Person im Jackett, Hände in den Hosentaschen
  • Mittelalter Mann im Mantel: Cindy Shermans Bild „Untitled #602“ von 2019
  • Foto: Cindy Sherman, Courtesy the Artist and Hauser & Wirth

Gruselshow oder Glamour-Fotos? „Anti-Fashion“-Ausstellung in Hamburg

Sie ist das Blondchen unterm Cowboyhut, die trotzige Jugendliche im Minirock mit Zigarette, und der verklemmt wirkende Herr mittleren Alters im Jacket, das ist sie auch: Cindy Sherman, eine der bedeutendsten lebenden Künstlerinnen. Ihre Fotografien erzielen auf dem Kunstmarkt Höchstpreise im Millionenbereich. 50 Werke aus fünf Jahrzehnten sind nun in einer Ausstellung in der Sammlung Falckenberg zu sehen: „Anti-Fashion“.

Wie der Titel vermuten lässt, hat die US-Amerikanerin zur Modebranche ein schwieriges Verhältnis: Angeekelt von magersüchtigen Models, die ihre Körper für den Job quälen, begann sie in den 80er Jahren mit ihrer Serie „Disasters“ – abstoßende Hässlichkeit, morbide Szenen, im Dreck entsorgte Menschen. Mehr noch verstörten ihre „Sex Pictures“, in denen Sherman zerlegte Sex- oder Schaufensterpuppen sexuelle Handlungen mit menschlichen Prothesen vortäuschen lässt. Diese Fotos sind aber die absolute Ausnahme, denn sie zeigen nicht sie selbst.

Cindy Shermans Fotos ab Samstag in der Sammlung Falckenberg

Auf den meisten der seit mehr als 50 Jahren entstandenen Porträts ist die Fotografin zugleich auch Motiv: Bis zur völligen Unkenntlichkeit verwandelt sie sich in jemand anderen, verändert Alter, Geschlecht, Hautfarbe, indem sie Schminke, Perücken, Brillen, abenteuerliche Kleidung, künstliche Zähne und jede Menge Accessoires für ihre Transformation nutzt, ergänzt um das passende Ambiente. Die Figuren entstehen in einem Trance-ähnlichen Zustand, der manchmal Tage dauert, bis ihr plötzlich jemand anderes im Spiegel gegenübersteht.

Horrorclown? Gruselcowboy? Auch unter der Maske des Bildes „Untitled #410“ von 2003 steckt natürlich Cindy Sherman. Cindy Sherman, Courtesy the Artist and Hauser & Wirth
Person mit Bluse und buntem Rock, Clownsmaske und Cowboyhut
Horrorclown? Gruselcowboy? Auch unter der Maske des Bildes „Untitled #410“ von 2003 steckt natürlich Cindy Sherman.

Denkt man dabei in Bildern, stellt sie sich selbst quasi als dreidimensionale Oberfläche zur Verfügung, die sie immer wieder neu gestaltet. Manchmal lässt sie die Künstlichkeit ihrer Verwandlungen bewusst erkennen, durch verwischtes Make-up oder eine verrutsche Perücke. Letztlich hält sie dem Betrachter den Spiegel vor: Sie zeigt Klischees – die beflissene Sekretärin, den verführerischen Vamp, die gestörte Adelige – Stereotype, überall in den Medien präsent. Und von jedem gern genutzt, um andere Menschen auf den ersten Blick einzuordnen und in eine Schublade zu stecken. Kein Wunder, dass uns die Sherman-Personen irgendwie bekannt vorkommen – und gleichzeitig gründlich irritieren.

Cindy Sherman, 1954 geboren, bekam im Alter von zehn Jahren ihren ersten Fotoapparat geschenkt. Ihre Vorbilder findet sie in Filmen, Märchen, Zeitschriften und natürlich in der Werbung. „Anti-Fashion“ parodiert die gängige Modefotografie genussvoll und zeigt zugleich, wie relativ Identität ist: Wer bin ich? Oder: Wie viele kann ich sein?

Sammlung Falckenberg: 7.10.23-3.3.24, Sa/So 12-17 Uhr, Eintritt frei, Führungen nach Vereinbarung

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