Der Pflegedienst-Mitarbeiter mit dem Faible für Tussifummel
Fanny liebt Klamotten. Ständig findet sie etwas, das sie dringend haben muss. Christian hasst shoppen. Männerklamotten kauft er nur, wenn er unbedingt etwas braucht. Absolut klassisch – würde man meinen. Allerdings handelt es sich bei den beiden um ein und dieselbe Person: Christian Feder (34) – der Mann mit dem Ankleidezimmer voller Tussifummel. Unter der Woche Mitarbeiter eines Palliativ-Pflegedienstes. Am Wochenende Fanny Funtastic – die schrille Dragqueen aus der Olivia-Jones-Familie.
Fanny liebt Klamotten. Ständig findet sie etwas, das sie dringend haben muss. Christian hasst shoppen. Männerklamotten kauft er nur, wenn er unbedingt etwas braucht. Absolut klassisch – würde man meinen. Allerdings handelt es sich bei den beiden um ein und dieselbe Person: Christian Feder (34) – der Mann mit dem Ankleidezimmer voller Tussifummel. Unter der Woche Mitarbeiter eines Palliativ-Pflegedienstes. Am Wochenende Fanny Funtastic – die schrille Dragqueen aus der Olivia-Jones-Familie.
Fummel trägt Fanny nur am Wochenende. Zurechtgemacht ins Büro? „Da wäre mir die Vorbereitungszeit viel zu lang“, sagt Christian. Zwei Stunden dauert es ungefähr, bis aus dem schlanken Mann mit den akkurat frisierten Haaren und den weichen Gesichtszügen Fanny geworden ist. Duschen, rasieren, Make-up, Fummel. Ganz schön aufwendig. Aber für Christian nicht anstrengend. Schminken ist sein Yoga. „Ich finde das absolut meditativ. Dabei kann ich mich entspannen.“ Morgens vor der Arbeit allerdings undenkbar. Zwar ist Fanny eine Nachteule, Christian muss aber um spätestens 6.30 Uhr aus dem Bett. Seit knapp zwei Jahren ist er Mitarbeiter eines Palliativ-Pflegedienstes.
Einen Patienten wird Christian niemals vergessen
Von Anfang an kommunizierte der Chef offen, dass Christian am Wochenende als Fanny unterwegs ist. „Ständig standen Kollegen im Büro, die Fragen hatten oder eine Kieztour machen wollten. Eine Kollegin war so begeistert, dass sie jetzt Kobererin bei uns ist.“ Normalerweise sitzt Christian als Assistent der Geschäftsführung im Büro. Doch er bekommt viel mit von den Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen. Und war auch bei Besuchen dabei.
Einen Patienten wird er niemals vergessen. Ein junger Mann, Mitte 20, der mit seiner Freundin im Osten Hamburgs lebte. „Er hatte Leberkrebs und einen Wasserbauch, aus dem permanent Flüssigkeit abgelassen werden musste. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich war schwer geschockt.“ Aber es hat ihm auch geholfen. In den vergangenen vier Jahren hat Christian vier „liebe Menschen an diese Krankheit verloren. Ich kann jetzt viel besser mit der Situation umgehen.“ Er habe gelernt, den Tod zu akzeptieren.
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Dabei geholfen hat ihm auch sein Mann Justin, ein gelernter Altenpfleger, mit dem er in einer Wohnung auf dem Kiez lebt – Tür an Tür mit Olivia Jones. Mittlerweile haben sie die Seiten gewechselt. Justin rein in den Entertainmentbereich (er arbeitet als Spielleiter für Escape-Games im „Skurrilum“ im Klubhaus St. Pauli), er rein in die Pflege. Jedoch ist Christian, der zehn Jahre lang am „Schmidt-Theater“ gearbeitet hat, dem Nachtleben treu geblieben. Als Fanny arbeitet er jedes Wochenende in der „Olivia Jones Bar“ und macht Kult-Kieztouren. Für ihn kein Job, sondern „bezahltes Feiern“. Zwar ist Fanny schon seit sieben Jahren dabei, doch aufgeregt ist die Dragqueen noch immer vor jeder Tour. „St. Pauli ist meine Bühne, die Gäste sind mein Publikum.“

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Ein zuweilen skurriles Publikum. Als Fanny und Kollegin Vanity Trash vor drei Wochen auf den Tourstart warteten, habe ein Typ, der mit einem Junggesellenabschied unterwegs war, um ein Foto gebeten. „Nur wenn du blankziehst“, scherzte die Kollegin. Gesagt. Getan. Zack, waren Hose und Unterbüx runter. „Wir hatten den vollen Ein- und Ausblick. Das will man nicht. Dafür war ich deutlich zu nüchtern“, sagt Christian lachend. Umso voller war Fanny bei der Exklusivtour einer Spirituosen-Firma mit Gästen aus Estland. An jedem Stopp wurde ein Kurzer getrunken. „Den brauchte ich auch. Die haben bei keinem meiner Gags gelacht.“ Fanny frustriert. Am Ende der Tour sagte der Veranstalter, dass es super gewesen sei, sie aber leider kaum Englisch sprechen und nichts verstanden hätten. Christian schüttelt den Kopf. „Unglaublich, was man da so alles erlebt.“
Brenzlig wird es manchmal bei Touren am Hamburger Berg
Gelegentlich wird es auch brenzlig während der Touren. Besonders mit Betrunkenen am Hamburger Berg. „Deshalb haben wir immer Security dabei.“ Einmal bewarf ihn jemand mit einer Flasche, traf zum Glück aber nicht. Ein anderes Mal baute sich an einem lauen Sommerabend ein Mann im bodenlangen Wintermantel mit Hut vor Fanny auf. „Der sah im Gesicht aus wie Fritz Honka. Ich dachte nur: ‚Oh Gott, was passiert jetzt?‘“ Er nahm Fannys Hand, zog sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Soll ich dich gleich langmachen oder später?“ Fanny schockiert. Sie rechnete damit, angegriffen zu werden. Falsch gedacht. Im nächsten Moment fragte er: „Blasen oder ficken?“ Christian schüttelt den Kopf. Solch anstößige Angebote bekomme er als Fanny häufig. Besonders von Taxifahrern.

Wenn es am Wochenende zu voll auf den Straßen ist, fährt die Dragqueen nach der Arbeit mit dem Taxi nach Hause – auch wenn es bloß fünf Minuten sind. Fanny hat keine Lust, im Fummel über den Kiez zu laufen. Einmal sagte ein Fahrer, als sie einstieg, er habe seine Schicht gerade erst angefangen. Als sie ausstieg, sagte er, er habe gleich Feierabend und könne noch mit hochkommen. „Als ich ablehnte, schlug er vor, dass ich ihm im Taxi noch einen mundigen könnte.“ Eine Frechheit. Fanny vermutet, dass die Männer meinen, sie würde gerade aus der Schmuckstraße kommen und ihren Körper ohnehin verkaufen.
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Für Christian ist Fanny eine Kunstfigur. „Fünf Kilo Putz im Gesicht, Perücke und Fummel – das würde ich privat nicht machen.“ Allerdings ist nur die Hülle Verkleidung. „Alles, was rauskommt, ist Teil meiner Persönlichkeit.“ Nur seine Stimme, die sei ein bisschen höher bei Fanny, meinen seine Freunde. Extrovertiert, derbe Sprüche, zotige Witze – so ist Christian auch privat. „Ich stehe schon gerne im Mittelpunkt.“ Das war schon früher so. Als Christian noch im beschaulichen Naumburg an der Saale wohnte – „ein Kaff“ im südlichen Sachsen-Anhalt. Damals spielte er im Schultheater und hatte jahrelang eine Freundin. „Ich habe nicht gedacht, dass es für mich noch etwas anderes geben könnte.“
Doch nach der Schule ging er an eine Schauspielschule in Hamburg und verliebte sich in seinen ersten Freund. Einen Typen aus der Gesangsklasse. Nach einem halben Jahr war Schluss und Christian kam mit einem anderen Kommilitonen zusammen. Sich offenbaren konnte er aber noch nicht. „Meine Familie hat auf die nächste Freundin gewartet.“ Erst ein Dreivierteljahr später outete sich Christian. Schriftlich. Mail an die Eltern. Brief an die Oma. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, mich da hinzusetzen.“
Filmrolle als Fanny an der Seite von Axel Milberg
Heute weiß Christian: Er hätte es tun können. Sein Vater habe zwar im ersten Moment geheult – wegen der Enkelkinder, die Christian ihm nicht schenken würde. „Aber meine Familie reagierte cool.“ Einzig seine Oma sprach drei Monate nicht mit ihm. „Die musste das erst mal verdauen. Das habe ich auch verstanden. Das ist eine andere Generation.“
Auch dass Christian regelmäßig zu Fanny wird, unterstützt die Familie. Und ist stolz, dass er sogar in einem Film zu sehen ist. In „Meine Freundin Volker“ spielt er an der Seite von Axel Milberg. Klar, als Fanny. Die Rolle seines Lebens, die eigentlich keine ist. Die ein Teil von ihm ist und die er sich nicht vorstellen kann, jemals aufzugeben. Genauso wenig wie den Kiez. „Hier holt mich nichts mehr weg. Die müssen mich schon im Sarg raustragen.“ St. Pauli ist zu Hause. Ob Christian oder Fanny – hier kann er sein, was er will.

Steckbrief Christian Feder (34)
Spitzname und Bedeutung – „Fanny Funtastic“ ist in einer Schnapslaune im „Schmidt-Theater“ an der Hausbar entstanden. Es gab viel Mexikaner und eine App, die dir deinen Pornodarsteller-Namen ausspuckt. Ich wollte unbedingt was mit „F“ – das kam dann dabei raus.
Beruf/ erlernte Berufe – Dragqueen und Assistent der Geschäftsleitung des Palliativ-Pflegedienstes „Goldbach Palliativpflege Team“, ausgebildeter Schauspieler
St. Pauli ist für mich… wahr gewordene Heimat.
Mich nervt es tierisch, wenn… zu viele Junggesellenabschiede mit Bauchläden den Kiez fluten.
Ich träume davon… mal auf einem Kinoplakat zu sehen zu sein.
Wenn mir einer blöd kommt,… kontere oder ignoriere ich.
Zum Abschalten… gehe ich mit meinem Hund Xaver an die Elbe.
Als Kind… habe ich die Nachthemden meiner Mutter angezogen.
Meine Eltern… sind toll. Sie haben mich einfach machen lassen – und das war ganz gut so.
Vom Typ her bin ich… einerseits bunt, schrill und laut, andererseits nachdenklich, sehr loyal und lieb.