Eins der abscheulichsten Verbrechen Hamburgs kommt ins TV
„Mir fehlen für meine Arbeit noch Kinder. Und Tiere“, sagt der Arzt im blütenweißen Kittel am Anfang von „Nazijäger – Reise in die Finsternis“, einem Dokudrama, das diesen Sonntag im Ersten läuft. „Ich werde mich an den Kollegen in Auschwitz wenden, dass er mir entsprechendes Material zur Verfügung stellt.“ Was folgt, ist eines der abscheulichsten Verbrechen in der Geschichte Hamburgs.
Der Mann ist Kurt Heißmeyer, 38 Jahre alt, und von der Idee besessen, ein zweiter Robert Koch zu werden: Er will Tuberkulose heilen und ist überzeugt davon, einen Weg gefunden zu haben. Um das beweisen zu können, braucht er in seiner „Praxis“-Baracke im KZ Neuengamme noch menschliche Versuchskaninchen. „Zehn Jungen, zehn Mädchen“, wie er sagt. Sie werden als „Die Kinder vom Bullenhuser Damm“ schreckliche Berühmtheit erlangen.

Regisseur Raymond Ley erzählt die Geschichte vom Leiden und Sterben der 20 jüdischen Kinder, die kurz vor Kriegsende im Keller der Schule am Bullenhuser Damm (Rothenburgsort) erhängt wurden, über die Schwestern Andra und Tatiana und deren Cousin Sergio. Der Siebenjährige wird – nach Heißmeyers bestialischen Menschenversuchen – in Rothenburgsort ermordet, Andra und Tatiana Bucci überlebten das Grauen im KZ Auschwitz. Die Italienerinnen, heute 84 und 82 Jahre alt, begleiteten Ley im vergangenen Sommer an die Originalschauplätze.
Tatiana Bucci: Es ist eine Pflicht, die Erinnerungen wachzuhalten
„Für uns wenige, die wir noch in der Lage sind, darüber zu sprechen, ist es eine Pflicht, die Erinnerungen wachzuhalten. Diese Erinnerung im Besonderen“, sagt Tatiana Bucci im Film, der auch von den Männern handelt, die die Nazis damals jagten: britische Soldaten, meist Juden, die vor den Nazis aus Deutschland und Österreich geflohen sind, und nach SS-Leuten, KZ-Schergen und Tätern in Nadelstreifen fahndeten. Zu diesen „Nazijägern“ gehört auch Anton Freud, der nicht nur Bruno Tesch verhaftete – die Hamburger Firma „Tesch & Stabenow“ belieferte unter anderem das KZ Auschwitz mit „Zyklon B“ –, sondern auch die Ermordung der 20 Kinder aufklärte.

„Das Verbrechen des Holocausts entzieht sich für mich der nahen Betrachtung, einer Darstellung im TV“, sagt Regisseur Ley. „Wir können lediglich versuchen, den Opfern – hier den 20 Kindern – ein Gesicht zu geben, einen Blick auf sie zu werfen, um sie vor dem Vergessen zu bergen.“ Und so zeigt er die jungen Schauspieler auch bei den Proben und in der Maske, zeigt, wie ihnen die Haare geschoren werden. „Die Kinder rücken uns näher, könnten unsere Kinder sein, könnten die sein, die man uns wegnimmt, die man misshandelt, vernichtet.“ Das alles ist schwer erträglich – und unbedingt sehenswert.
Das Erste: 16.1., 21.45 Uhr (und ab 13.1. in der Mediathek)
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