Hamburger Kneipen-Besitzer: Der Kiez ist ein „Spielplatz für Idioten“
Tomas Benakovic ist ein echter Tausendsassa. Als Geschäftsmann, Filmproduzent und Besitzer der bekannten „Hans-Albers-Klause“ ist der 48-Jährige auf dem ganzen Planeten unterwegs – und doch auf St. Pauli zuhause. Benakovic erzählt von Damen der Nacht, „Ghetto-Romantik“ und Zuhältern von nebenan.
Tomas Benakovic ist ein echter Tausendsassa. Als Geschäftsmann, Filmproduzent und Besitzer der bekannten „Hans-Albers-Klause“ ist der 48-Jährige auf dem ganzen Planeten unterwegs – und doch auf St. Pauli zuhause. Benakovic erzählt von Damen der Nacht, „Ghetto-Romantik“ und Zuhältern von nebenan.
Es begann auf dem Schulhof. Mit „vom Laster gefallenen“ Jeans, die er an Mitschüler vertickte. Da war „Tomi“ gerade mal 14 Jahre alt. Seine Kindheit: geprägt von Kneipe, Milieu und Jugendgang. Aber auch von Zusammenhalt und der Liebe seiner Oma und Mutter. Heute ist Tomas Benakovic (48) als Unternehmer, Filmproduzent und Gastronom in der ganzen Welt unterwegs.
Doch sein Weg führt ihn immer wieder zurück zu seinen Wurzeln. Dieses eine tiefe Gefühl – das hat er nur auf St. Pauli. „Du kannst aus dem Ghetto, aber dein Ghetto nicht aus dir. Ich bin und bleibe Kiez“, sagt der Mann mit akkurat gestutztem Bart und nach hinten gestylten Haaren. Er ist Inhaber der „Hans-Albers-Klause“ an der Friedrichstraße. Dem Ort seiner Kindheit.
Kiezmenschen: In der „Hans-Albers-Klause“ ist Tomas Benakovic zuhause
Die Klause war schon immer Teil seines Lebens. Als Tomas knapp zwei Jahre alt war, übernahm seine aus Jugoslawien ausgewanderte Mutter die 1938 eröffnete Traditionskneipe. „Da meine Mama alleinerziehend war, bin ich in der Klause aufgewachsen. Das war mein Wohnzimmer, mein Spielplatz.“ Ein Laden geprägt durch seine vielen Stammgäste. Von der Dame der Nacht über den Hausmeister und Hafenarbeiter bis hin zum Schuster. Alle hätten sich immer liebevoll um ihn gekümmert.
„Ich habe nur positive Erinnerungen an diese Zeit. Einzig den Geruch von Bier konnte ich bis Ende 30 nicht ertragen.“ Besonders erinnert sich Tomas an Mitarbeiter Django. „Ein kurioser Kerl, der fast wie ein Albino aussah. Der war unheimlich weiß.“ Stets trank er Grog, dazu einen Liter Milch. Tomas lacht. Auch Oma Anna, die bereits verstorben ist, wird er nicht vergessen. Sie und seine leibliche Oma, die Tür an Tür mit ihm wohnte, kümmerten sich um Tomas und zeigten ihm, dass die Welt größer ist als St. Pauli.

Von Glamour bis Gosse, von Blaulicht bis Rotlicht: Originale gibt es auf St. Pauli so einige. In der MOPO-Serie „Kiezmenschen“ zeigen Ihnen starke Frauen, protzende Kerle und Kultfiguren ihre Welt. Herzlich, persönlich, nah dran. Parallel dazu erzählen sie jede Woche im gleichnamigen Podcast ihre Geschichten.
Alle Podcast-Folgen der „Kiezmenschen“ finden Sie unter MOPO.de/Podcast, bei Spotify und Apple Podcasts.
Doch das waren nur kurze Ausflüge. Alles, was über den Kiez hinausging, war für Tomi, wie ihn alle nannten, Ausland. Seine Welt erstreckte sich über wenige Hundert Meter. Er ging auf dem Kiez in die Kita, zur Schule und lebte in einer Wohnung an der Talstraße. „Das war sehr bunt und abenteuerlich. Ein Mikrokosmos.“ Tomas schwärmt von den alten Geschäften.
Dem Gemüseladen eines Ehepaars aus dem Alten Land, dem Schlachter, Schuster, der Drogerie, dem Tante-Emma-Laden mit der fast 90-jährigen Inhaberin, die immer schick zurechtgemacht war. „Das waren alles Familienbetriebe, die das gelebt haben.“ Aber auch Heroinabhängige mit Spritzen im Arm, die ihn auf dem Schulweg kreidebleich anstarrten, waren seine Realität.
Das könnte Sie auch interessieren: „Wir kennen das schon“: Hamburger Hotel-Chefin über Nackte an der Rezeption
Huren, Luden, Freier, Betrunkene – Tomas hat all das schon früh „zu 100 Prozent“ erlebt. Für ihn Normalität. Skurril jedoch fand der Junge die Begegnungen auf dem Transenstrich an der Schmuckstraße. Er erinnert sich an zwei Meter große, etwa 120 Kilogramm schwere Damen auf Pfennigabsätzen mit Pekinesen an der Leine, extrem viel Schminke, wallender Haarpracht und „Brüsten, die so groß waren wie ich als kleiner Junge, wenn ich mich zusammengekauert hätte“, sagt Tomas grinsend.
Als Kind habe er keine Ahnung gehabt, was die Damen beruflich machen. Es war ihm auch egal. Als Jugendlicher zog er mit seiner Gang, einer kleinen Bande von sechs Jungs, regelmäßig am Fenster einer südamerikanischen Transe vorbei. Jedes Mal zog sie ihr Shirt hoch und präsentierte ihre Brüste. Für die Jugendlichen keine große Sache. Hätte seine Mutter jedoch davon erfahren, sie wäre ausgeflippt. Sie zu enttäuschen – das war stets seine große Angst. Was ihn aber nicht davon abhielt, allerhand „Mist zu bauen“.

Nachdem er schon mit 14 Jahren „Levis 501“ auf dem Schulhof verkauft hatte, folgten Seidenhemden – mit denen sie mehr verdient hätten als ihre Lehrer. „Danach wurde es richtig abenteuerlich. Die Büchse der Pandora war geöffnet.“ Welche Geschäfte es konkret waren? Tomas schüttelt den Kopf und schweigt.
„Darüber rede ich definitiv nicht. Man kann aber sagen: So wird man Unternehmer“, witzelt er und lacht laut auf. Legal, illegal – völlig egal. Das sei auf dem Kiez damals nicht wichtig gewesen. Tomas überlegt. „Eigentlich war es gar nicht lustig. Der Spaß hörte schnell auf. Es hätte bei mir alles ganz anders enden können.“
Tomas Benakovic: Fatih Akin widmete ihm einen Kinofilm
Aber er hatte den Fußball. Der habe ihn gerettet. Schon als kleiner Junge war er fasziniert von der Kneipenmannschaft der „Klause“, die gegen andere Kneipenmannschaften antrat. Er kickte stundenlang mit seinen Jungs auf dem Bolzplatz. Mit 15 Jahren bekam Tomas beim FC St. Pauli Geld fürs Spielen. Geholfen hat ihm auch der Wechsel aufs Gymnasium Altona.
Dort lernte er „einen anderen Typ Mensch kennen, eine andere Kommunikationskultur“ und freundete sich mit Regisseur Fatih Akin und Schauspieler Adam Bousdoukos an. Die drei verband die Liebe zur Musik. Besonders Prince. Sie waren die „Tres Amigos“. Tomas berichtete häufig vom Leben auf dem Kiez. Aus seinen Erzählungen entstand der Film „Kurz und schmerzlos“, den Fatih Akin ihm widmete. Auch heute sind die beiden noch befreundet. Erst im Frühjahr waren sie wieder gemeinsam in Cannes bei den 75. Filmfestspielen.

Trotz des Abstands. Trotz der neuen Freunde. Für Tomas war nicht nur Fußballstar Maradona ein großes Vorbild. Auch die harten Kerle vom Kiez. Ihre dicken Uhren, schicken Klamotten, großen Karren. Tomas kannte die Zuhälter. Direkt neben der Klause befand sich damals das „Chikago“ des St. Pauli-Paten Ringo Klemm – das „Epizentrum des Milieus“.
„Die Jungs hatten Eier und Stil, waren cool, sehr nett. Egal, ob die Damen der Nacht, der Dieb oder Zuhälter. All diese Menschen gehörten hier hin.“ Tomas weiß, dass er eine große „Ghetto-Romantik“ in sich trägt. Damals wollte er so sein wie die Luden. Heute ist er dankbar, einen anderen Weg eingeschlagen zu haben.
Tomas Benakovic entdeckt seinen Geschäftssinn schon als Teenager
Einen Weg voller Ideen, voller Visionen und Geschäfte – manche erfolgreich, andere weniger. Nachdem er Marketing und Management studiert hatte, kam der endgültige Umbruch. Thomas verkaufte eine Immobilie in Altona, die ihm gehörte und fuhr einfach mit seinem Wagen los. Heute nennt er es seine „Reise ins Ich“ – die ihn anfangs ins spanische Tarifa führte. Dort lernte er das Kitesurfen. Er las viel, spürte die Entspannung, die Verbundenheit zur Natur. Doch es hielt ihn nicht dauerhaft. Nachdem Tomas einen Unternehmer kennengelernt hatte, ging er mit ihm nach Thailand und eröffnete einen großen Kite-Club.
Er lernte immer neue Leute kennen, immer neue Geschäftsideen. Tomas stieg ins Paprika-Geschäft ein und besaß zwei große Plantagen. Er entwickelte einen iPhone-Verstärker, arbeitete für das Modeunternehmen Zegna und war viel in der Schweiz, Spanien und Italien unterwegs. In Belgrad baute er mehrere Unternehmen auf und auch in Hamburg – wie eine Boutique am Mühlenkamp, eine Baufirma und die Cocktailbar „Bugsy“ am Hans-Albers-Platz. „Über all die Jahre hatte ich tausend Projekte. Was ich alles gemacht habe, ist eine lange Geschichte.“

In der Tat. Eine Geschichte, die längst nicht zu Ende ist. Auch heute ist Tomas noch schwer umtriebig und in der ganzen Welt unterwegs. Er ist Inhaber der IT-Firma „CryptoSolutions“, des „Dolce Vita“ am Dammtorbahnhof, Mitinhaber der „Bastion“ im Museum für Hamburgische Geschichte und Filmproduzent bei „Little Brother Films“. Doch egal was er gemacht hat, wo auf der Welt er war.
Die Liebe und Verbundenheit zu seinem Ghetto waren immer da. Als seine Mutter sich nicht mehr fit genug für die „Klause“ fühlte, war klar: Tomas hat zwar keine Lust, hinterm Tresen zu stehen, doch den Laden aufzugeben, kam für ihn nicht infrage. „Ich sehe das nicht als Saufstätte. Die ,Klause‘ ist Kulturgut. Davon gibt es hier leider nur noch sehr wenige Läden.“
Das könnte Sie auch interessieren: „Finanziell häufig knapp“: Kiez-Club in Sorge vor dem Winter
Für Tomas hat der Kiez nichts mehr mit Rotlicht zu tun. „Das ist mittlerweile ein Disneyland für Große, ein Spielplatz für Idioten. Weg mit der Krawatte. Weg mit den Manieren. Dann pöbeln sie rum, pinkeln an die Häuser und grabbeln Mädels an.“ Um ein Stück altes St. Pauli zu bewahren, bietet die „Klause“ Kieztouren mit der Historikerin Eva Decker an – auch für Schulklassen. Zudem engagiert sich Tomas als Vorsitzender des Bürgervereins St. Pauli, gemeinsam mit dem ehemaligen FC St. Pauli-Profi Benedikt Pliquett.
„Wir wollen informieren, uns vernetzen, gemeinsame Aktionen starten. Und auch die Zugezogenen miteinbeziehen.“ Tomas möchte, dass sich die Menschen auf dem Kiez wieder kennenlernen, sich austauschen, ihren besonderen Stadtteil gemeinsam gestalten. „So wie in den alten Zeiten.“ Ein bisschen Zusammenhalt von damals – das wünscht er seinem Viertel.

Steckbrief: Tomas Benakovic
Spitzname und Bedeutung: Schon meine Mutter hat mich Tomi genannt. Aber ausgesprochen wie Thommy.
Beruf/erlernte Berufe: Unternehmer, Inhaber der „Hans-Albers-Klause“, des „Dolce Vita“ am Dammtorbahnhof und der IT-Firma „CryptoSolutions“. Mitinhaber der „Bastion“ im Museum für Hamburgische Geschichte und Produzent bei „Little Brother Films“. Studiert habe ich Marketing und Management.
St. Pauli ist für mich … Kontrast. Mein Viertel. Und eine sehr gute Lebensschule.
Mich nervt es tierisch, wenn … sich zugezogene Leute über die laute Musik beschweren.
Ich träume davon, … dass das Viertel eine kulturelle und geistige Renaissance erlebt.
Wenn mir einer blöd kommt, … wende ich Bruce Lees Ratschlag an: „Be water, my friend.“
Zum Abschalten … höre ich klassische Musik.
Als Kind … Mama, Maradona, Bruce Lee, Prince, Rocky, Nikola Tesla, Schule, Freunde. Das fällt mir spontan bei Kindheit ein.
Meine Eltern … sind mein Halt, meine Inspiration, meine Liebe.
Vom Typ her bin ich … ein Ritter des Lichts – ein Teslaner. Schon als Kind war ich fasziniert vom Erfinder Nikola Tesla. Heute engagiere ich mich im Bürgerverein „Tesla Square“ und arbeite gerade an einer Doku für Amazon Prime über Nikola Tesla. Mein Lebensmotto: Erwartung ist die Mutter aller Enttäuschung.