Andreas Rothe
  • Heute spricht PR-Profi Lars Meier mit dem Kommunikationsmanager Andreas Rothe
  • Foto: William Knaack

Andreas Rothe: Bei ihm lernt man (in) Gebärdensprache

Im Podcast „Wie ist die Lage?“ spüren wir seit über einem Jahr tagesaktuellen Fragen nach. Dafür spricht Gute-Leude-Chef Lars Meier fast jeden Tag mit einer interessanten Hamburger Persönlichkeit: Macher:innen, Musiker:innen, Models und Politiker:innen, genauso wie Sportler:innen, Freiberufler:innen und Helfer:innen – sie alle kommen eine Viertelstunde im Podcast zu Wort. Wir möchten von Ihnen wissen, wie Hamburg denkt und was die Menschen in der Hansestadt bewegt. Heute macht dies der Hamburger Verkehrsverbund möglich. Die Gespräche finden über das Telefon statt. In der aktuellen Folge spricht PR-Profi Lars Meier mit An­dreas Rothe von der österreichischen Gebärdensprache-Bildungseinrichtung „equalizent“.

Lars Meier: Herr Rothe, Sie bringen Hörenden Gebärdensprache bei und helfen Gehörlosen. Sind auch Sie von der Corona-Krise betroffen?

Andreas Rothe: Ja, klar. Bei uns ist es so, dass es „equalizent“ schon seit 17 Jahren in Wien gab und dort sehr aktiv war. Dann gab es den Schritt, mit einem Social Franchise nach Deutschland zu gehen. Das sollte 2020 richtig losgehen. Dann kam Corona und man konnte sich nicht mehr treffen und mit potenziellen Partnern austauschen. Das hat uns natürlich schon getroffen. Es beeinflusst aber auch den Alltag. Wir bieten Schulungen für gehörlose Menschen in Gebärdensprache an. Das sind berufsvorbereitende Schulungen, die normalerweise live vor Ort stattfinden. Glücklicherweise hatten wir schon Erfahrung mit digitalen und hybriden Lösungen, aber es hat schon dazu geführt, dass wir schauen mussten, wie wir über Wochen und Monate digital tätig sein können.

Haben sich daraus, wie in vielen Bereichen, neue Geschäftsmodelle entwickelt?

Es ist einfach eine Ergänzung. Wir glauben weiterhin, dass es das Beste ist, Schulungen vor Ort durchzuführen. Gebärdensprache ist die Erstsprache gehörloser Menschen und lässt sich am besten vor Ort umsetzen. Es ist eine visuelle Sprache, in der man Hände und Körper verwendet. Der Raum ist dabei wichtig, und das ist über Zoom natürlich schwieriger. Gewisse Einheiten kann man aber auch digital machen. Nicht zuletzt auch den Austausch zwischen Wien und Hamburg. Da ist es schon von Vorteil, wenn man nicht jedes Mal reisen muss.

Wie schwierig ist es für Hörende, die Gebärdensprache zu lernen? Wie weit ist man nach einem halben Jahr?

Das hängt davon ab, welche Schulung man macht. Es gibt die Klassiker, wo man unter der Woche abends hingeht, aber auch Intensivschulungen, wo man eher teilnimmt, wenn man das Ziel hat, damit zu arbeiten. Der Vorteil, den man als hörende Person hat, wenn man mit Gehörlosen arbeitet, ist, dass sie schon gelernt haben, mit den Unzulänglichkeiten von uns Hörenden in der Gebärdensprache umzugehen. Wenn man mal einen Fehler macht, etwas falsch gebärdet oder die Grammatik verhaut, die eine andere ist als in der deutschen Lautsprache, sind sie da nachsichtig und verstehen einen trotzdem.

Warum hat man sich in Wien gerade für Hamburg entschieden? Gibt es eine Marktanalyse oder Informationen von der Krankenkasse?

Das ist ein bisschen schwierig, weil man aus Datenschutzgründen nicht an alle Informationen kommt, was ja auch richtig und wichtig ist. Daher muss man meistens die Zahlen aus verschiedenen Quellen zusammentragen, zum Beispiel über Kontakte zum Gehörlosenbund, in die Community oder auch zu Partnern, mit denen wir in Hamburg arbeiten. Wir haben uns ja nicht einfach in den Zug nach Hamburg gesetzt, sondern arbeiten hier mit einem bestehenden Partner, der in diesem Bereich schon grundsätzlich tätig war, nur noch nicht in der Tiefe. Generell ist bei Hamburg als Großstadt und Metropolregion die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Gehörlose dort sind. Gehörlose zieht es auch häufig in Zentren, weil sie dort auf andere Gehörlose treffen. Sie haben dort auch eher Jobchancen, das ist ganz wichtig, glaube ich.

Sie konnten aber nicht die österreichische Gebärdensprache für Deutschland nehmen, richtig?

Genau, das ist alles auf Deutschland ausgerichtet. In der Schriftsprache besteht da ein Unterschied von zehn Prozent zwischen Österreichisch und Deutsch. In der Gebärdensprache ist das sehr viel mehr. Da decken sich nur ungefähr 40 Prozent der Vokabeln, weil sie eben nicht eine Eins-zu-eins-Wiedergabe der geschriebenen Sprache ist, sondern sich auch historisch unterschiedlich entwickelt hat. Deutschland hat beispielsweise gewisse Parallelen zu Polen, Österreich hängt eher an der französischen Gebärdensprache, wie auch die Amerikaner. Die Briten machen wieder ihr ganz eigenes Ding. Die haben sogar ein Finger-Alphabet, mit dem man Fremdsprachen und Eigennamen buchstabiert. Sie brauchen zwei Hände, während wir in Europa etwas effizienter sind und nur eine benötigen. Die Unterschiede sind also wie gesagt etwas größer, aber all das, was wir vorbereitet haben, ist mit deutschen Expert:innen und Pädagog:innen auf den deutschen Markt abgestimmt.

Viele soziale Gruppen wurden in der Pandemie an den Rand gedrängt. Haben Sie bei den Gehörlosen eine schwindende Lobby bemerkt?

Grundsätzlich ist es natürlich oftmals so, dass erst an die Allgemeinbevölkerung gedacht wird und Spezialgruppen dann immer etwas später kommen. Für Gehörlose war anfangs die Maske ein Problem, weil das Lippenlesen schwieriger wird. Das wurde in den Medien teilweise auch sehr stark berichtet. Da dachte man sich dann fast schon: „Ja gut, aber es gibt auch viele andere Sachen.“ Zum Beispiel hätten wir es gerne gehabt, dass eine Corona-Pressekonferenz auch direkt in Gebärdensprache gedolmetscht wird, damit Gehörlose den Zugang zu den Informationen zum gleichen Zeitpunkt haben wie alle anderen auch. Da würde ich aber sagen, dass sich auch international etwas zum Positiven verändert hat. Man sieht gerade bei Pressekonferenzen zu Corona mehr Gebärdensprache-Dolmetscher im Fernsehen. Ich glaube, das hat auch noch zu etwas mehr Bekanntheit der Gebärdensprache bei hörenden Menschen geführt, sodass auch immer mal wieder gefragt wird, wo man das lernen kann.

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