„Hamilton“ in Hamburg: Warum dieses Stück auch Musical-Muffel überzeugt
Vielleicht kennen Sie das: Kaum erzählt man, dass ein Musical-Besuch ansteht, sagt das Gegenüber reflexartig: „Ich mag keine Musicals.“ Ganz so als ließe sich von „Das Phantom der Oper“ bis „Kinky Boots“, von „Les Misérables“ bis „Rocky Horror Show“ und von „West Side Story“ bis „Rebecca“ alles über einen Kamm scheren. Dabei gibt es kompositorisch und inhaltlich große Unterschiede – und mit dem Stück „Hamilton“, das in Hamburg deutschsprachige Premiere feierte, muss der Begriff Musical nun ganz neu gedacht werden.
Vielleicht kennen Sie das: Kaum erzählt man, dass ein Musical-Besuch ansteht, sagt das Gegenüber reflexartig: „Ich mag keine Musicals.“ Ganz so als ließe sich von „Das Phantom der Oper“ bis „Kinky Boots“, von „Les Misérables“ bis „Rocky Horror Show“ und von „West Side Story“ bis „Rebecca“ alles über einen Kamm scheren. Dabei gibt es kompositorisch und inhaltlich große Unterschiede – und mit dem neuen Stück „Hamilton“ muss der Begriff Musical ohnehin neu gedacht werden.
Das mit elf Tony-Awards dekorierte Stück „Hamilton“ feierte am Donnerstagabend im Stage Operettenhaus am Spielbudenplatz deutschsprachige Erstaufführung – unter reichlich Jubel und im Beisein seines Schöpfers und Pulitzer-Preisträgers Lin-Manuel Miranda (42). Und dieses Musical ist wie gemacht für Leute, die keine Musicals mögen. Es ist wortgewaltig, cool, rhythmusstark, divers, herausfordernd, anspruchsvoll, gänzlich vom Kitsch befreit, und ja, es hat nicht mal ein Happy-End.

Die Enttäuschung darüber ist aber nicht groß, denn man erfährt es gleich zu Beginn. „Ich war sein Freund und erschoss ihn“, offenbart Conférenciers Aaron Burr, der später zu Hamiltons Erzfeind wird. Grandios verkörpert wird er von Gino Emnes, den Musical-Gänger schon durch Hauptrollen in „Rocky“ und „Kinky Boots“ kennen dürften.
„Hamilton“ feiert in Hamburg umjubelte Premiere
„Wie ist dein Name, Mann?“, fragt er in der ersten Szene. „Alexander Hamilton“ singt das Ensemble. Und schon steht Benét Monteiro auf der Bühne, der sich mit eher schmächtiger Statur eigentlich nicht unbedingt als Titelheld aufdrängt – in bisherigen Musical-Parametern gedacht. Aber sobald er gerappte Endlosreime vorträgt, traut man ihm all das zu, was dem mutigen und gewitzten Hamilton, einen der Gründerväter der USA, dessen Porträt bis heute die Zehn-US-Dollar-Note ziert, ausgemacht hat. Sowieso sind der Text und die Art des Vortrags der überragenden Cast der Star, die Story rückt da fast schon in den Hintergrund. Auch die Kulisse, eine Konstruktion aus Holztreppen mit herunterhängenden Seilen, bleibt den Abend über unverändert. Der Kopf des Zuschauers hat ja auch genug anderes zu verarbeiten.

Das Stück erzählt die Geschichte von Alexander Hamilton, der von einer Karibik-Insel immigriert ist und zum Adjutanten von George Washington wird. Hamilton heiratet in eine angesehene Familie ein, kämpft im Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten für die Freiheit, schreibt große Teile der amerikanischen Verfassung nieder und wird und schließlich erster Finanzminister der USA. Und sobald Monteiro alias Hamilton sich in Uniform aus dem 18. Jahrhundert Rap-Battles mit den politischen Gegnern liefert, wünscht man sich, im Bundestag ginge es ähnlich schlagfertig zur Sache.
„Hamilton“ in Hamburg: Gelungene Übersetzung der US-Hip-Hop-Songs
Vor der Premiere in Hamburg wurden immer wieder Zweifel laut, ob sich ein Stück wie „Hamilton“ mit Referenzen an US-HipHop-Songs überhaupt in die deutsche Sprache übertragen lasse. Die Antwort lautet: Ja. Kompliment an Musical-Autor und Liedtexter Kevin Schroeder und den Berliner Rapper Sera Finale, denen die Übersetzung gelungen ist. Im Vergleich zu anderen Musicals verlieren die Darsteller in „Hamilton“ mit rund 24.000 Wörtern in 47 Liedern mehr als doppelt so viele Worte – und keines davon wirkt einfach so dahingesagt. Kennern der HipHop-Szene dürften die Anlehnungen an Songs wie „Reimemonster“ von Afrob feat. Ferris MC und „Locker bleiben“ von den Fantastischen Vier auffallen.

Der Cast ist ethnisch divers besetzt. Mit Redchild, bürgerlich Alassane Jensen, findet sich einer der besten Freestyle-Rapper Hamburgs unter den drei Rebellen an Hamiltons Seite. Wenn die vier Herren bei „Ein Schuss“, das sich wie ein roter Faden durch das Stück zieht, über die Revolution rappen, befeuern sie sich gegenseitig zu Höchstleistungen. Immer wieder gibt es Zwischenapplaus. Der hohe Wortanteil geht allerdings auch zu Lasten der Emotionen. Es gibt zwar immer Szenenapplaus, aber der hohe Wortanteil geht auch etwas zu Lasten der Emotionen. „Weniger reden, mehr lächeln“ – manchmal wünscht man sich, die Musical-Macher hätten sich Aaron Burrs Ratschlag an Hamilton etwas mehr zu Herzen genommen.
„Hamilton“ in Hamburg hat das Zeug, das Publikum zu verjüngen
Der größte Gänsehaut-Moment der Show: Hamilton bittet seine Frau Eliza (gespielt von „The Voice of Germany“-Gewinnerin Ivy Quainoo) um Vergebung, während das Ensemble den sanften Pop-Chor gibt. Für absolute Lacher sorgen die Auftritte von King George, persifliert von Schauspieler Jan Kersjes im aufwendigen Königskostüm, der ein bisschen an den jungen Otto Waalkes erinnert. „Dann spiel‘ ich ein bisschen Krieg, dann haben wir uns wieder lieb“, ist seine Ansage an das Volk. Der Saal tobt.
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„Hamilton“ war in den USA ein Sensationserfolg und ist ein „Stück Revolution“, wie so oft zu lesen ist. Trotzdem ist es mutig, dass der Veranstalter Stage Entertainment es in Hamburg auf die Bühne gebracht hat. Doch dieses Musical hat auch in Deutschland das Zeug dazu, das Publikum zu verjüngen und neue Zielgruppen zu erschließen. So wird hoffentlich noch eine ganze Weile der Saal im Operettenhaus immer wieder toben.
Operettenhaus: Di-So, verschiedene Zeiten, ab 59,90 Euro