• Ein Schüler mit einem Coch­lea-Im­plan­tat bei den Haus­auf­ga­ben. Für die Ent­wick­lung der Kinder ist das Hören immens wichtig.
  • Foto: imago images/Cavan Images

Taube Menschen können wieder hören: Und plötzlich sind die Töne wieder da

Hören ist ein sozialer und ganzheitlicher Prozess. Wer nicht mehr richtig hören kann oder gar völlig ertaubt ist, der nimmt oftmals nicht mehr am öffentlichen Leben teil, zieht sich zurück. Aber es gibt Abhilfe. Selbst völlig ertaubte Menschen können wieder hören. Die Hals-Nasen-Ohren-Abteilung der Asklepios Klinik Nord-Heidberg gilt als eine der führenden Kliniken Deutschlands, wenn es um das Cochlea-Implantat geht. Oberarzt Dr. Oliver Niclaus erklärt, wie es funktioniert, dass Hörgeschädigte wieder hören können.

MOPO: Wann gilt ein Mensch eigentlich als schwerhörig?

Dr. Oliver Niclaus: Die Definition ergibt sich schon aus dem Wortsinn: Wer das, was er hören möchte, nur noch schwer oder überhaupt nicht mehr hören kann – das kann vorübergehend sein oder auch dauerhaft.

Knapp 16 Millionen Menschen – 20 Prozent aller Deutschen – gelten als schwerhörig. Ist es damit also schon eine Volkskrankheit?

Eine Volkskrankheit bedeutet ja nicht nur, dass viele Menschen erkranken, sondern auch dass es eine Erkrankung ist, die durch unsere Lebensweise beeinflusst wird. Es wird häufig gesagt, unsere Umgebung sei heute viel lauter geworden und im Beruf hätte man viel mehr Lärm. Wahrscheinlich ist im Berufsleben der Lärm gar nicht mehr so sehr die Hauptkomponente, da wir alle sehr viel mehr Rücksicht aufeinander nehmen und versuchen, die Arbeitnehmer deutlich mehr zu schützen. Dafür haben wir im privaten Bereich aber viel mehr Lärm. Das führt auch dazu, dass es häufig schon viel früher zu Schwerhörigkeit kommt und auch junge Menschen schon mittel- bis hochgradige Schwerhörigkeit haben. Also ja, es ist zumindest eine weit verbreitete Erkrankung.

1400 Kinder jährlich etwa werden auch schon schwerhörig geboren…

Das stimmt. Aber auch hier hat sich viel getan. Zum Standard gehört heutzutage ein Hörscreening bei Neugeborenen. So kann genau festgestellt werden, ob eine Schwerhörigkeit oder Taubheit vorliegt. Hören ist für Kinder überaus wichtig für die Sprachentwicklung. Unser Ohr ist insofern ein interessantes Organ, als es schon bei der Geburt von den anatomischen Strukturen fertig einsatzbereit ist. Aber der Weg vom Ohr zum Gehirn – die so genannte Hörbahn – bildet sich erst aus, wenn eine Stimulation da. Wenn Kinder zur Welt kommen und kein funktionierendes Innenohr haben, dann wird auch der Weg zum Gehirn nicht ausgeprägt. Deswegen ist es wichtig, die Diagnose frühzeitig zu stellen, um schnell mit einer Behandlung beginnen zu können.

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Was ist eine Schwerhörigkeit?

Das Ohr lässt sich in das Außenohr, das Mittelohr und das Innenohr einteilen. Der Schall kommt über die Ohrmuschel und den Gehörgang ans Trommelfell. Im Mittelohr findet dann durch unsere Gehörknöchelchen eine Wandlung von Luftschall auf eine Schwingung statt. Diese wird auf die Flüssigkeitssäule im Innenohr übertragen, in elektrische Signale umgewandelt und dann über den Hörnerv und die Hörbahn ans Gehirn weitergeleitet. Auf diesem Weg gibt es vieles, was zu Problemen führen kann. Ein Beispiel: Wer sich mit dem Wattestäbchen den Ohrenschmalz immer tiefer in das Ohr schiebt – wie beim Stopfen eines Kanonenrohrs – , wird über kurz oder lang schlechter hören. Hier können wir als HNO-Ärzte allerdings schnell helfen, indem wir den Pfropf entfernen.

Können Sie einen Hörverlust zu 100 Prozent wieder herstellen?

Wenn der Arzt den Ohrenschmalz entfernt, wie gerade gesagt, dann können wir Hören wieder vollständig herstellen. Es gibt auch Mittelohrerkrankungen, die man operativ gut mit einer kleinen Titanprothese behandeln kann, um die Hörknöchel zu ersetzen. Wenn das Innenohr geschädigt ist, also z.B. bei der klassischen Altersschwerhörigkeit, nach einem Hörsturz oder Lärmtraumata, dann können wir das Hören und das Sprachverstehen mit einem Cochlea-Implantat wieder herstellen. Auch bei einer vollständigen Ertaubung – allerdings nicht zu 100 Prozent. Wir konzentrieren uns hier in erster Linie auf das Sprachverstehen. Ziel ist, dass die Patienten wieder in der Lage sind, zu kommunizieren und im Alltag gut zurechtzukommen.

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Oberarzt Dr. Oliver Niclaus
Foto: Marc-Oliver Schulz/hfr

Die Cochlea ist die Hörschnecke. Das Cochlea-Implantat ersetzt also diesen Teil des Ohrs?

Das Cochlea-Implantat ist eine Innenohrprothese. Es übernimmt den Teil, den vorher das Außen- und das Innenohr übernommen haben. Das Implantat übernimmt also die Übersetzung der Schallwellen in elektrische Impulse.

Wie funktioniert das genau?

Wir benötigen dazu ein Mikrofon und einen Prozessor, der die Signale entsprechend umwandelt. Diese werden dann über eine Antenne an das eigentliche Cochlea-Implantat weitergeleitet, das in einer etwa zweistündigen Operation eingesetzt wird. Von hier aus geht ein Elektrodenkabel direkt in die Hörschnecke. Auf diesem Kabel sind einzelne Elektrodenkontakte, die die elektrischen Signale an den Hörnerv weitergeben, der diese dann wie vorher an das Gehirn weiterleitet. Der entscheidende Unterschied zum Hörgerät ist, dass diese Signale, die von einem Cochlea-Implantat kommen, vom Gehirn erst wieder interpretiert werden müssen. Das Gehirn muss das Hören erst wieder lernen. Deswegen ist es eben nicht so, dass man das Gerät einfach einschaltet und sofort damit hören und verstehen kann. Das Gehirn verlernt nämlich das Hören auch schnell wieder.

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Wie lange dauert das Lernen?

Es kann einige Monate dauern, bis das Gehirn das Hören ausreichend erlernt hat. Manchmal geht es auch sehr schnell – das hängt auch davon ab, wie lange die Schwerhörigkeit schon bestanden hat. Es gibt Patienten, die nach drei oder vier Tagen schon erste Worte und Sätze richtig interpretieren. Das ist, nach all den Jahren, in denen ich diese Patienten operiere, jedes Mal sehr ergreifend. Einige vergleichen es mit dem Erlernen einer Fremdsprache. Aber meiner Meinung nach dauert es deutlich länger, Spanisch zu lernen als das Sprachverstehen mit einem Cochlea-Implantat wiederzuerlangen. Wir versorgen auch Patienten, die älter als 90 Jahre sind. Auch im betagten Alter ist das Hör-Lernen in relativ kurzer Zeit möglich.

Gibt es eine Reha?

Die Operation ist nur der Beginn der Behandlung. Entscheidend für den Erfolg ist, was danach kommt. Die OP-Wunde ist nach zwei bis drei Wochen so gut verheilt, dass eine Erstanpassung stattfindet, also das Gerät das erste Mal angeschaltet wird, und dann geht es mit dem Hören los. Unsere Logopädinnen trainieren mit den Patienten. Da sich der Patient mehr und mehr an das Gerät gewöhnt, wird dieses von unseren Audiologen immer wieder nachgestellt, bis das beste Ergebnis erreicht ist. Wir haben hier bei uns in der Klinik Nord Heidberg ein sehr gut geschultes Team, das sich intensiv um die Patienten kümmert. Sogar eine App haben wir entwickelt, um direkt von Tag eins an mit dem Hörtraining beginnen zu können. Das fängt mit einfachen Geräuschen an und geht dann über einzelne Silben und Sätze bis zum Sprachverstehen. Die fortgeschrittene Variante in dieser App funktioniert sogar mit Hamburger Slang. Der Schauspieler Bjarne Mädel hat für uns Texte eingesprochen und auch ein eigenes Gedicht beigesteuert.

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So ist unser Ohr auf­ge­baut. In dieser Dar­stel­lung wird deutlich, wie das Coch­lea-Im­plan­tat ein­ge­setzt wird.
Foto: HNO-Abteilung Asklepios Klinik Nord Heidberg /hfr

Kann man auch einseitig ein Cochlea-Implantat operieren?

Eindeutig ja. Studien belegen, dass es einen wesentlichen Einfluss auf das Hören hat, wenn beide Ohren funktionieren. Stichworte: Stereohören oder Richtungshören. Und man darf auch nicht vergessen, wie anstrengend es für Menschen ist, andere zu verstehen, wenn auch nur ein Ohr ertaubt ist. Wir nennen das Hörarbeit. Betroffene berichten, dass es für sie fast unmöglich ist, einen achtstündigen Arbeitsalltag zu bewältigen.

Kann man Patienten jeden Alters ein Cochlea-Implantat einsetzen?

Grundsätzlich ja. Mit steigendem Lebensalter ist vor allem die Vollnarkose der einzige entscheidende Faktor, ob der körperliche Zustand eines Patienten eine Operation erlaubt. Auf der anderen Seite ist das Nicht-Hören eine starke Einschränkung der Lebensqualität, sodass sich Betroffene oft zurückziehen und am öffentlichen Leben nicht mehr teilnehmen – sie vereinsamen.

Woran merke ich im fortgeschrittenen Alter eigentlich, dass ich schwerhörig werde?

Gerade beim schleichenden Verlauf zum Beispiel im Rahmen der Altersschwerhörigkeit kommen meistens die Impulse von den Mitmenschen. Du hast den Fernseher zu laut oder du hast mich wieder nicht verstanden. Ein großes Problem der Schwerhörigen ist, dass die Menschen Vorwürfen ausgesetzt sind. Oder die Schwerhörigkeit ins Lächerliche gezogen wird. Aber es gibt Fälle, bei denen Patienten plötzlich nichts mehr hören, etwa bei einem Hörsturz. Die kommen dann meist schnell zu uns, sodass wir sofort mit einer Therapie beginnen.

Was kann jeder für sich tun, um sein Gehör bis ins hohe Alter zu erhalten?

Leider machen sich die meisten erst Gedanken über ihr Gehör, wenn es schon nicht mehr richtig funktioniert. Grundsätzlich sollten wir unsere Ohren schützen. Warum nicht einen Gehörschutz in der Disco oder auf einem Konzert tragen? Man kann trotzdem großen Spaß haben. Beim Heimwerken kommen auch die wenigsten auf die Idee, „Micky Mäuse“ zum Lärmschutz zu tragen. Das sind Situationen, in denen man es selber in der Hand hat, sein wertvolles Gehör zu schützen.

Also ist das Pfeifen oder Klingeln im Ohr nach einem Konzertbesuch schon eine Schädigung?

Genau. In einer Disco oder bei einem Konzert kommen wir leicht auf eine Belastung von 105 Dezibel. Das ist ein Wert, dem unsere Ohren nur für maximal 15 Minuten ausgesetzt werden sollten. Nach zwei Stunden in dieser Lautstärke hat man definitiv einen Hörschaden. Der Haarteppich im Innenohr sieht aus wie ein Kornfeld. Nach einer hohen Lärmbelastung aber liegen alle Haare platt am Boden wie das Korn nach einem Starkregen. Oft dauert es bis zu 24 Stunden, bis sich die Haare wieder aufrichten. Im Idealfall alle, aber wenn Sie sich regelmäßig starkem Lärm aussetzen, dann bleiben immer mehr Haare liegen und Sie bauen über die Jahre einen Lärmschaden auf.

Die Asklepios Klinik Nord-Heidberg bietet auch einen Cochlea-Implantat-Klönschnack an, in dem sich Patienten untereinander austauschen können. Die Termine stehen im Internet.

Dieses Interview mit Dr. Oliver Niclaus ist ein Auszug aus unserem Gesundheits-Podcast „Butter bei die Nierchen“. Den Podcast können Sie bei Ihrem Podcast-Anbieter wie zum Beispiel bei Spotify oder Apple Podcast abonnieren und verpassen so keine Folge. Oder Sie klicken einfach unten auf den Player.

Im Podcast „Butter bei die Nierchen!“ sprechen wir regelmäßig mit Ärztinnen und Ärzten aus unterschiedlichen Fachbereichen darüber, wie Sie gesund bleiben oder gesund werden.

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