zu gehen. Das Live-Erlebnis ist so wichtig fürs Leben, aber viele haben es ersatzlos gestrichen. Nur das Großereignis funktioniert noch. Aber die Subkultur ist das, wo wir herkommen. Wir haben zum Beispiel in den ersten Jahren ganz oft im Husumer Speicher gespielt – so was möchten wir nicht missen. Das müssen sich alle ganz groß auf die Fahne schreiben: Konzerte gehören unbedingt zum Lebensglück dazu!
Was macht ihr, wenn am 3. September alles vorbei ist?
König Boris: Erst mal ausschlafen, denn wir werden sicher ein bisschen feiern. Und dann gehen wir essen, das haben wir uns vorgenommen. Und genau so weit sollte man auch nur in die Zukunft gucken. Natürlich hat jeder für die Zeit danach Ideen und Flausen im Kopf. Aber das ist nichts, was man groß im Vorwege in der Zeitung stehen haben will, weil man den Druck dadurch ja nicht unbedingt kleiner macht. Und man weiß ja auch oft selber nicht, ob man davon wirklich alles in die Tat umsetzen wird.
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Björn Beton: Wir sind einfach noch so im Hier und Jetzt mit den Proben und der Tour beschäftigt, dass wir noch gar nicht so recht an den 3. September denken.
Dokter Renz: Erst mal gilt es jetzt mit allen die Freude an der Noch-Existenz von Fettes Brot zu teilen. Und dann gucken wir uns das durch den Rückspiegel an.