Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann macht sich Sorgen um das Ansehen des Verfassungsgerichtes – und gibt Jens Spahn die Schuld. (Symbolbild) Foto: picture alliance/dpa | Katharina Kausche

Streit um Verfassungsrichter – SPD weiter sauer

Nach der geplatzten Wahl von drei Verfassungsrichtern setzt die Union auf ein baldiges Einvernehmen mit der SPD. „Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden“, sagte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. In der SPD ist der Unmut über die gescheiterte Wahl unterdessen weiter groß. Sie hält an ihren beiden Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht fest. 

Wegen massiven Widerstands in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf waren die Abstimmungen über die insgesamt drei Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags genommen worden.

Hintergrund sind eine liberale Haltung der Professorin zu Abtreibungen, aber auch ihre Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie. Zusätzlich Dynamik in die Debatte kam durch den Hinweis des österreichischen Plagiatssuchers Stefan Weber auf Übereinstimmungen zwischen der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns


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SPD: „Wir halten an unseren Kandidaten fest“

Außer Brosius-Gersdorf hatte die SPD noch die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold nominiert und die Union den vom Verfassungsgericht empfohlenen Arbeitsrichter Günter Spinner.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch ließ seinem Unmut in einer persönlichen Erklärung zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause noch einmal freien Lauf. „Was wir heute aber auch erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen. Das ist brandgefährlich“, schrieb Miersch.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch im Deutschen Bundestag. picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch im Deutschen Bundestag.
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch im Deutschen Bundestag.

Er verwies auf den gemeinsamen Vorschlag und die erfolgte Zweidrittelmehrheit im Richterwahlausschuss. In gefetteter Schrift stellte Miersch klar: „Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“ 

Ralf Stegner: „Debakel“

Nach Berichten von „Bild“ und „Tagesspiegel“-Bericht schalteten sich am Abend Parteivorstand und Bundestagsfraktion der SPD zu einer Videokonferenz Sitzung zusammen. Aus Teilnehmerkreisen hieß es laut „Tagesspiegel“, Brosius-Gersdorf stehe für ein offenes und klares Gespräch mit der Spitze der Union bereit. „Bild“ berichtete über den Vorschlag von Miersch, dass sich die Professorin in der Unionsfraktion Fragen von Abgeordneten stellt. 

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Der SPD-Politiker Ralf Stegner sprach beim Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem „Debakel“. „Wenn wir bei so kleinen Dingen schon anfangen zu scheitern, dann ist das Schiff in schwerer See, und zwar ziemlich schnell“, sagte der Bundestagsabgeordnete.

Wiese spricht von „Autoritätsproblem“ innerhalb der Union

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, zeigte sich verwundert, dass die Unionsfraktion weder der ursprünglichen Empfehlung ihres Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn gefolgt sei noch der von Kanzler Friedrich Merz. „Da gibt es ein Autoritätsproblem“, schlussfolgerte Wiese. 

Kritik an der Unionsführung kam auch vom ehemaligen Verfassungsrichter und CDU-Spitzenpolitiker Peter Müller. „So etwas darf nicht passieren“, sagte Müller der „Süddeutschen Zeitung“. „Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der Union“, fügte Müller hinzu. Er war von 1999 bis 2011 saarländischer Ministerpräsident und von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht. Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für Karlsruhe gebe, sei zwar „nichts Neues“, sagte der 69-Jährige. „Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt.“ 

Grüne befürchten untergrabenen Respekt für das Verfassungsgericht

Die Grünen sehen in den Vorgängen fehlenden Respekt vor dem obersten deutschen Gericht. Parteichefin Franziska Brantner kritisierte in den Zeitungen der Mediengruppe Bayern, das Vertrauen in das höchste Gericht werde „fahrlässig beschädigt“. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte im „heute journal up:date“ des ZDF, das Verfassungsgericht, die drei Kandidaten und auch das Parlament hätten „massiven Schaden genommen“. „Dafür trägt Jens Spahn die Verantwortung“, sagte sie. 

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann.

Haßelmann bekräftigte die Forderung ihrer Fraktion, für die Wahl schon kommende Woche in einer Sondersitzung des Bundestags einen Neuanlauf vorzunehmen. Dazu könne jederzeit eingeladen werden. „Wir wollen doch keine Hängepartie über den ganzen Sommer“, sagte sie. Dem „Tagesspiegel“ zufolge gibt es in der SPD Überlegungen zu einer Bundestags-Sondersitzung im August.

Parlamentarische Sommerpause bis September

Am Freitag ist der Bundestag eigentlich in die parlamentarische Sommerpause gestartet. Parlamentsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) hatte den Bundestag planmäßig für den 10. September einberufen und zugefügt, er „hoffe, das stimmt“.

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Auch aus FDP-Sicht ist das Ansehen des obersten deutschen Gerichts beschädigt worden. „Die aggressive Politisierung der Richterwahl ist eine Gefahr für das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts“, sagte der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er befürchtet zugleich eine abschreckende Wirkung der Vorgänge „auf herausragende Wissenschaftler, um sich künftig für ein Richteramt zur Verfügung zu stellen“. 

Folgen für die Arbeit des Gerichts

Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, sieht durch die geplatzte Wahl auch Folgen für die Arbeit des Gerichts. Zwar seien dessen Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit nicht gefährdet, weil ausscheidende Richter ihr Amt fortführen müssen, bis ein Nachfolger gewählt ist, wie er bei ZDFheute live sagte.

Jedoch werde das Gericht voraussichtlich nur noch kurze Verfahren durchführen können, denn „Richter müssen immer in derselben Besetzung in einer Sache entscheiden, von Anfang bis zu Ende“. „Die schwierigen, die langen Verfahren werden aufgeschoben und erst wieder gestartet, wenn der Senat in neuer Besetzung vollständig ist.“ (dpa/mp)

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