x
x
x
  • Kreml-Chef Wladimir Putin lobt den glimpflichen Verlauf der Pandemie in seinem Land. Doch die Todeszahlen sagen etwas anderes.
  • Foto: picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP

Zahlen geschönt?: Die Wahrheit über die Corona-Lage in Russland

Moskau –

Kremlchef Wladimir Putin kann gar nicht oft genug betonen, wie gut Russland die Pandemie bewältige – wesentlich besser als die EU und die USA. „Bis Mai sind wir mit Corona durch“, frohlockte er kürzlich. Doch die Sterbefälle des Landes lassen Zweifel an seiner Version aufkommen.

Frisiert Russland seine Corona-Zahlen? Den Eindruck bekommt zumindest der, der seinen Blick von der regierungsnahen Quelle hebt, die stets von Putin und seinem Umfeld genannt wird. Auf der Internetseite der Regierung „Stop Coronavirus“ heißt es, dass bis Ende 2020 insgesamt mehr als 57.000 Tote im Land verzeichnet wurden. Das ist mit Blick auf die Bevölkerungszahl in Russland tatsächlich deutlich weniger als in anderen Ländern.

Russland: Corona-Zahlen des Kremls auffallend niedrig

Fachleute und Journalisten versuchen jedoch seit längerem, jenseits der Kreml-Zahlen eine Vorstellung von der Corona-Situation in Russland zu bekommen. Bereits die russische Statistikbehörde „Rosstat“ zeigt ein ganz anderes Bild der Pandemie.

Das könnte Sie auch interessieren: Pandemie-Durchbruch? Als erstes Land: Russland lässt Corona-Impfstoff offiziell zu

Hier heißt es, dass etwa 104.000 Menschen im vergangenen Jahr an Corona gestorben seien – das Virus war bei ihnen die Haupt-Todesursache. Dazu kommen 58.000 Tote, bei denen das Virus nicht als Haupt-Todesursache gilt. Insgesamt sind das demnach 162.000 Menschen, die an oder mit Corona im vergangen Jahr verstorben sind, so berichtete der „Spiegel“. Die Diskrepanz zwischen den Zahlen von „Rosstat“ und denen der Regierungsseite ist demnach auffällig groß. 

Russland verzeichnet stark gestiegene Todesfallzahlen

Hinzu kommt, dass Russland im Pandemie-Jahr 2020 generell stark gestiegene Todesfallzahlen verzeichnete. Normalerweise ändert sich die Anzahl der Sterbefälle von Jahr zu Jahr kaum. Es sei denn, ein besonders aggressives Virus grassiert – wie das Coronavirus.

Eine sogenannte Übersterblichkeit ist zu Zeiten einer Pandemie nichts Ungewöhnliches, in vielen Ländern ist sie derzeit zu beobachten. Belgien verzeichnete 2020 beispielsweise etwa 17 Prozent mehr Sterbefälle als im Jahr zuvor. Doch die hohe Anzahl an Sterbefällen weckt Zweifel an Russlands angegebenen Corona-Zahlen.

Insgesamt vermeldete die Statistikbehörde „Rosstat“ für das vergangene Jahr 2,1 Millionen Todesfälle – das sind 335.000 Tote mehr als die Behörde für 2020 prognostiziert hatte: Ein Plus an Toten von 19 Prozent. 

Regierung räumt Zusammenhang zwischen Corona und Übersterblichkeit ein

Der Schluss liegt nah, dass sich die hohe Übersterblichkeit größtenteils aus Opfern des Coronavirus zusammensetzt. Dafür sprechen drei Gründe:

Erstens: Die Todesfälle schnellten ab Oktober 2020 landesweit nach oben, als die zweite Infektionswelle Russland überrollte.

Zweitens: Selbst Russlands Regierung räumte im Dezember offiziell ein, dass die hohe Übersterblichkeit überwiegend auf Corona zurückzuführen sei.

Der dritte Grund ist die Beobachtung, dass offenbar nicht alle lokalen Behörden die Zahl der Corona-Toten vollständig angeben.

In Moskau und Sankt Petersburg sind die Übersterblichkeit und die Corona-Toten ähnlich hoch. Doch in den Republiken Tschetschenien im Kaukasus und Tatarstan an der Wolga sowie im Leningrader Gebiet um Sankt Petersburg werden trotz hoher Übersterblichkeit nur wenige Corona-Tote verzeichnet.

Pathologen sollen unter Druck gesetzt worden sein

In den ländlichen Gebieten ist das Gesundheitssystem oft nicht in bestem Zustand, es fehlen Ressourcen und Möglichkeiten, das Coronavirus zuverlässig nachzuweisen. Doch es gab auch immer wieder Berichte, dass Pathologen unter Druck gesetzt wurden, damit sie andere Todesursachen angeben.

Dmitry Kobak, Forscher der Universität Tübingen und Experte für Datenanalysen, hat die Sterbestatistiken aus Russland gerade intensiv analysiert. Er berichtete dem „Spiegel“: „Aus dem Nordkaukasus werden viel zu niedrige Corona-Zahlen gemeldet“. Die Region sei auch bei Wahlen bereits auffällig gewesen, die Ergebnisse waren ganz offensichtlich frisiert. „Niemand erwartet, dass offizielle Zahlen aus dem Nordkaukasus auch nur im Ansatz stimmen“, so Kobak.

Die Zahlen der hohen Übersterblichkeit zeigen, dass Russland keinesfalls besser als andere Staaten durch die Pandemie gekommen ist. Im Gegenteil: Das Land gehört zu den Staaten mit der höchsten Übersterblichkeit 2020 weltweit. Wenn man Kobaks Berechnungen folgt und die Übersterblichkeit als Grundlage nimmt, wäre Russland nach den USA mit Blick auf die Corona-Toten seit Beginn der Pandemie weltweit die traurige Nummer zwei.

Verbessern könnte die Situation der heimische Impfstoff Sputnik V. Der wird offensiv beworben. Und ohne Altersbeschränkung an alle verimpft, die möchten. Ein Problem: Trotz der Werbekampagne wollen dies laut dem unabhängigen Meinungsforschungs-Institut Lewada nur 38 Prozent der Bevölkerung. Entsprechend hinkt Russland beim Impfen auch noch hinterher. Zuletzt waren es auf die Gesamtbevölkerung bezogen nur etwa halb so viele Menschen wie hierzulande. (vd)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp