„Sehen, wozu Politik geführt hat“: Selenskyj lädt Merkel nach Butscha ein
Nach dem Rückzug russischer Truppen aus der Region um Kiew werden schreckliche Morde, gewaltige Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha bekannt – und schockieren die Welt. Präsident Selenskyj befürchtet gar Schlimmeres in anderen, noch von Russen besetzten Landesteilen. Die Geschehnisse in Butscha sollen nun untersucht werden – und Selenskyj forderte Ex-Kanzlerin Merkel auf, nach Butscha zu reisen. Das passierte sonst noch in der Nacht:
Nach dem Bekanntwerden der Hunderten zivilen Opfern in Butscha hat die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft Untersuchungen angekündigt. „Das ist eine Hölle, die dokumentiert werden muss, damit die Unmenschen, die sie geschaffen haben, bestraft werden“, schrieb die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa auf Facebook. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geht von noch Schlimmerem aus.
Selenskyj fürchtet „noch mehr Tote und Misshandlungen“
Er befürchtet, dass sich noch „schrecklichere Dinge auftun könnten“ als das, was bisher über die Verbrechen in Butscha bekannt geworden ist. Andere Regionen des Landes stünden noch unter russischer Kontrolle. Dort könnten „noch mehr Tote und Misshandlungen“ bekannt werden, sagte Selenskyj. Der Präsident schaltete sich zudem per Video zur Verleihung der US-Musikpreise Grammys und bat um Unterstützung für sein Land. „Unterstützt uns auf jegliche Art und Weise, die euch möglich ist“, sagte er bei der live im US-Fernsehen übertragenen Veranstaltung.
Die Bilder aus der kleinen Stadt Butscha, wo nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche Leichen von Bewohnern auf den Straßen gefunden worden waren, sorgten international für Entsetzen. Die Ukraine macht für das Massaker russische Truppen verantwortlich, die die Stadt bis vor kurzem besetzt hatten. Moskau bestreitet das.
Selenskyj lädt Merkel nach Butscha ein
Selenskyj lud zudem die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Reise nach Butscha ein. Merkel könne sich dort – ebenso wie der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy – ein Bild von ihrer gescheiterten Russland-Politik der vergangenen Jahre machen, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft.
Im Jahr 2008 hätten die Nato-Staaten, darunter Deutschland, der Ukraine eine Aufnahme in Aussicht gestellt, dann aber aus Rücksicht auf Russland einen Rückzieher gemacht. Merkel war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin.
„Ich lade Frau Merkel und Herrn Sarkozy ein, Butscha zu besuchen und zu sehen, wozu die Politik der Zugeständnisse an Russland in 14 Jahren geführt hat“, sagte Selenskyj. „Sie werden die gefolterten Ukrainer und Ukrainerinnen mit eigenen Augen sehen.“
Seit Freitag wurden nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft bereits 140 der bisher 410 geborgenen Leichen aus der Region Kiew obduziert. Außerdem nahmen demnach mehr als 50 Mitarbeiter von Staatsanwaltschaft und der Nationalen Polizei erste Ermittlungen zu den Verbrechen im Gebiet Butscha auf. Auch in anderen Regionen soll es Untersuchungen geben.

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FDP-Politikerin: Kriegsverbrecher-Tribunal gefordert
Nach den Kriegsgräueln in Butscha fordert die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer, ein „Sonderkriegsverbrecher-Tribunal ähnlich wie bei den Jugoslawien-Kriegen“ gegen die Verantwortlichen. „Für uns alle ist die Monstrosität dieser Taten unbegreiflich“, sagte die FDP-Politikerin bei Bild-TV. „Das sind schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das sind Kriegsverbrechen.“
Wirtschaftsminister Habeck hat im ZDF zudem weitere Sanktionen der EU gegen Russland angekündigt – noch in dieser Woche.Das dann fünfte Sanktionspaket könne Maßnahmen umfassen „in der ganzen Bandbreite von persönlichen Sanktionen gegen weitere Menschen aus dem Putin-Regime über technische Güter; den Finanzmarkt werden wir uns auch noch einmal anschauen“, so Habeck.
Tote und Verletzte in Charkiw
Auch in der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw wurden nach ukrainischen Angaben 34 Menschen durch russischen Beschuss verletzt. Mindestens sieben Menschen seien getötet worden, schrieb die Staatsanwaltschaft der Region auf Telegram. Unter den Verletzten waren demnach drei Kinder. In der westukrainischen Stadt Ternopil soll es einen Luftangriff gegeben haben. Die Stadt Tschernihiw im Norden des Landes ist nach Angaben des dortigen Bürgermeisters inzwischen zu 70 Prozent zerstört.
Russland bestätigte derweil mehrere Luftangriffe auf Militäreinrichtungen und Treibstofflager in den Regionen Kiew und Mykolajiw. Unweit von Kiew sei in Wassylkiw ein Kontrollzentrum der Luftwaffenbasis zerstört worden, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow.
Ukraine: Russische Truppen ziehen sich aus Region Sumy zurück
Russische Truppen sollen damit begonnen haben, sich aus der ostukrainischen Region Sumy zurückzuziehen. Es sei aber noch zu früh, um von einer Befreiung der Region zu sprechen, sagte der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy, Dmytro Schywyzkyj, der Agentur Unian zufolge in der Nacht zu Montag in einer Videobotschaft. Der ukrainische Generalstab erwartet nun verstärkte Angriffe auf Donezk und das Dorf Tawrytscheske im Osten des Landes. Er teilte in der Nacht zu Montag außerdem mit, dass Russland einzelne Einheiten aus Belarus nach Russland verlege.
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Derweil ist mehr als 2600 Menschen wurden nach ukrainischen Angaben am Sonntag aus besonders umkämpften ukrainischen Städten in Sicherheit gebracht. Von den 2694 Menschen seien fast 1500 aus der Region Luhansk gerettet worden, sagte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk nach Angaben der Zeitung „Ukrajinska Prawda“.
Das wird heute wichtig
Die diplomatischen Bemühungen um eine Beendigung des Kriegs werden auf internationaler Ebene fortgesetzt. (alp/dpa)
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