„Verdachtsfall“ für den Verfassungsschutz: Was bedeutet das künftig für die AfD?
Köln/Berlin –
Erst waren es nur der Rechtsaußen-„Flügel“ der Partei und einzelne ostdeutsche Landesverbände. Seit gestern ist klar: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stuft die gesamte AfD als „rechtsextremen Verdachtsfall“ ein. Damit könnte nun das volle Beobachtungs-Programm greifen: E-Mail- und Telefonüberwachung, V-Leute, Observationen.
Es war keine Überraschung. Seit Ende Januar war klar, dass das BfV die gesamte AfD zum Verdachtsfall erklären würde. Grundlage für die Entscheidung: Ein rund 1000 Seiten langes Gutachten, für das seit Anfang Januar 2019 Material gesammelt worden war aus öffentlich zugänglichen Quellen. Schließlich äußerten sich immer wieder Parteimitglieder rassistisch oder menschenverachtend.
Zustimmung bei anderen Parteien
Auch Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Bundestag, schrieb auf Twitter, dass es für diese Einschätzung keinen Verfassungsschutz gebraucht hätte: „Reicht auch, sich jede Sitzungswoche deren Reden anzuhören.“ SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil befürwortete den Vorgang gegenüber dem „Spiegel“: „Das rechtsextreme Gesicht der AfD ist in den letzten Jahren immer sichtbarer geworden.“
Aus AfD-Reihen kam weniger Applaus. Fraktionschefin Alice Weidel etwa nannte die Entscheidung „politisch motiviert“ und kündigte juristische Schritte an: „Ich bin mir sicher, dass eine solche Einstufung der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben wird.“ Ähnlich äußerte sich Dirk Nockemann vom eher moderaten Hamburger Landesverband. Die „Schlapphüte“ machten sich zum Erfüllungsgehilfen von Politik und Medien, um die AfD auszuschalten. „Aber das wird ihnen nicht gelingen.“
Juristische Auseinandersetzungen werden folgen
Beim Verwaltungsgericht in Köln (dem Sitz des BfV) läuft ohnehin schon ein Verfahren gegen die Einstufung. Deswegen wird sich das BfV wohl auch zunächst bei der Beobachtung von Abgeordneten der Partei zurückhalten müssen. Und wollte aus dem selben Grund auch nicht öffentlich Stellung nehmen. Auch beim Hamburger Verfassungsschutz hieß es gegenüber der MOPO, man äußere sich wegen eines „laufenden Verfahrens“ nicht, aber beobachte weiter Hamburger Ex-„Flügel“-Mitglieder. Es gebe dort zudem Erkenntnisse über Verbindungen zu „Querdenkern“ und den „Michel wach endlich auf“-Demos, die weiterhin im Visier seien.
Und was bedeutet die Einstufung nun für die AfD? Ist ein Effekt etwa auf die kommenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu erwarten? Oder bei der Bundestagswahl? Was würde eine juristische Bestätigung mittel- bis langfristig für Auswirkungen haben? Die MOPO hakte nach beim Parteienforscher Prof. Elmar Wiesendahl (ehemals Helmut-Schmidt-Universität, heute Agentur für politische Strategie).
Mobilisierender Effekt im Osten?
Er erwarte eine „Skandalisierung seitens der AfD“, so der Professor. Öffentlich werde sich bestimmt über „Systemparteien“ oder ähnliches beschwert, die mit dem „Knüppel“ des Verfassungsschutzes drohen würden. „Das kann einen mobilisierenden Effekt in Ostdeutschland haben“, vermutet Wiesendahl. Im Westen aber glaube er nicht, dass es einen spürbaren Effekt etwa bei den beiden Landtagswahlen am 14. März geben wird.
In Deutschland gebe es ein „Potenzial von Rechtsaußen-Wählern von rund 20 Prozent“. Dieses habe die Partei in den vergangenen Jahren immer mehr an sich gebunden. An den Randbereichen, bei den Protestwählern, da könne so eine Einstufung durch das BfV vielleicht abschreckend wirken. Aber beim harten Kern, da würde das bestimmt als „Kampagne“ des „Systems“ gedeutet: „Diese Leute sind nicht zu beeindrucken.“
Professor vermutet „Burgfrieden“ innerhalb der AfD
Innerhalb der AfD, zwischen Ex-„Flügel“-Mitgliedern und Moderaten, erwartet Wiesendahl einen „Burgfrieden“: „Ruhe im Karton wird die Parole sein“, sagte er zur MOPO. Zumindest bis zur Bundestagswahl, wenn nicht bis zum Ende der juristischen Auseinandersetzungen.
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Spannend dürfte es wiederum im Osten der Republik werden, wo laut dem Professor Teile des rechten CDU-Flügels auch „Kontakte persönlicher Art“ zu AfD-Vertretern pflegten. Dort dürfte die Einstufung durch das BfV durchaus „disziplinierenden Charakter“ haben, so Wiesendahl.