Mit blanker Hand ins Klo, Zaubermittel gegen Kotze – Atze macht den Kiez sauber
Sex, Drugs und nasse Feudel: Wenn an der Großen Freiheit gefeiert wird, ist Klomann, Putz-Experte und Hausmeister André „Atze“ Schneider (44) ganz nah dran. Er kennt mehr Anekdoten als jeder Touri-Führer. In der MOPO packt der harte Hund mit Herz aus.
Atze lacht laut und gerne, hat stets einen lockeren Spruch parat. Ein lustiger Typ, den kaum etwas erschüttern kann. Doch der bullige Mann mit den Tätowierungen hat auch seine Regeln. Und wer die nicht befolgt, bekommt mitunter seinen Feudel zu spüren. André Schneider (44), wie er eigentlich heißt, aber nie genannt wird, ist der Saubermann von der Großen Freiheit. Früher arbeitete er als Klomann, heute rückt er an, wenn die Partys vorbei sind. Und beseitigt die teils skurrilen Überbleibsel der Nacht. Ein harter Job, den er mit Herzblut macht. Und nicht nur den. Er ist auf dem Kiez auch Hausmeister und Spielothek-Mitarbeiter.
Kiezmenschen: Der Tatortreiniger von St. Pauli
- Deutsch (Deutschland)
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Sex, Drugs und nasse Feudel: Wenn an der Großen Freiheit gefeiert wird, ist Klomann, Putz-Experte und Hausmeister André „Atze“ Schneider (44) ganz nah dran. Er kennt mehr Anekdoten als jeder Touri-Führer. In der MOPO packt der harte Hund mit Herz aus.
Atze lacht laut und gerne, hat stets einen lockeren Spruch parat. Ein lustiger Typ, den kaum etwas erschüttern kann. Doch der bullige Mann mit den Tätowierungen hat auch seine Regeln. Und wer die nicht befolgt, bekommt mitunter seinen Feudel zu spüren. André Schneider (44), wie er eigentlich heißt, aber nie genannt wird, ist der Saubermann von der Großen Freiheit. Früher arbeitete er als Klomann, heute rückt er an, wenn die Partys vorbei sind. Und beseitigt die teils skurrilen Überbleibsel der Nacht. Ein harter Job, den er mit Herzblut macht. Und nicht nur den. Er ist auf dem Kiez auch Hausmeister und Spielothek-Mitarbeiter.
Kiezmenschen: Der Tatortreiniger von St. Pauli
Lachend knallt Atze den großen Schlüsselbund auf den Tisch. Sein Heiligtum, erklärt er. Damit kommt er an der Großen Freiheit in etliche Läden. Dass er im Colibri, in der Großen Freiheit 36, Thai Oase, Olivia Jones Bar, bei den Wilden Jungs und im SM-Studio von Olivia Jones ein und aus gehen kann – für den Putzmann und Hausmeister ein großer Vertrauensbeweis. Ein Vertrauen, das er niemals missbrauchen würde. „So was gibt es hier nicht. Die Große Freiheit ist wie eine Familie.“ Atze glaubt, dass die Menschen, die hier arbeiten, gar keine normalen Jobs mehr machen könnten. Sich von einem 20-jährigen Chef irgendwelche Vorschriften machen lassen – der Saubermann schüttelt den Kopf. „Das wird nichts. Dafür hast du auf dem Kiez ooch einfach schon zu viel erlebt.“
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Das hat Atze sicher. Der Mann, dessen breiter Dialekt verrät, dass er nicht aus Hamburg stammt, kam 2008 in die Hansestadt. Aus dem kleinen Ort Kirchmöser im tiefsten Brandenburg. Ein verschlafenes Nest inmitten schöner Natur. Der Abschied fiel Atze nicht schwer. Als eine Sicherheitsfirma Personal suchte, kehrte er der Heimat den breiten Rücken. Seine Kiez-Geschichte begann ein paar Jahre später. Der gelernte Dachdecker stieg erst als Haustechniker in der Großen Freiheit 36 ein, vor neun Jahren dann als Putzmann. Mittlerweile hat er seine eigene Reinigungsfirma. Und schon etliche Einsätze hinter sich.
Kiezmenschen: Atze findet übriggebliebene Gäste
Putzen auf dem Kiez – das hört sich nach einer verdammt harten Nummer an. Atze lacht seine laute, donnernde Lache. „Hart ist relativ. Mir fallen als Erstes lustige Momente ein.“ Wenn mal wieder ein Anruf kommt, dass die Toilette verstopft ist. „Da muss man ooch mal beherzt reingreifen.“ Aber doch hoffentlich mit Handschuh? „Ach, quatsch. Scheiß auf den Handschuh. Bis ick das Ding anhabe. Das ist mir viel zu blöd.“ Mal zieht er Slips aus den Klos, mal Stumpfhosen, einmal war es eine Damenjeans. Atze schüttelt den Kopf. „Unfassbar. Ich frag mich bis heute, wie die Frau die Jeans ins Klo bekommen hat. Und ob sie in Unterhose den Laden verlassen hat.“ Bevorzugt aus der Damentoilette holt Atze immer wieder auch Handys. Manchmal funktionieren sie sogar noch.
Gelegentlich findet Atze auch übrig gebliebene Gäste. Die es vor Ladenschluss nicht mehr vom Klo geschafft haben. Allerdings nur in großen Läden. Einmal öffnete er mit einem 50-Cent-Stück die verschlossene Tür. Dahinter zusammengesackt auf dem stillen Örtchen ein junger Mann – selig schlummernd. Atze: „Hey Junge, wat is denn los mit dir?“ Die Antwort: „Hä?“ Atze: „Party is zu Ende.“ Die Antwort: „Ähä!“
Kiezmenschen: Wann wird es für Atze grenzwertig?
Atze lacht. Meistens sei es sehr lustig. Eine Geschichte, die ihn bis heute glücklich macht: Eine Frau hatte ihren Ehering im Kaiserkeller verloren und sich verzweifelt an ihn gewandt. Sie weinte und bat um Hilfe. Atze suchte und suchte. Vergebens. Monate später entdeckte er den Ring mit Brillis und Gravur. Verkeilt zwischen Tresen und einer davor stehenden Eisenstange. „Die hat Rotz und Wasser geheult vor Glück. Das war ein geiles Gefühl.“
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Grenzwertig wird es selbst für ihn, wenn die „hinteren Ausflüchte ’nen halben Meter die Wand hochgespritzt sind.“ An den Schietkram gewöhnt man sich nicht. An Kotze schon – findet Atze. Da hat er ein Zaubermittel. Ein Pulver, das er auf den Mageninhalt streut. Dann kann er den Dreck einfach auffegen. „Das riecht wie Blumenwiese. Geniale Erfindung.“ Richtig abstoßend sind für ihn „Blutgeschichten“. Bei denen hüllt er sich komplett in Schutzkleidung. „Da kannst du dir einfach viel zu viel wegholen“, sagt Atze, der auch schon als Klomann gearbeitet hat. Damals im Colibri. Da hatte er klare Regeln. Die erste: Auf seiner Toilette gibt es keine Drogen. Aber wie kontrolliert man das? „Der Bauer erkennt seine Schweine immer am Gang. Du hast ein Auge dafür. Da gibt es rigoros ein paar mit dem Feudel. Das war mir vollkommen egal.“ Nicht nur die Nummer mit dem Feudel sprach sich schnell rum. Auch dass Atze die Drogen im Klo runterspülte, schreckte die konsumierenden Partygänger ab. „Da war ratzifatzi Ruhe.“
Kiezmenschen: Das sind Atzes Regeln auf der Toilette
Seine zweite Regel: Glasverbot auf der Toilette. „Getränke haben auf dem Scheißhaus nichts zu suchen.“ Und seine dritte und eigentlich wichtigste Regel: Auf Atzes Klos wird nicht „geknistert“. Zwar ließ er den Feudel in den Fällen stecken, doch „da war ick noch viel schlimmer“. Einmal bot ihm ein Typ 20 Euro, damit er mit einem Mädel ungestört aufs Klo könne. Atze lehnte ab. Der junge Mann versuchte es noch mal. „Und wenn ich die 20 Euro einfach fallen lasse?“ Kopfschütteln. „Und ein Fuffi?“ Keine Chance. Kurz darauf bildete sich vor der Damentoilette eine Schlange. Atze ging nachschauen. Er klopfte. Keine Reaktion. 50 Cent in den Schlitz. Tür auf. „Ick konnte es nicht glauben. Die beiden waren komplett nackt. Wenn man schon auf dem Klo vögelt, warum zieht man sich dann ganz aus? Wie ekelhaft ist das?“ Anstatt sich schnurstracks anzuziehen, fing der Typ an mit Atze zu diskutieren. Der Klomann packte ihn am Arm und zog ihn raus. Nackt. Vor den Augen etlicher Damen. Von der Treppe brüllte eine Frau: „Und wegen diesem kleinen Ding machst du hier so einen Otto.“ Atzes Lache donnert. Er haut sich vor Freude auf den Oberschenkel. Das sei ’ne geile Nummer gewesen. Unfassbar.
Normalerweise ging es gesitteter zu. Die Gäste hielten sich an seine Regeln. Besonders die Männer. Bei den Frauen war es durchaus schwieriger. „Frauen sind deutlich schlimmer als Männer. Die verbrauchen Unmengen Klopapier. Da wird die Klobrille erst mal fünf Zentimeter dick gepolstert, damit der Po schön warm ist.“ Dann halten sich Frauen häufig nicht an das Rauchverbot. Und das Schminken. Atze verdreht die Augen. „Dat fällt runter, die Nächste latscht druff. Dann hast du die ganze Schmiere auf dem Fußboden.“ Trotz der kleinen und größeren Schweinereien schwärmt Atze von seiner Zeit als Klomann. Wenn Stammgäste in den Keller kamen, um mit ihm ein Bier zu trinken, eine zu rauchen – ein bisschen Geselligkeit am Rande des Rummels. „Das war ’ne jeile Zeit. Würde ick wieder machen.“
Kiezmenschen: Neben Putzen noch im Casino
Momentan undenkbar. Atze hat keine Zeit. Neben seinem Putzjob, für den er zwischen drei und vier Uhr nachts aufstehen muss, arbeitet er seit knapp zwei Jahren auch noch sechs Tage die Woche in der Spielothek an der Großen Freiheit. Als Servicekraft. Geld wechseln. Automaten beaufsichtigen. Getränke ausschenken. Anfangs mochte er die Arbeit. Mittlerweile ist es langweilig. Viele der Gäste sind nicht geimpft. Für sie ist der Zutritt verboten. „Vorher hast du so viele Menschen kennengelernt. Das war der Wahnsinn, woher die alle kamen.“
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Die Stammspieler allerdings haben Atze von Anfang an zu schaffen gemacht. „Das ist ganz weit von lustig entfernt.“ Menschen, die eigentlich sowieso schon nichts haben. Und das bisschen, was sie haben, auch noch verzocken. „Das ist traurig. Man verdient Geld mit dem Leid dieser Leute“, sagt Atze gar nicht mehr fröhlich. Seine Stimme klingt betroffen. Er hat Mitgefühl. Trotzdem müsse er darüberstehen. Immer wieder sucht Atze das Gespräch zu den spielsüchtigen Stammgästen und versucht sie zu überzeugen, sich sperren zu lassen. Sie können ein Formular ausfüllen, das ihnen den Zutritt zu den Spielhallen verbietet. „Es ist unsere Pflicht auch Spielerschutz zu betreiben.“ Manchmal sind die Gäste einsichtig. In den meisten Fällen jedoch nicht. „Viele von denen sind schon echt runter. Wenn die ihr Kindergeld verzocken, geht mir die Krempe hoch. Das ist einfach nur übel“, sagt der Mann, der selber Vater von zwei jugendlichen Kindern aus erster Ehe ist.
MOPO-Serie: Der Kiez hat sich für Atze entschieden
Atze kann nicht verstehen, wie man sein Leben derart vergeuden kann. Er genießt jeden Tag. Besonders weil er schon mehrfach mit dem Tod rang. Zwei Herzinfarkte hat er hinter sich. Und einen schweren Unfall. Das war 2016, als er als Securitymann im Bühnengraben bei einem Festival arbeitete. Über den Köpfen der Fans wurde ein Crowdsurfer zu ihm gereicht. „Eine richtige Wuchtbrumme.“ Der Mann trat ihm mit voller Wucht in die Seiten. „Da war die Luft kurz weg.“ Anstatt zum Arzt zu gehen, schmiss Atze Schmerzmittel ein und arbeitete weiter. Kurz darauf fiel er ins Koma. Seine Lungen waren kollabiert. „Die Ärzte sagten, man solle sich nicht allzu große Hoffnungen machen.“ Doch Atze schaffte es. Zwei Wochen später, am Geburtstag seiner Freundin, erwachte er.
Es folgte ein harter Kampf zurück ins Leben. Zurück auf den Kiez. Doch die Entscheidung für oder gegen St. Pauli, die könne man ohnehin nicht selber treffen. Der Koberer Fabian Zahrt sagte einmal zu Atze: „Nicht du entscheidest, ob du zum Kiez gehörst. Der Kiez entscheidet.“ Mittlerweile ist sich Atze sicher: Er bleibt auf St. Pauli. Muss er jawohl. Schließlich hat der Kiez entschieden.