Deichkind-Interview: Wie altert man als Popstar in Würde, „Kryptik Joe“?
Wie bleibt man über zwei Jahrzehnte im Pop-Geschäft relevant? Und frisch? Und kreativ? Philipp Grütering (48) hat mit Freunden aus Bergedorf vor Ewigkeiten eine Rap-Band gegründet. Heute ist er als „Kryptik Joe“ mit Deichkind höchst erfolgreich, füllt die größten Hallen und changiert zwischen stumpfem Stampf, schlauester Doppelbödigkeit, gewaltigen optischen Inszenierungen. Und das alles bleibt beständig überraschend wie eine Wundertüte. Wie geht das denn bitte?
Wie bleibt man über zwei Jahrzehnte im Pop-Geschäft relevant? Und frisch? Und kreativ? Philipp Grütering (48) hat mit Freunden aus Bergedorf vor Ewigkeiten eine Rap-Band gegründet. Heute ist er als „Kryptik Joe“ mit Deichkind höchst erfolgreich, füllt die größten Hallen und changiert zwischen stumpfem Stampf, schlauester Doppelbödigkeit, gewaltigen optischen Inszenierungen. Und das alles bleibt beständig überraschend wie eine Wundertüte. Wie geht das denn bitte?
MOPO: Deichkind – da ging’s immer auch um Ekstase und Rausch. Heute haben Sie drei Kinder und sind Ende 40. Bleibt da noch Platz für so was?
Philipp Grütering: Selten. Ich habe aufgehört Alkohol zu trinken. Nicht weil ich denke, dass ich ein Problem habe. Ich finde es interessant, davon abzulassen. Ich wohne seit mehr als 15 Jahren in Berlin, habe gefeiert. Das mal nüchtern zu erleben – spannend. Den Party-Rausch habe ich genossen, aber ich habe in der Corona-Zeit festgestellt, dass ich meine Zeit lieber anders investiere: Ich mag es sehr, tanzbare Musik zu machen.
Das muss sich ja nicht ausschließen …
Nee, aber gleichzeitig war das eh nie Thema.

„Kids in meinem Alter … essen Fleisch, konsumieren, kiffen mit CIS-Männern“. Auf Ihrem neuen Album gibt’s eine ruppig gerappte Abrechnung mit unserer Generation. Mal böse, mal liebevoll.
Liebevoll-skeptisch, quasi.
Und wie stehen sie unterm Strich nun da, die Kids in unserem Alter?
Schwierig zu sagen. Ist ja wie bei „den Rentnern“. Sind das alles graue Typen, die Windjacken anhaben? Nee. Im Text gibt es den engagierten Antifa-Typ und daneben den Frank-Thelen-Typ. Ein Riesen-Spektrum. Spannende Generation auf jeden Fall. Mit FDP-Typen, die auf Neoliberalismus pochen und „Freiheit“. Und daneben Leute, die solidarisch sind und verstehen, was „Fridays for Future“ machen.
Deichkind ist mal als reine Sauf- und Partyband angetreten. Sind Sie politischer geworden?
Ja. Nicht politisch engagiert, aber bewusster. Ich lese viel über Klimawandel, Ukraine. Wir haben uns mit der Pandemie auseinandergesetzt, mit Querdenkern, Rechtspopulismus, Arm und Reich. Ich wollte nie in eine Partei eintreten. Aber wir haben besprochen, dass man eine Verantwortung hat, sich zu äußern.
Früher hieß es, es gebe in der Band verschiedene Pole: Dinkels und Kapitalos. Ist das noch so?
Es ist dinkeliger geworden. Die Kapitalo-Fraktion war sehr stark am Anfang. Zu Remmidemmi-Zeiten. Und noch bei „Arbeit nervt“. Dieses: „Fuck off, wir machen das jetzt. Jägermeister-Deal? Klar! Wir sind diese Fuck-off-Sauf-Band. Komm aufs Deichkind-Konzert, da kannst du dich gehen lassen.“ In der Zeit haben wir manchmal unser Publikum gesehen und gedacht: Oh, Shit. Das hat nicht mehr viel mit uns zu tun. Heute agieren wir nachhaltiger.
„Haltung zeigen“. Gibt’s da Erwartungen an Sie?
Vom Publikum? Weiß ich nicht. Ich habe über so was viel mit meiner Frau gesprochen. Die kommt aus Ostdeutschland, aus Sachsen-Anhalt, und ist feministisch sehr engagiert. Ich finde es wichtig, solche Themen gesamtgesellschaftlich zu denken, nicht nur egomäßig.
Da gab’s von Ihrer Frau Nachhilfe?
Da gibt’s viel Auseinandersetzung. Und wenn wir dann zusammenkommen, denke ich, oh cool, dass ich weiterkomme im Leben. Und nicht nur grumpy werde und sage: „Ich will mein Auto fahren und will jetzt Burger essen!“
Vielen fällt der Abschied vom unbeschwerten Konsum schwer …
Ja. Eine Bekannte, etwa 80, die macht jetzt eine Kreuzfahrt – kein Thema für sie. Ich denke dann, okay, ich will da jetzt nicht moralisieren. Aber so gar nicht empfänglich für gesellschaftliche Problemlagen zu sein, das finde ich enttäuschend.
Sind in der Corona-Zeit Beziehungen in Ihrem Umfeld an solchen Grundsatzfragen kaputtgegangen?
Ich bin mit einigen Leuten sehr krass aneinandergeraten. Aber auch ich war da in einem Tunnel. Impfen. Und dieser soldatische Solidaritätsgedanke. Dieses: „Das müssen wir jetzt alle machen, sonst geht die Welt unter!“ Es war eine Angst-Zeit, von beiden Seiten. Da knallten Welten aufeinander, die vor der Pandemie nicht sichtbar waren.
Pragmatismus und Rücksicht?
Ich habe wohl Leute unnötig gekränkt, indem ich gesagt habe, dass das Ego-Scheiße ist. Es ist eher eine andere Argumentations-Ebene, es sind bei ihnen andere Ängste und Gefühle.
Wie altert man in Würde? Als Band und persönlich?
Aufs Gefühl achten. Sehen, wie der andere die Band sieht. Kann mühselig und nervig sein. Aber dass nicht einer durchbrettert und die anderen nur noch sagen: „Ja, okay, dann mach ich das für Geld. Ich dreh mich jetzt kurz auf und der Rest ist mir scheißegal.“ Und ich hab gelernt: Es bringt nichts, Dinge nicht zu sagen, weil der andere das nicht gut findet. Man muss es trotzdem tun. Und dann gemeinsam eine Lösung finden für einen konstruktiven Prozess.
Deichkind sind oft voll auf die 12. Parallel tiefgründig. Visuell spektakulär. Das ist inzwischen Kunst, oder?
Klingt hochtrabend, da rümpf ich ein bisschen die Nase. Damals bin ich dafür jedenfalls nicht angetreten. Ist aber ein spannender Gedanke. Ein bisschen wie bei „Mon Chéri“. Als Kind habe ich da reingebissen und dachte: Was ist das denn? Mittlerweile denk ich: Schmeckt eigentlich ganz gut.

Und wie viel ist Kommerz?
Ich genieße es immer mehr, die Marketing-Abteilung mal zur Seite schieben, dieses: „Ein Song muss ein Hit sein!“ Eher dem Gefühl folgen, fragen: Was interessiert mich? Was findet die Gruppe gut? Was macht uns aus? Früher habe ich oft geguckt, was meine neoliberale Peer-Group denkt. Wie gefällt’s meinem Schwager? Das war auch sportliche Herausforderung.
Alle ins Boot zu bekommen?
Ja. Und: Ich wollte häufig dazugehören. Aber es geht mir besser, wenn wir so was machen wie den für uns ungewöhnlichen Song „In der Natur“. Da denke ich zwar: Oh, Shit, wie kommt das jetzt an? Und manche Leute finden das dann auch strange. Aber andere eben gut. Und dann kommt man mit sich in Kontakt.
Lust am Risiko fällt leichter, wenn man finanziell gut dasteht …
Klar. Ich habe zwar immer noch irrationale Existenzängste, obwohl es mir wirtschaftlich wahnsinnig gut geht. Aber ich kann heute mehr wollen, als nur mehr zu verdienen.
Vielleicht wird’s ja dadurch gerade wirtschaftlich erfolgreich. Weil man loslässt und frisch bleibt.
Ich hab lange dafür gearbeitet, mir alles leisten zu können. Aber das ist es nicht! Man merkt: Der Klick bei Amazon, da fühlst du dich kurz gut. Dann hast du das. Und dann? Es gibt andere Dinge, die wichtiger sind.
Kinder?
Ja, auch. Aber etwa die Pflege-Berufe. Ich hab früher Zivildienst gemacht …
Wo denn?
Schwerstbehindertenbetreuung in Altengamme. Ich fand das gut! Aber ich dachte damals: Wie kann man diese Arbeit für so wenig Geld machen? Aber diese Leute bekommen von den Leuten, die gepflegt werden, eine ganz andere Wertschätzung und Dankbarkeit. Das ist ein ganz anderer Wert, als sich eine neue JBL-Box zu kaufen. Oder abzufeiern, was man materiell hat.
Mehr Geld hätten die Leute für diese Arbeit natürlich trotzdem verdient. Und Sie versuchen sich mit Ihrer Musik zumindest an einer Art Seelenpflege.
Ja, so könnte ich mir das schönreden. (lacht)
Das aktuelle Deichkind-Album „Neues vom Dauerzustand” ist bei Sultan Günther Music erschienen, am 26.8. spielen Deichkind auf der Trabrennbahn (20.30 Uhr, Tickets ab 60 Euro).