Ein Mann für alle Fälle: 150. Geburtstag von Thomas Mann
Thomas Mann gibt’s jetzt als Playmobil-Männchen. Und selbst „Die drei ???“ ermitteln in ihrem neuesten (Buch)Fall unter der Sonne Kaliforniens und suchen nach einem gestohlenen Originalmanuskript. Kein Zweifel: Der Stern Thomas Manns leuchtet zu seinem 150. Geburtstag weit in die Populärkultur hinein. Er ist viel zu bedeutend fürs verstaubte Klassikerregal.
Wobei man sagen muss: Er ist es wieder. Denn Mann war stets berühmt, galt aber lange Zeit als unmodern – die Bücher zu dick, die Themen zu schwierig, der Stil zu oll. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Von einer Wiederentdeckung zu sprechen, wäre übertrieben. Aber seine Stimme ist gerade in der heutigen Zeit wichtig und richtig. Zum Jubiläum zeigt sich das in neu erschienenen Büchern genauso wie in der kommenden Ausstellung in Lübeck.
Jubiläum: Manns Heimatstadt präsentiert ein umfangreiches Programm
Dort hat alles begonnen. Thomas Mann kommt am 6. Juni 1875 als Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie auf die Welt. Doch den vorgezeichneten Weg im Familienbusiness wird er genauso wenig beschreiten wie sein vier Jahre älterer Bruder Heinrich. Stattdessen setzt der 25-jährige Wunderknabe mit den „Buddenbrooks“ ein Ausrufezeichen. Bald ist er nicht nur Bestsellerautor, sondern eine öffentliche Person. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs verläuft er sich in eine intellektuelle Sackgasse. Kriegsbegeistert und deutschtümelnd schreibt er sich um Kopf und Kragen. Die 180-Grad-Wende vollzieht er 1922. In seiner Rede „Von deutscher Republik“ stellt er sich ganz auf die Seite der Demokratie und der sturmumtosten Weimarer Republik.

Und dann kommen die Nazis. Die NSDAP erreicht im Herbst 1930 bei der Reichstagswahl 18,3 Prozent. „Das ist die Zahl“, schreibt der Publizist Kai Sina, „die aus dem engagierten Republikaner und Demokraten Thomas Mann einen bekennenden Aktivisten und Antifaschisten macht“. (Übrigens: Die AfD hat bei uns gerade 20,8 Prozent erzielt …)
Schriftsteller erhielt Literaturnobelpreis
Widerwillig geht Thomas Mann 1933 ins Exil. Zuerst in die Schweiz, später in die USA. Seine Staatsbürgerschaft wird ihm entzogen. Das Regime weiß, welche Macht das Wort haben kann, wenn es dieser Mann, der mittlerweile weltberühmt und Literaturnobelpreisträger ist, gegen es richtet. Und das tut er – in Essays, Reden, Umfragen, als unermüdlicher Briefeschreiber. Während des Zweiten Weltkriegs sendet die BBC seine Reden an die Deutschen in sein „geliebtes Feindesland“. Thomas Mann macht sich keine Illusionen: Dieses Deutschland muss besiegt und sogar zerstört werden.
Diese unerbittliche, aber standfeste Haltung führt dazu, dass ihn viele auch im Nachkriegsdeutschland bis zu seinem Tod 1955 und darüber hinaus einen Verräter schimpfen. Den Linken und später den Achtundsechzigern ist er sowieso suspekt: Eine luxuriöse und großbürgerliche Lebensweise verträgt sich eben nicht mit revolutionären Ideen. In der Kommune sind dreiteilige Anzüge verpönt, und Thomas Manns Romane sind in etwa das literarische Äquivalent zum feinen Zwirn, den er stets trägt.
Der Autor und sein Werk lohnen immer einen frischen Blick
Vier Riesen hat er in die Welt gezaubert: „Buddenbrooks“, „Der Zauberberg“, „Joseph und seine Brüder“ und „Doktor Faustus“. Jedes Buch für sich ist ein Geschenk feinster Erzählkunst, höchster Sprachmagie. Einfach sind sie alle nicht, das stimmt. Aber sie lohnen die Mühe. Vielleicht finden viele Leute ja über den Umweg der Person Thomas Manns – widersprüchlich, schwierig, eitel, scharfsichtig und durch und durch menschlich – einen Zugang zu seinem Werk. Schließlich gibt es so viele Möglichkeiten, diesem Mann für alle Fälle zu begegnen.
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Spezialisten mit tiefen Taschen freuen sich über die neueste Lieferung der „Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe“ (siehe Kasten rechts). Andere staunen über seine deutlichen Worte in „Deutsche Hörer!“. Dem verkorksten Verhältnis zur Mann’schen (Homo)Sexualität ist Tilmann Lahme in seiner neuen Biografie auf der Spur. Oder es findet sich im Bücherregal ein angegilbtes Exemplar der „Buddenbrooks“ oder vom „Zauberberg“. Beides keine „verschluckbaren Kleinteile“, wie auf der Packung der Playmobil-Figur steht. Sondern wundervolle literarische Vier-Gänge-Menüs.
„Thomas Mann und die Demokratie“: 6.6.25-18.1.26, St.-Annen-Museum Lübeck (das Buddenbrookhaus wird renoviert).
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