„Kann der alte Sack endlich aufhören?“: Das macht Peter Urban nach seinem ESC-Finale
Die Stimme von Peter Urban kennen fast alle: Seit 25 Jahren kommentiert er den Eurovision Song Contest – doch das Finale am 13. Mai in Liverpool wird sein letztes sein: Urban geht in ESC-Rente. Die MOPO hat mit dem Musikjournalisten über seine vor Kurzem veröffentlichte Autobiographie „On Air“, über Betrugsvorwürfe gegen den NDR und über Helene Fischer als Teilnehmerin für Deutschland beim ESC gesprochen.
Die Stimme von Peter Urban (75) kennen fast alle: Seit 25 Jahren kommentiert er den Eurovision Song Contest – doch das Finale am 13. Mai in Liverpool wird sein letztes sein: Urban geht in ESC-Rente. Die MOPO hat mit dem Musikjournalisten über seine vor Kurzem veröffentlichte Autobiografie „On Air“, über Betrugsvorwürfe gegen den NDR und über Helene Fischer als Teilnehmerin für Deutschland beim ESC gesprochen.
MOPO: Herr Urban, Sie hören nach 25 Jahren freiwillig auf, den ESC zu kommentieren: Kopf- oder Bauch-Entscheidung?
Peter Urban: Eine Mischung. Mir ist während des Schreibens des Buches aufgefallen, dass ich mehr als ein Drittel meines Lebens mit dem ESC verbracht habe. Da dachte ich: „Wow, das ist schon lang.“ Und bevor vermehrt Stimmen aufkommen, die sagen „Kann der alte Sack endlich mal aufhören?“, mache ich das lieber jetzt.
Deutschland hat beim ESC in den vergangenen Jahren regelmäßig einen der hintersten Plätze belegt. Woran liegt das?
Plattenfirmen haben einen Beitrag mit Künstlern gemeldet, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Da gab es nie eine richtige Überzeugung. Wir brauchen gestandene Musiker.
Zum Beispiel Helene Fischer, um einen Show-Superstar aus Deutschland zu nennen?
Helene Fischer ist eine blendende Sängerin – mit dem passenden Song, wer weiß das schon? Aber ich glaube, dass für klassische Pop-Songs Englisch die bessere Sprache ist.

Was macht einen guten ESC-Beitrag aus?
Der Song muss besonders sein: Ein Lied, das ans Herz geht. Der ESC wandelt sich gerade, er ist offen für besondere Musikstile. Deswegen gefällt mir in diesem Jahr auch unser Beitrag so gut: Er ist visuell auffällig und auch der Sound ist besonders.
In Ihren Kommentaren im ESC-Finale wird ja auch immer Ihre persönliche Meinung deutlich.
Ist das so klar? Ja, stimmt schon. Wenn ich etwas besonders gut finde, dann sage ich das auch. Aber nur in der kurzen Abmoderation. Ich finde, das kann man auch machen, ohne die Leute zu beeinflussen. Ich habe ein Mal den Fehler gemacht, meine Meinung vor dem Song zu sagen. Das war falsch. Das würde ich nie wieder machen.
Eine ganze Generation kennt keine andere Stimme als Ihre beim ESC.
Das wird mir aber jetzt erst so richtig bewusst. Ich gehe in den Supermarkt und die Kassiererin sagt: „Sie können doch nicht einfach aufhören.“ Das ist schon wirklich bewegend und schmeichelt einem natürlich. Aber es gibt auch andere Probleme in der Welt.

Was macht den ESC für Sie so besonders?
Das ist ein einmaliges Event. Ein Mal im Jahr ist das eine wunderbare Sache. Solche Fernsehereignisse gibt es ja selten, wo noch alle gemeinsam etwas gucken. Das ist ein tolles Gefühl, wenn die Leute dann zusammen beim Public Viewing, in Kneipen oder auf Partys den ESC schauen.
Apropos Public Viewing: In diesem Jahr finden die großen ESC-Partys nicht mehr auf der Reeperbahn statt, sondern werden in einem Fernsehstudio in Liverpool produziert. Ausgerechnet in einem Jahr, in dem eine Band aus St. Pauli für Deutschland antritt. Was halten Sie davon?
Doof, oder? Ich finde das schon schade. Die Gründe weiß ich nicht, damit habe ich nichts zu tun.

Partysänger Ikke Hüftgold, der Zweitplatzierte beim Vorentscheid, hat letztens Betrugsvorwürfe gegen den NDR geäußert und auch Sie angegriffen, Ihren Rücktritt gefordert. Kränkt Sie das – gerade vor Ihrem letzten ESC?
Ehrlich gesagt interessiert mich das wenig. Der Vorentscheid ist vorbei. Seine Vorwürfe basieren dummerweise auf einem Artikel, in dem falsche Zitate enthalten waren, die ich nie so gesagt habe.
Ich darf doch wohl meine Meinung äußern und sagen: „Ich fahre lieber mit ,Lord of the Lost‘ nach Liverpool, als mit den anderen Bewerbern des Vorentscheids.“ Ich kommentiere nämlich lieber einen deutschen Beitrag, der international eine Chance hat, ein besseres Ergebnis zu erreichen.

Lassen Sie uns über Ihr Leben mit der Musik sprechen. Da spielt ja Hamburg eine entscheidende Rolle. Was bedeutet die Hansestadt für Sie?
Ich war als 16-Jähriger aus Quakenbrück einmal hier. Ich sah die Alster und dachte: „Wow, hier will ich hin.“ Meine Eltern wollten, dass ich in Münster studiere, aber mich zog es nach Hamburg. Ich wusste: Hier ist die Welt offener, hier ist die kulturelle Vielfalt viel größer. Ich habe in kleinen Clubs unfassbar viele Bands gesehen, zum Beispiel im Onkel Pö. Hamburg ist meine Heimat. Ich kann mir gar nicht vorstellen, in einer anderen Stadt zu leben. Ohne Hamburg wäre mein Weg ganz anders verlaufen. Ich wäre vermutlich Lehrer geworden – wie mein Vater.
Das Onkel Pö hat einen ganz besonderen Platz in Ihrem Herzen, oder?
Ja, das ist ein unglaublicher Club. In Europa war der einzigartig. In einem Raum für 250 Plätze konnte man Künstler sehen, die später weltberühmt wurden. Und auch ich und meine Band haben da gespielt, wir waren mit unserer Gruppe quasi die Hausband. Das war das blühende Nachtleben.
Trotz der Krise der Kultur-Branche durch die Corona-Pandemie: Würden Sie jungen Menschen raten, Musiker:in zu werden?
Wenn man die Leidenschaft hat, dann macht man das trotzdem. Aber: Es wird einem nicht einfach gemacht. Du musst ständig auf Tournee sein, um Tonträger zu verkaufen und um dich sichtbar zu machen. Um als Künstler in der heutigen Zeit zu überleben, musst du Opfer bringen.
Nach beinahe 75 Jahren mit Musik: Haben Sie manchmal auch das Gefühl, sich zu „überhören“ bei den Zigtausenden Songs, die Sie in Ihrem Leben gehört haben?
Ich kontrolliere das schon. In meiner Freizeit höre ich kaum Musik. Da schaue ich lieber fern oder Fußball. Wenn ich irgendwann keine Radiosendung mehr mache, dann ändert sich das vielleicht. Allerdings habe ich erst kürzlich wieder in alte Platten reingehört.
Haben Sie eine Plattensammlung zu Hause?
Ja, ich habe noch 2000 Platten. Früher hatte ich mal 13.000. Leider sind die nicht alphabetisch geordnet, der letzte Umzug hat alles durcheinandergebracht.
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Was machen Sie als ESC-Rentner? Mehr Zeit mit der Familie verbringen?
Auch, ja. Aber ich habe ja auch noch meine Radiosendung bei NDR 2 und meinen Podcast „Urban Pop“. Außerdem werde ich meine Frau bei ihrer Arbeit unterstützen. Sie hat eine Patisserie-Firma, spezialisiert auf zuckerreduzierte Küchlein, und will expandieren. Da werde ich dann helfen und öfter als Chauffeur zu sehen sein, um den Anhänger zu fahren. Backen werde ich nicht.