Hamburger Regisseur Fatih Akin: „Ich dachte, das ist easy – Pustekuchen!“
Fatih Akin (52) zählt zu den erfolgreichsten Regisseuren des Landes. 2004 wurde sein Drama „Gegen die Wand“ mit einem Goldenen Bären, dem Deutschen und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Mit „Aus dem Nichts“ legte er 2017 seinen bislang größten Erfolg vor (Golden Globe!). Nun kommt „Amrum“ in die Kinos: Die Geschichte basiert auf den Kindheitserinnerungen des Hamburger Schauspielers, Drehbuchautors, Regisseurs und Akin-Freunds und -Mentors Hark Bohm – und spielt im Frühjahr 1945, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Im MOPO-Interview spricht Akin über den Dreh, Druck in der Kino-Branche und sein nächstes großes Projekt.
MOPO: Herr Akin, das Grundthema des Films ist – grob vereinfacht: Der junge Held muss unbedingt Weißbrot mit Butter und Honig besorgen. Gilt diese Einfachheit auch für den Film selbst?
Fatih Akin: Dass der Film so einfach wie ein Weißbrot mit Butter und Honig sein sollte, das kam eigentlich von Laura Tonke. Als sie es sagte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte ursprünglich andere filmische Vorbilder im Kopf, auch eine andere visuelle Haltung. Ich wollte zum Beispiel die Kamera auf eine bestimmte Weise einsetzen, mehr in Richtung Terrence Malick, eher episch, poetisch. Aber als Laura das sagte, wusste ich: Das muss werden wie „A Summer Day“ von Edward Yang – der einfachste Film, den ich kenne, und einer der intensivsten. Seine Kraft kommt aus der Reduktion. Ich hatte von Anfang an zu Hark gesagt: „Man kann das große Ganze im Kleinen erzählen.“ Aber natürlich wächst im Laufe des Prozesses alles, wird größer, komplizierter.
Glauben Sie, dass das ein Trend ist – das Erzählen in der Reduktion?
Ob das jetzt ein Trend ist, weiß ich nicht. Aber es gibt immer wieder Filme, die aus dieser Einfachheit ihre Kraft beziehen. Für uns Europäer ist das eigentlich die sinnvollere Art, Filme zu machen, weil wir eben nicht die Budgets haben wie unsere transatlantischen Kollegen. Und wenn man sich Werke von Bergman oder Östlund anschaut, sieht man: Das hat es immer gegeben und wird es immer geben. Diese Art des Erzählens hat einfach Bestand. Auch weil sie wahrhaftiger ist.
Ein bisschen Terrence Malick ist aber doch drin – jedenfalls beim Licht.
Ja, beim Licht. Ich durfte wegen der schauspielenden Kinder nur drei Stunden am Tag drehen, konnte mir die Zeitfenster aber aussuchen. Ich habe gesagt: Lasst mich bitte nicht um acht Uhr morgens am Set rumstehen und dann um zwölf bei steiler Sonne irgendeinen Mist drehen. Lasst uns lieber um halb drei anfangen zu proben, um sieben Uhr abends kommen die Schauspieler, und wir drehen bis zehn. Das war dann die gute blaue Stunde nach dem weichen Gegenlicht. In Dänemark hat’s tagsüber geregnet, abends kam die Sonne raus. Das hat natürlich auch atmosphärisch eine Funktion. Und ja, ich hatte viele Vorbilder im Kopf, aber eben nicht diese flirrenden Kamerabewegungen, wie sie Malick benutzt.
Die Dynamik unter den Kindern erinnert auch an den Jugendfilmklassiker „Stand By Me“. War das ein Vorbild?
Ja, absolut. „Stand By Me“ ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme und ein echtes Vorbild für „Amrum“. Was die Amerikaner da können – dass Kinder die Protagonisten sind und es trotzdem auch ein Film für Erwachsene ist –, das finde ich großartig. Ich weiß nicht, ob das bei mir auch so aufgeht, ich glaube, mein Film ist eher etwas für Erwachsene. Aber ich wollte Kindern auch etwas geben, was sie anspricht. Alles, was ein bisschen gruselig ist, was sie herausfordert – das ist für die Kids im Publikum.

Man könnte es auch als kleine Hommage an Tarantino verstehen, der ja ein Fan von Ihnen ist – wie auch umgekehrt.
Nein, das ist keine Tarantino-Hommage. Zum Beispiel die Szene, in der das Kaninchen geschlachtet wird, stand so im Drehbuch. Ich dachte einfach, das muss man so drehen. Man muss sehen, wo das Fleisch herkommt, das wir heutzutage nur aus dem Supermarkt kennen. Es war mir wichtig, das zu zeigen – und auch, dass das abstößt. Meine Tochter hat die Szene gesehen und war verärgert. Und Diane Kruger sagte zu mir: Es ist gut, dass sie das ablehnt. Es zeigt, dass sie nicht abgestumpft ist. Das fand ich richtig.
Spielen Diane Kruger und Matthias Schweighöfer mit, damit die Finanziers zustimmen?
Also, das erste Mal, dass ich mit einem internationalen Star gearbeitet habe, war mit Diane – bei „Aus dem Nichts“. Davor hatte ich auch bekannte Leute, klar, aber „Aus dem Nichts“ hat Türen geöffnet, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Auf einmal war ich in einer ganz anderen Sphäre unterwegs. Heute ist das leider so: Wenn ein Film nicht schon am ersten Wochenende seine Zahlen macht, fliegt er aus dem Kino. Die Zeiten, in denen sich ein Film über Wochen entwickeln konnte, sind vorbei.
Aber warum dann ausgerechnet diese Stars: Kruger, Schweighöfer, Buck?
Diane ist eine fantastische Schauspielerin, mit der ich mich super verstehe. Wir haben uns wirklich gesucht und gefunden. Ich könnte jeden Film mit ihr machen. Es groovt. Und ja, sie ist berühmt – aber für sie bin ich so ein Arthouse-Typ, der sie herausfordert. Und Matthias? Wir kannten uns lange, aber haben jetzt zum ersten Mal zusammengearbeitet. Er will sich neu erfinden, andere Sachen machen. Und ich finde es spannend, populäre Leute aus ihrem gewohnten Umfeld zu holen.
Sie sagen, der neue Film sei „eine Reise in die Tiefe Ihrer deutschen Seele“. Wie meinen Sie das?
Ich weiß ja selbst nicht immer, was das ist – deutsch sein. Bin ich deutsch? Das sagt sich so leicht. Aber dann gibt es Leute, die sagen: Deutsch ist nur, wer deutsches Blut hat. Und das werden immer mehr. Der Film beschäftigt sich mit einer sehr deutschen, sehr weißen „Alman“-Thematik, mit der ich mich vorher nie wirklich auseinandergesetzt habe. Ich wollte sie präzise erzählen, ohne Klischee. Und auf dem Weg dorthin habe ich gemerkt: Da ist eine deutsche Seele in mir. Ich bin auf ein Goethe-Zitat gestoßen: „Wo wir uns bilden, da ist unser Vaterland.“ Und ich habe meine wichtigste Bildung hier erhalten: meine filmische. Also, wenn das stimmt, was Goethe sagt, dann habe ich hier ein Vaterland.
Welches ist das nächste Projekt? „Geister weinen nicht“?
Es heißt nur noch „Geister“. „Geister weinen nicht“ klang mir zu sehr nach „Und Jimmy ging zum Regenbogen“. Ich bin mitten in der Arbeit und merke: Ich habe das unterschätzt. Es ist sehr ambitioniert, sehr schwierig, auch wenn’s nicht historisch ist und komplett in Hamburg spielt. Ich dachte, das wird easy – aber Pustekuchen. Einfachheit funktioniert hier nicht. Also kein Brot-Butter-Honig-Film diesmal.
Darf ich noch zwei Fragen stellen? Haben Sie bei einer Preisverleihung wirklich gesagt: „Ich scheiß auf diesen Preis“ – und ihn auf den Boden geworfen?
Bei „Gegen die Wand“? Nein, habe ich nicht (lacht). Das ist wie unlängst mit dem Clint-Eastwood-Interview in einer österreichischen Zeitung, das nie stattgefunden hat. Es kursiert viel, was nie passiert ist.
Und stimmt es, dass Kulturstaatsminister Bernd Neumann Sie in Cannes beim deutschen Empfang als „Atih Fucking“ begrüßt hat?
Ja, das stimmt. Aber ich nehme ihm das nicht übel. Namen sind Schall und Rauch. Manche Leute tun sich schwer mit nicht-deutschen Namen.
„Amrum“ startet am 9.10.; Deutschlandpremiere beim „Filmfest Hamburg“: 27.9. (18 Uhr, Cinemaxx Dammtor mit u.a. Fatih Akin und Diane Kruger), 28.9. (10 Uhr, Metropolis)
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