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  • Ein neuer Elektromotor ist wie ein neues Leben. Second-Life-Mobility à la Naext Automotive. 
  • Foto: Naext / Markus Heimbach

Hamburgs Daniel Düsentrieb: Wie aus einem alten Verbrenner ein moderner Stromer wird

Zurück in die Zukunft. Mit der Klimarettung ist das so eine Sache. Verbrenner sind auf einmal so was von uncool, Elektroautos in. Doch deren CO2-Fußabdruck bei der Herstellung ist auch nicht ohne. „Muss es denn immer gleich ein elektrifizierter Neuwagen sein?“, hat sich deshalb Nick Zippel gefragt und ein spannendes Start-up gegründet. Der ambitionierte Umweltfreund setzt auf Second-Life-Mobility und nimmt dabei Anleihen aus dem Flugzeugbau zu Hilfe. Lesen Sie mal, wie der findige Ingenieur und Tüftler alte Bullis in fortschrittliche E-Fahrzeuge verwandelt.

In seinem eigentlichen Beruf ist Nick Zippel Unternehmer. 2006 gründete der 49-Jährige mit vier Monteuren Sager&Deus. Heute beschäftigt die in Niendorf ansässige Handwerksfirma 162 Mitarbeiter. Innerhalb von nur 15 Jahren ist aus der kleinen Klitsche am Vierenkamp ein Innovationsführer für regenerative Heiztechnik geworden. Damit nicht genug. Vor rund zwei Jahren bringt der verheiratete Hobby-Musiker und Vater von vier Kindern sein nächstes Start-up auf den Weg. Zippel: „Die Naext Automotive GmbH ist quasi eine kleine AMG-Bude, die Spaß an ungewöhnlichen Konzepten hat.“ Der glühende St-Pauli-Fan (Stehplatz-Dauerkarte) weiter: „Wir wollen krassesten Kram bauen.“ Gesagt, getan.

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Lokal emissionsfrei statt schrottreif. Der umgebaute VW T5 Multivan kann auch richtig Stoff geben. Reichweite: bis zu 250 Kilometer. 

Foto:

Naext / Markus Heimbach

Richtig Musik in die Sache „Altauto zu E-Mobil“ kommt durch eine gewagte Wette. Die platziert der Sager&Deus-Geschäftsführer in einem Umweltausschuss der Handelskammer. Dort stand er nun und konnte wohl nicht anders. Als Sänger der Punkband „0,5-Prozent-Antifa“ Rampenlicht und Mikrofon gewöhnt, tönte er: „Schluss mit der Ressourcenverschwendung in der Mobilität. Wir bauen einen alten VW T5 Multivan zu einem Elektroauto um – in 100 Tagen!“ Rumms. Da hatte der Frontmann, der sonst eher mit der schrammeligen Kaufhaus-E-Gitarre die Akkorde setzt, mal ein Statement losgelassen. Auch seine Botschaften hallen nach: „Aus Alt mach Neu“, „Nicht wegwerfen, weiternutzen“ und „Aufwertung durch Austausch“. Nochmal rumms. Plietsche Ideen – neudeutsch „Second-Life-Mobility“ genannt. Zudem zeigt der smarte Umweltfreund einen Weg auf, alte Autos zeitgemäß, ressourcen- und klimafreundlich zu recyclen.

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Nummer 2 lebt! Der Prototyp N1 hatte nach 100 Tagen TÜV. N2 soll demnächst folgen.

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Michael Neher

Sexy, aber auch wirtschaftlich? Große Skepsis bei Ökonomen. Das schert den echten Luruper Jung allerdings einen feuchten Kehricht. Zumal die Naext-Crew mit cleveren Ansätzen an die Metamorphose herangeht. „Flugzeugbau trifft Altauto“, lautet die Devise. Zippel: „Zwei führende Köpfe aus unserem Team bringen von dort Know-how mit. Deshalb gehen wir die Umbauten spürbar anders an als der Wettbewerb.“

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Nick Zippel, Hamburgs Daniel Düsentrieb 

Foto:

Naext / Markus Heimbach

Einer dieser Spezialisten ist Henning Behn. Der studierte Fahrzeugbauer hat rund 15 Jahre bei einem Airbus-Supplier gearbeitet, weiß um die Vorteile des Flugzeugbaus. Behn: „Autos haben sich in ihrem Grundkonzept bis heute kaum verändert: Fahrgastzelle, Motor, Kofferraum, vier Räder. Einmal gebaut und fertig. Lebensdauer ca. 25 Jahre.“ Der Diplom-Ingenieur ergänzt: „Ein Flugzeug dagegen kann bis zu 40 Jahre in der Luft sein.“ Der große Unterschied: Alle acht bis zehn Jahre werden die Flieger generalüberholt. Im Fachjargon additives Engineering oder Refurbishment genannt. Vorteil der Frischzellenkur: So kommen neueste Technik und Materialien auch in älteren Fliegern zum Einsatz. Diese Errungenschaft aus der Flugzeug-Entwicklung übertragen die Hamburger Tüftler auf den Bulli-Umbau.

Und so geht’s: Zuerst wird das Ausgangsmodell gescant, dann der komplette Umbau am PC per CAD-Konstruktion entwickelt und so die Grundlage für die Umrüstung gelegt. Nun erst startet die Produktion. Zippel: „Alles so sparsam wie möglich. Überflüssiges wie Tank und Auspuff raus, Akkus im Unterboden rein.“ Mit einem Adapterrahmen gaukeln die Naextler das ursprüngliche Volumen des Verbrenners vor. Ersetzt werden Ablagefächer, Griffschalen, Knöpfe und Schalter. Neue Komponenten wie beispielsweise Halterungen werden im 3D-Druckverfahren selbst produziert, andere wie die Batterie gekauft. Außerdem kommen Materialien wie Alu oder Kunststoff zum Einsatz.

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Zurück in die Zukunft. Der Naext-Kompensator ist das Herzstück. In der Box steckt die Steuerelektronik, extra gesichert wegen der Hochvolttechnik. 

Foto:

Naext / Markus Heimbach

Prunkstück ist der Naext-Kompensator. Eine bewusste Anspielung an den legendären Fluxkompensator aus dem Hollywood-Hit „Zurück in die Zukunft“. Zippel: „In dieser Box sitzt die Steuerelektronik, extra gesichert wegen der Hochvolt-Technik.“ Ferner wird etwas frische Schminke aufgetragen. „Die aufpolierte Front hat den Look des aktuellen Multivan“, erklärt Oberkonstrukteur Behn stolz. Und fertig ist der Prototyp N1. Ein vollelektrifizierter VW-Bus. Zuverlässig und serienreif auf der Basis eines Gebrauchten. Zugelassen am 3. September 2020. Etwa 35.000 Euro soll der Spaß kosten. Mit der CAD-Vorlage schafft das Start-up zudem die Basis für einen universellen Umbausatz des gleichen Modells, der einmal von Kunden erworben werden soll. Behn: „Je mehr E-Autos auf den Straßen sind, desto weniger werden Kfz-Werkstätten zu tun haben, denn übliche Wartungs- und Reparaturarbeiten fallen weg. Genau da kommen wir ins Spiel und bieten ein Umrüstset von der Stange an.“

Das ist noch Zukunftsmusik. „Technisch ein sehr interessanter Ansatz. Aber doch mit großem Aufwand, viel Zeit und Geld verbunden. Es scheint mir eher Liebhaberei als ein tragfähiges Geschäftsmodell zu sein“, gibt Diplom-Wirtschaftsingenieur Roger Eggers, Leiter Technischer Dienst Mobilität vom TÜV-Nord, zu bedenken. Freilich, die erste Wette hat Hamburgs Daniel Düsentrieb gewonnen und niemand hat behauptet, dass es einfach gehen muss. Für einen wie Nick Zippel wäre das höchst wahrscheinlich eh zu langweilig. Der tüftelt bereits am „naexten“ Projekt – sein N1 soll in 1.000 Tagen autonom fahren. Wetten das er es schafft?…
 

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