Fast vergessen: Wie ein großer kleiner Künstler in Hamburg gewirkt hat
Es war eine Suchanzeige der besonderen Art: „Verschollene Bronzeskulptur dringend gesucht!“ Aufgegeben hat sie der Medizinprofessor Arne Jensen in Hamburg. Der 71-Jährige hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Werk seines Großonkels Emil Rasmus Jensen (1888-1967) zu bewahren. Der nur 95 Zentimeter große Bildhauer hat lange hier gewirkt und ist heute fast vergessen. Zu unrecht. Erfahren Sie mehr mit MOPO+ – jetzt vier Wochen lang testen für nur 99 Cent!
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Es war eine Suchanzeige der besonderen Art: „Verschollene Bronzeskulptur dringend gesucht!“ Aufgegeben hat sie der Medizinprofessor Arne Jensen in Hamburg. Der 71-Jährige hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Werk seines Großonkels Emil Rasmus Jensen (1888-1967) zu bewahren. Der nur 95 Zentimeter große Bildhauer hat lange in der Hansestadt gewirkt und ist hier zu Unrecht fast vergessen.
„Bin in der kleinen Stadt Tondern geboren. Eine Kindheit habe ich eigentlich nicht gehabt, jedenfalls liegt sie dunkel, fast traurig vor mir.“ So beginnt die einzig bekannte autobiografische Aufzeichnung des großen kleinen Künstlers. Aufgrund einer Knochen-Stoffwechsel-Erkrankung kam bei Jensen im Alter von nur vier Jahren das Wachstum zum Stillstand. Eine quälend lange Zeit war er ans Bett gefesselt. Doch mit ungeheurem Willen erkämpfte er sich seinen Platz im Leben.
Emil Rasmus Jensen konnte erst mit 20 Jahren laufen
Da der Schulbesuch unmöglich war, engagierte der Vater, ein Versicherungskaufmann, einen Hauslehrer – und der erkannte das Talent des Jungen für das Modellieren von Figuren. Doch erst im Alter von 20 Jahren konnte Jensen laufen, er erprobte das nur nachts auf der Straße, weil ihn am Tag die Nachbarskinder gehänselt hätten.
Emil Jensen begann ein Studium an der Flensburger Kunstschule. Die Einrichtung war hoch oben auf einer Anhöhe untergebracht und der behinderte Student musste jeden Tag 100 Stufen erklimmen. Einem Freund sagte Jensen: „Stell dir vor, jede Stufe ist für mich so hoch wie für dich ein Stuhl.“ 1922 wechselte er an die Hamburger Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld auf der Uhlenhorst.
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Die Inflation 1922/23 hatte das Familienvermögen aufgezehrt und Emil Jensen musste sich selbst durchschlagen, er verkaufte in diesen Jahren aber erfolgreich seine Skulpturen in Hamburg. Öffentliche Aufträge folgten und 1929 bekam er nach Förderung durch Max Liebermann und Käthe Kollwitz ein „Villa-Massimo-Stipendium“ zugesprochen. Durch die Machtergreifung der Nazis wurde daraus nichts, doch Jensen durfte weiterhin sein 1932 bezogenes Atelier im Palais Ohlendorff in Hamm nutzen. In kurzer Zeit schuf er dort 50 Plastiken. Mit Unterstützung des Leiters der Kunsthalle, Professor Gustav Pauli, überstand Jensen die Nazizeit.
1943 verbrannten Jensens Werke in Hamburg-Hamm
1943 traf den Künstler das Schicksal hart. Bei den Bombenangriffen wurde das Palais mit dem Atelier zerstört, Dutzende Kunstwerke vernichtet. Jensen flüchtete verzweifelt aus dem zerstörten Hamm nach Bayrischzell. Dort in Oberbayern betrieb seine Schwester eine Pension, sie nahm ihn auf. Emil Jensen war traumatisiert, erst lange nach Kriegsende begann er wieder zu modellieren. 1953 bezog er ein Haus in Starnberg. Eines der ersten Werke, die er dort schuf, hieß „Verwandte Seelen helfen sich“. Ein Hinweis auf sein Schicksal, das er nur mit Hilfe anderer Menschen meistern konnte.
Inzwischen sind einige Werke des vergessenen Künstlers – teils mit Brandspuren – auf dem Kunstmarkt wieder aufgetaucht. Die nun per Annonce gesuchte Bronze „Erfüllung“ soll sich bis 1956 im Besitz des Alsterdorfer Apothekers Willy Werner befunden haben. Arne Jensen hofft nun auf Hinweise – denn er hat einen Traum: ein eigenes Museum in Norddeutschland für seinen Großonkel.