Ralf Stegner
  • Ralf Stegners Sohn ist als Schiedsrichter aktiv.
  • Foto: IMAGO/C. Hardt/Future Image

Russlandpolitik: Fühlen Sie sich ungerecht behandelt, Herr Stegner?

Der SPD-Parteilinke Ralf Stegner im MOPO-Gespräch über Fehler in der Russlandpolitik, schwere Waffen für die Ukraine und den Führungsstil des Kanzlers. Der 62-Jährige sitzt seit 2021 für den Kreis Pinneberg im Bundestag. Davor war er u.a. Innenminister in Kiel.

MOPO: Die SPD steht massiv wegen ihrer Russland-Politik in der Kritik. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Ralf Stegner: Die SPD ist und war in Sachen Russland nicht wie die AfD, die Sympathien für das autoritäre System Putins hat, oder die in Teilen prorussische Linkspartei aufgestellt. Wir haben auf eine konstruktive Zusammenarbeit im Sinne der Sicherheit in Europa gesetzt. Trotzdem hat es Fehleinschätzungen gegeben. Dass aber ausgerechnet aus der Union Vorwürfe kommen ist sehr ärgerlich. Sie hat die letzten 16 Jahre mit uns und mit der FDP regiert. Klar ist: Es gibt ohne Zweifel Korrekturbedarf. Vor allem bei der Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland und in der Verteidigung. Jetzt aber so zu tun, als wären alle diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung der letzten Jahre nicht richtig gewesen, halte ich für wenig sinnvoll.

„Landesverrat? – das kann ich nicht akzeptieren“

„Fehleinschätzungen“ ist gut. SPD-Politiker wie Gerhard Schröder oder Meck-Pomm Ministerpräsidentin Manuela Schwesig haben bis zuletzt sehr aktiv versucht, im Sinne Putins zu agieren – manchmal wohl auch an der Grenze des Legalen. Politiker sind schon aus nichtigeren Anlässen zurückgetreten …

Gerhard Schröder ist seit 2005 nicht mehr in der SPD aktiv, wir, darunter auch die Parteispitze, haben seine Tätigkeiten im Ruhestand auch immer wieder kritisiert. Was die Umweltstiftung von Gazprom angeht: Es wird in Schwerin jetzt einen Untersuchungsausschuss geben, der wird die Sache aufklären. Klar ist aber: Es hat damals in Mecklenburg-Vorpommern eine breite Unterstützung auch aus der Union dafür gegeben. Es ging auch um Arbeitsplätze. Wenn ich heute Vokabeln wie „Landesverrat“ lesen muss – das kann ich nicht akzeptieren.

„Es gibt nicht Schlimmeres als Krieg. Das treibt mich um“

Sie selbst wollen nicht, dass die Bundesregierung schwere Waffen in die Ukraine liefert. Was sind Ihre Gründe?

Experten sagen, ohne die Nato sei der Krieg für die Ukraine nicht zu gewinnen. Solche Lieferungen würden den Krieg also wohl nur verlängern. Die Opfer eines solchen langen Kriegs sind dann Familien, ältere Menschen, junge Soldaten. Dazu kommt Zerstörung, Vertreibung und Flucht. Es gibt nichts Schlimmeres als Krieg. Das treibt mich sehr um.


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Die Geschichte ist voll von Beispielen in denen scheinbar Unterlegene am Ende gewonnen haben – von Rom gegen die Germanen, bis zum Vietnamkrieg. Und einige Experten schätzen das inzwischen auch im Fall der Ukraine anders ein, als noch zu Beginn. Aber wichtiger: Hat die Ukraine nicht das Recht sich zu verteidigen? Wie nicht nur Butscha gezeigt hat, sterben auch Zivilisten unter russischer Besatzung, also im „Frieden“ …

Die Ukraine hat jedes Recht sich zu verteidigen. Ich sage nicht, dass wir nichts tun sollen. Deutschland tut ja auch viel, beispielsweise mit Sanktionen, ökonomischer und humanitärer Hilfe und den bereits erfolgten Waffenlieferungen. Bis zu einem gewissen Grad befinden wir uns aber in einem Dilemma. Man muss meinen Standpunkt ja nicht teilen, aber er ist weder kaltherzig noch prorussich: Die Nato darf keinesfalls in diesen Krieg hereingezogen werden, sonst reden wir von Weltkriegsgefahr zwischen Nuklearmächten. Auch das muss bedacht werden, wenn immer mehr und immer offensivere Waffen geliefert würden.

„Nicht alle Behauptungen die kursieren, sind richtig“

Auch der AfD-Chef jubelte, dass keine schweren Waffen geliefert werden. Irritiert Sie diese Nähe nicht?

Ich finde die Rechtsradikalen durch und durch widerlich. Die AfD jubelt ja nicht, weil sie wie ich um zivile Leben fürchten, sondern weil sie den Autokraten Putin und sein System verehrt.

Kanzler Olaf Scholz wird in diesem Punkt von vielen als sehr zögerlich wahrgenommen und sogar aus der Koalition heraus kritisiert. Andere Länder liefern offenbar auch schwere Waffen.

Nicht alle Behauptungen, die momentan in der Öffentlichkeit kursieren sind richtig. Auch die Amerikaner, Franzosen oder Briten liefern bis jetzt keine Kampfpanzer oder Kampfflugzeuge. Der Kanzler hat betont, dass die Bundesregierung immer im Einklang mit den Verbündeten handelt – und das ist auch richtig. In diesem Rahmen erfolgt auch der sogenannte Ringtausch mit Slowenien, der die Kompensation von einsetzbaren Waffen für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine regelt.

„Wir haben einen unbestechlichen Bundeskanzler“

Olaf Scholz agiert in den Augen vieler so passiv, dass wilde Spekulationen darüber aufkommen, ob er nicht vielleicht sogar erpressbar ist. Beispielsweise durch den nach Moskau geflohenen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, der für Scholz belastende Details verraten haben könnte. Oder dass Putin Scholz bei dessen Besuch in Moskau mit Atomschlägen für den Fall von Panzerlieferungen gedroht hat. Was halten Sie davon?

… Sie haben die dritte wilde Spekulation vergessen: Dass der linke Flügel der SPD ihn zu diesem Kurs zwingt. Nein, wir haben einen unbestechlichen Bundeskanzler. Es macht einen Unterschied, ob man vor Kameras forsche Forderungen aufstellt und über die Folgerung spekuliert, oder ob man an einer Schlüsselstelle Verantwortung für das ganze Land trägt und darauf vereidigt ist, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Ich bin froh, dass wir einen besonnenen Kanzler haben.

„Wir haben es bei der Landesverteidigung schleifen lassen“

Nächste Woche will die Ampel im Bundestag eine der von Ihnen angesprochenen „Fehlerkorrekturen“ vornehmen und die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausstatten. Das scheint in der SPD und auch in der Ampel durchaus umstritten zu sein. Werden Sie dafür stimmen?

Unter den jetzt bekannten Voraussetzungen: Ja. Das Sondervermögen soll die Bundeswehr stärken ohne dass dies zulasten der Politik geht, für die die Ampel-Koalition gewählt worden ist und ohne abstrakte Budgetziele in der Verfassung festzuschreiben. Für mich geht es um Ausrüstung nicht um Aufrüstung: Wenn wir die Bundeswehr als Parlamentsarmee in den Einsatz schicken, muss sie auch bestmöglich ausgerüstet werden. Das haben wir in den letzten Jahren vor allem mit Blick auf die Landesverteidigung schleifen lassen – übrigens 16 Jahre unter der Verantwortung von Verteidigungsministern der Union.

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„Es wird die notwendige Mehrheit geben“

Die Mehrheit in ihrer Partei und der Ampel dafür steht also? CDU-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, er wolle „seine“ Abgeordneten die notwendige 2/3-Mehrheit nur „auffüllen“ lassen. Die Ampel braucht also alle eigenen Stimmen.

Ich frage mich ja, wie Herr Merz das praktisch gestalten und im Zweifelsfall den Soldaten erklären will. Wenn es um Fragen um Krieg und Frieden geht, ist das kleine parteipolitische Karo nicht angebracht. Ich gebe aber zu: Die Erfahrungen mit der Union bei der Bundestagsdebatte über die Impfpflicht haben meinen Optimismus etwas gedämpft. Dennoch bin ich sicher, dass es im Bundestag die notwendige Mehrheit dafür geben wird, der Zeitenwende gerecht zu werden, die Bundeskanzler Scholz eingefordert hat.

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