Sonja Anders

Sonja Anders, derzeit noch Intendantin am Schauspiel Hannover, folgt auf Joachim Lux, der das Thalia-Theater seit 16 Jahren leitet. Foto: STUDIO FABIAN HAMMERL

Neue Chefin des Thalia-Theaters: „Als Intendantin bin ich furchtlos“

Seit zwei Jahren bereitet sich Sonja Anders auf die größte Aufgabe ihrer Karriere vor: Ab September leitet sie als Chefin das Thalia-Theater. Für sie ein bekannter Ort – schon Anfang der 2000er arbeitete sie hier, damals unter der Intendanz von Ulrich Khuon. Im MOPO-Interview verrät sie ihre Pläne und spricht darüber, was man dem Hamburger Publikum zumuten kann und warum man manche Themen auch „durchkämpfen“ muss.

MOPO: Wie werden Sie nach 16 Jahren in Berlin und Hannover wieder im Thalia-Theater aufgenommen? 

Sonja Anders: Es ist total schön und sehr verrückt, wie viele Menschen über eine so lange, lange Zeit an diesem Haus arbeiten – in den Werkstätten, im Büro oder an der Kasse. Überall treffe ich Leute, die mich von früher kennen. Ich spüre ihre Liebe zum Beruf und ihren Stolz, am Thalia-Theater zu sein. Die Identifikation mit dem Haus ist sehr stark.

Wird Sie das Publikum genauso herzlich empfangen?

Wir haben unser Programm vorgestellt und gespürt, wie groß die Neugier und das Interesse bei unseren Abonnent:innen und den Förderern ist. Ich stoße auf viele offene Türen.

Das Leitungs-Team (v. l.): Chefdramaturgin Nora Khuon, Geschäftsführer Tom Till, Intendantin Sonja Anders, Oberspielleiterin Anne Lenk und Matthias Lilienthal, Leiter der „Lessingtage“ STUDIO FABIAN HAMMERL
Chefdramaturgin Nora Khuon, Geschäftsführer Tom Till, Intendantin Sonja Anders, Oberspielleiterin Anne Lenk und Matthias Lilienthal, Leiter der „Lessingtage“
Das Leitungs-Team (v. l.): Chefdramaturgin Nora Khuon, Geschäftsführer Tom Till, Intendantin Sonja Anders, Oberspielleiterin Anne Lenk und Matthias Lilienthal, Leiter der „Lessingtage“

Worauf achten Sie, wenn Sie das Spielzeitprogramm für eine Stadt wie Hamburg zusammenstellen?

Man muss sich auf die Stadt einlassen und überlegen, was sie auszeichnet. Ein Stück wie „Marschlande“ nach dem Roman von Jarka Kubsova ist natürlich ein Hamburg-Stoff. Aber unabhängig vom Lokalen spielen für uns die Grenzen, die sichtbar sind und die man trotzdem überschreiten kann, eine große Rolle. Im Team haben wir viel über Armut, Gleichheit und Herkunft gesprochen. Wir wollen die Stadt in ihrer Unterschiedlichkeit ansprechen. Und die Gefühle zeigen, die damit einhergehen.

Es heißt ja oft, das Hamburger Publikum sei schwierig …

Ich glaube, das ist wirklich Quatsch. Die Leute hier sind sehr aufgeschlossen gegenüber ungewöhnlichen Ästhetiken oder Themen, gerade auch die Älteren. Wir können ihnen also etwas zumuten. Ich glaube eher, dass sich gegenwärtig etwas ändert, vor allem was das nachwachsende Publikum angeht. Wir stellen eine gewisse Zukunftsangst fest.

Welche Eigenschaften muss eine gute Intendantin mitbringen?

Furchtlosigkeit. Loyalität gegenüber Künstler:innen und Mitarbeitenden – und ein Gespür für Themen, Ästhetik und vor allem fürs Publikum. Das hat sich massiv verändert. Früher war man manchmal beinahe stolz, wenn eine Aufführung leer war, weil das radikal erschien. Das hört sich heute völlig abstrus an. Volle Häuser sind heute ein so wichtiger Maßstab. Man verliert beinahe aus den Augen, dass öffentlich getragene Theater auch etwas wagen dürfen.

Aber Sie freuen sich doch über ein volles Haus?

Natürlich! Wir wollen das Ensemble nicht vor einem leeren Theater spielen lassen. Gleichzeitig – das meinte ich mit „furchtlos“ – müssen wir Themen, die auf der Straße liegen, für die Bühne manchmal durchkämpfen, auch gegen Widerstände des Publikums oder der Politik. Dafür sind wir auch da.

Das neue Ensemble besteht aus 18 bekannten und 18 neuen Gesichtern. Gibt es da eine Zauberformel?

Wichtig war uns, dass sich das Ensemble verändert, auch ein bisschen verjüngt. Themen wie Gerechtigkeit und Respekt sind mir dabei wichtig. Bei aller Künstler-Spleenigkeit muss der moralische Kompass stimmen. Wenn ich mir das Gesamt-Ensemble anschaue, ist es ein Puzzle aus unterschiedlichen Teilen, die ein tolles Bild ergeben. Dabei sind maximale Verschiedenheit und unterschiedliche Erfahrungshorizonte von Vorteil: Alter, Herkunft, Hautfarbe. Grundsätzlich sehne ich mich nach einer Spielweise, die durch Körperlichkeit, Leichtigkeit und Direktheit geprägt ist.

Sie haben angekündigt, dass das Thalia diverser und weiblicher werden soll. Wie gelingt das?

Schon das Ensemble ist jünger, weiblicher und vielfältiger. Und wir haben uns vorgenommen, dass wir sehr unterschiedliche Abende konzipieren. Die Menschen sind nicht darüber erreichbar, dass wir die Gegenwart nur reproduzieren, also Kriegserzählungen oder Stücke über Populisten bringen. Vielleicht sollten wir genau das Gegenteil tun, also die Menschen in ihrer Würde in den Vordergrund rücken und Liebe und Toleranz beleuchten. So regen wir dazu an, darüber nachzudenken, was die Werte unserer Demokratie sind und wie wir sie verteidigen können.

Haben Sie ein Beispiel?

„Die Wut, die bleibt“ etwa. In unserem Stück geht es um eine erschöpfte Mutter, die den Suizid wählt und ihre Angehörigen schockiert zurücklässt. Und um den Kampf für Veränderung. In Hannover, wo das Stück seit 2023 läuft, haben viele Männer, die in dieser Inszenierung waren, berichtet, sie hätten die Perspektive der Frau noch nie so radikal gesehen wie an diesem Abend. Und sie verstünden jetzt, was Feminismus meint. Das zeigt, was Theater bewirken kann.

„Die Wut, die bleibt“ gibt's jetzt schon in Hannover. Hamburg-Premiere ist am 15. Oktober Salzburger Festspiele / Kerstin Schomburg
Zwei Frauen sitzen lachend auf der Bühne
„Die Wut, die bleibt“ gibt’s jetzt schon in Hannover. Hamburg-Premiere ist am 15. Oktober

Mit Karin Beier im Schauspielhaus, Amelie Deuflhard auf Kampnagel und Ihnen hat Hamburg jetzt drei Intendantinnen an den Staatstheatern. Ist das Zufall?

Es sagt zumindest etwas über die Kulturpolitik aus. Sie ist neugierig und interessiert sich für gesellschaftliche Entwicklungen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand auf der Agenda hatte, unbedingt noch eine Frau zu holen. Sicher hat aber eine Rolle gespielt, wie gearbeitet wird und mit wem. Es ist für die Zukunft des Theaters elementar, die Strukturen des Betriebs mitzubetrachten. Kooperationen zwischen den Theatern werden immer wichtiger in Zeiten, in denen die Bedingungen nicht unbedingt besser werden. Und es geht um Nachhaltigkeit – und die liegt mir sehr am Herzen.

Das läuft in der ersten Spielzeit

Am 19. September beginnt am Alstertor eine neue Theater-Ära. Für die ersten Premieren der kommenden Spielzeit gibt’s jetzt schon Karten, mehr unter www.neu.thalia-theater.de.

Die erste Premiere – nach „Thalia Goes Open Air“ (12.-19.9.), einem Festival auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz in Zusammenarbeit mit unter anderem Stadtteilzentren – verantwortet die leitende Regisseurin Anne Lenk: die Shakespeare-Verwechslungskomödie „Was ihr wollt“. Zwei Tage später folgt „Marschlande“ nach dem Bestseller-Roman von Jarka Kubsova (Regie: Jorinde Dröse). Tom Kühnel geht in „Arendt. Denken in finsteren Zeiten“ dem Leben und Werk der großen jüdischen Philosophin auf den Grund (11.10.). Stets vor ausverkauftem Haus spielt in Hannover „Die Wut, die bleibt“, ab dem 15. Oktober auch in Hamburg. Im Thalia in der Gaußstraße eröffnet die Klaus-Mann-Dramatisierung „Frommer Tanz“ am 24. September, ab dem 17. Oktober ist dort mit „Die Verwandlung“ eine Kafka-Inszenierung zu sehen. Die Lessingtage finden 2026 vom 30. Januar bis zum 15. Februar statt, einmalig kuratiert von Matthias Lilienthal, der gerade zum neuen Intendanten der Volksbühne in Berlin berufen worden ist.

Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp
test