Wie ernst ist es? Putin droht wieder mit Atomwaffen: So schätzen das Experten ein
Es läuft nicht gut für Wladimir Putin. Es gibt immer deutlichere Anzeichen, dass die Ukraine den Kampf David gegen Goliath gewinnen könnte – auch dank westlicher Waffenlieferungen. Der russische Präsident aber denkt gar nicht ans Aufgeben. Er ergreift bewusst die Flucht nach vorne. Sein offensiver Dreiklang: eine Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten, Scheinreferenden in Gebieten der Ost- und Südukraine, um sie Russland anzuschließen, und zu guter Letzt relativ offene Drohungen mit einem möglichen Nuklearschlag. Könnte es nun wirklich zum Atomkrieg kommen?
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Es läuft nicht gut für Wladimir Putin. Es gibt immer deutlichere Anzeichen, dass die Ukraine den Kampf David gegen Goliath gewinnen könnte – auch dank westlicher Waffenlieferungen. Der russische Präsident aber denkt gar nicht ans Aufgeben. Er ergreift bewusst die Flucht nach vorne. Sein offensiver Dreiklang: eine Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten, Scheinreferenden in Gebieten der Ost- und Südukraine, um sie Russland anzuschließen, und zu guter Letzt relativ offene Drohungen mit einem möglichen Nuklearschlag. Könnte es nun wirklich zum Atomkrieg kommen?
Die Ausgangslage
Bis heute spricht der Kreml von einer „Spezial-Operation“ in der Ukraine, nicht von Krieg. Putins Erwartung war ursprünglich, dass die Sache binnen weniger Tage oder Wochen zu seinen Gunsten entschieden wird. Die Realität sieht anders aus: In einer massiven Gegenoffensive hat die Ukraine große Teile ihres Gebiets zurückerobert. Bis auf Luhansk hält die russische Armee nicht einen der vier Landesteile im Osten und Süden des Landes, in denen viele russischstämmige Ukrainer leben.
Die Teilmobilmachung
Seit Tagen lag das Wort Mobilmachung in der Luft, auch in der russischen Öffentlichkeit. Ursprünglich war für Dienstagabend mit einer Rede des Präsidenten gerechnet worden. Expert:innen aber vermuteten, dass es nur auf eine „Teilmobilmachung“ hinauslaufen werde. Am Mittwochmorgen dann die Bestätigung: Moskau will 300.000 der zwei Millionen Reservisten des Landes einziehen.
Was bedeutet das genau?
Bisher war nur versucht worden, Freiwillige zu rekrutieren, um die russische Armee im Kampf zu unterstützen – mit mäßigem Erfolg. Nun geht es an die Reservisten, also militärisch Ausgebildete, die aber nicht Teil der Armee sind.
Eine doppelte Botschaft: Zum einen an die Hardliner im Land, die ein offensiveres Vorgehen verlangen: Seht, wir tun etwas. Zum anderen an die Öffentlichkeit: Es ist nur eine „Teil“-Mobilisierung, alles halb so wild, kein Krieg, nur die „Spezial-Operation“.
Warum jetzt?
Wesentlich aus zwei Gründen: Erstens gehen Putin an der Westfront die Soldaten aus. Zweitens steht ihm innenpolitisch das Wasser offenbar vielleicht nicht ganz bis zum Hals, aber doch höher, als er bislang zugeben wollte. Dass laut „ntv“ Männern zwischen 18 und 65 der Kauf eines Bahn- oder Flugtickets untersagt wurde, damit sie sich der Zwangs-Rekrutierung nicht entziehen können, zeigt: Die Lage ist ernst für Russland.
Die Scheinreferenden
Die Annexion der Krim wurde 2014/15 auf ähnliche Weise scheinlegalisiert. Mit aller Voraussicht nach nicht frei stattfindenden Referenden sollen die Gebiete im Donbass und im Süden zwischen Donbass und Krim Russland angeschlossen werden. Damit könnte der Kreml argumentieren, dass die Ukraine ja russisches Staatsgebiet angreife. Besonders absurd: dass nur die Donbass-Region Luhansk derzeit fest in russischer Hand ist.
Drohungen gegen den Westen
Auch in staatstreuen russischen Medien verschärft sich der Ton, ähnlich äußerte sich nun Putin selbst: In der Ukraine kämpfe man nicht nur gegen die „Neonazi-Formationen“ Kiews, sondern auch gegen „die gesamte Militärmaschinerie des kollektiven Westens“. Der nutze die Ukrainer lediglich als „Kanonenfutter“ für seinen Krieg gegen Russland.
Und: Sollten die Ukraine und der Westen ihre Aggressionen gegen Moskau nicht einstellen, müsse man „alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu schützen“. Nuklearwaffen nicht ausgeschlossen. Das sei kein Bluff, fügte Putin hinzu.
Wie ernst ist es?
Militärexpert:innen schließen den Einsatz russischer Atomwaffen tatsächlich eher nicht aus. Die ehemalige NATO-Vizechefin Rose Gottemoeller etwa sagte der BBC: „Ich befürchte, dass sie jetzt auf unvorhersehbare Weise zurückschlagen werden“ – auch mit Massenvernichtungswaffen. Allerdings vermutlich nicht mit Interkontinental-Raketen, sondern mit taktischen Atomwaffen, die näher und präziser einschlagen und mit weniger atomarer Sprengkraft, so Gottemoeller.
Bloß: Selbst bei einer geringen Wirkung würde eine atomare Explosion massive Ängste vor einer größeren Eskalation schüren, so Gottemoeller. So könnte Putin etwa einen einzelnen Angriff über dem Schwarzen Meer oder auf eine ukrainische Militäreinrichtung anordnen. „Das Ziel wäre es“, so Gottmoeller, „die Ukrainer in ihrem Schock, zur Kapitulation zu bewegen“.
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Ähnliche Überlegungen stellte Ex-US-Geheimdienstkoordinator Christopher Chivvis an. Gegenüber dem „Economist“ skizzierte er ein Szenario, in dem der Kremlchef eine Detonation in großer Höhe anordnen könnte, die die Kommunikation weiter Gebiete stören würde. „Stellen Sie sich eine Explosion vor, bei der die Lichter in Oslo ausgehen würden“, sagte er. Chivvis hofft allerdings weiter, dass Putin die Drohung eines atomaren Angriffs als reines Druckmittel nutzt.
Expertin: Putins Vorgehen ist ein „absolut unmissverständliches Ultimatum Russlands“
Doch auch laut der Politanalystin Tatiana Stanowaja stehen die Zeichen eher auf Eskalation. Stanowaja sprach von einem „absolut unmissverständlichen Ultimatum Russlands an die Ukraine und den Westen: Entweder die Ukraine zieht sich zurück oder es kommt zum Atomkrieg.“
Bislang hatte der Kreml stets betont, man werde nicht als Erster zu Atomwaffen greifen, sondern nur im Verteidigungsfall. Das unterstrich der kremltreue russische Parlamentsabgeordnete Jewgeni Popow nun gegenüber dem britischen Sender BBC Radio 4: „Wir werden die westlichen Staaten nicht als Erster angreifen, wir werden kein nukleares Massaker in der Welt veranstalten“, erklärte er. Nuklearwaffen würden „nur als Antwort“ auf einen atomaren Angriff gegen Russland eingesetzt.
Allerdings sagte Putin selbst noch kurz vor Kriegsbeginn, er habe nicht vor, in die Ukraine einzumarschieren.