An fast allen deutschen Grenzen wird jetzt kontrolliert – Kritik von den Nachbarn
Im Schengen-Raum sind eigentlich nur an den Außengrenzen Kontrollen vorgesehen. Laut Dublin-III-Verordnung (EU-Gesetz) sind zudem direkte Zurückweisungen an den Binnengrenzen nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Beides ist inzwischen längst ausgehebelt. Deutschland weitet seine Kontrollen nun auch auf die westliche Grenze aus.
Seit Mitternacht kontrollieren Beamte an den Grenzen zu Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, wie die Bundespolizei bestätigte und Reporter vor Ort beobachteten. Mittags liefen dann auch Kontrollen im Norden an der Grenze zu Dänemark an.
Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate andauern, um die Zahl unerlaubter Einreisen stärker einzudämmen – so die offizielle Begründung. Der Pendler- und Reiseverkehr soll angeblich möglichst wenig beeinträchtigt werden – die Kontrollen seien stichprobenartig, nicht alle Fahrzeuge würden angehalten.
Grenzkontrollen sind im Schengen-Raum eigentlich nicht vorgesehen. Bisher kontrollierte die Bundespolizei nur an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich, der Schweiz und zuletzt wegen der Olympischen Spielen in Paris auch Frankreich. Rechtlich möglich sind die weiteren Kontrollen seit Mitternacht.
Faeser sagt, sie will „irreguläre Migration zurückdrehen“
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Sonntagabend: „Diese Maßnahme ist aus meiner Sicht dringend erforderlich, um die irreguläre Migration weiter zurückzudrehen.“ Sie hatte in der vergangenen Woche angeordnet, dass es ab Montag an allen Landgrenzen stationäre Kontrollen geben soll.
Ein Sprecher der Bundespolizei sagte, in Niedersachsen seien wie geplant zusätzliche Beamte im Einsatz. Sie sollen auf niedersächsischer Seite Einreisende aus Richtung Niederlande überprüfen. Feste Kontrollstellen wurden auf der Autobahn 30 bei Bad Bentheim, der A280 bei Bunde und der Bundesstraße 402 bei Schöninghsdorf (Höhe Meppen) eingerichtet. Zudem waren im grenznahen Raum zu den Niederlanden auch auf den Nebenstraßen Fahndungsmaßnahmen angekündigt. In Nordrhein-Westfalen kontrollierten Bundespolizisten etwa auf der Autobahn 44 bei Aachen Einreisende aus Richtung Belgien. Weitere mobile Kontrollen für Einreisende aus Luxemburg gibt es auf der A 64.
Bei den stationären Kontrollen an den Landgrenzen von Deutschland zu den Niederlanden erwischten Bundespolizisten Drogenschmuggler. Die drei Männer seien mit Haschisch im Kofferraum unterwegs gewesen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Sie entzogen sich laut Polizeiangaben der Kontrolle auf der Autobahn A30 bei Bad Bentheim und flüchteten. Erst etwa 30 Kilometer entfernt hätten Beamte sie stoppen können.
Was die Kontrollen bringen sollen
Stationäre Grenzkontrollen ermöglichen – unter bestimmten Bedingungen – sogenannte Zurückweisungen. Das ist weniger aufwendig, als dafür zu sorgen, dass jemand, der bereits unerlaubt eingereist ist, Deutschland wieder verlässt. Laut Bundesinnenministerium gab es seit Oktober 2023 mehr als 30.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Zurückgewiesen werden allerdings nur Ausländer, die kein Asylgesuch vorbringen, und solche, die mit einer Einreisesperre belegt sind. Eine Forderung der Unionsfraktion nach umfassenderen Zurückweisungen hatte die Ampel-Koalition wegen europarechtlicher Bedenken abgelehnt.
Was Deutschlands Nachbarländer von den Kontrollen halten
Nachbarländer wie Österreich und Polen hatten – auch im Zuge dieser umfassenderen Diskussion – Bedenken gegen die Ausweitung der Grenzkontrollen angemeldet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat aber „begonnen, mit den Chefs der Nachbarländer sehr sorgfältig zu sprechen, übrigens auch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission“, wie er am Sonntagabend auf seiner Usbekistan-Reise sagte, wo er ein Abkommen schmiedete, um auch nach Afghanistan abschieben zu können. „Alle wissen, dass wir uns im Rahmen des europäischen Rechts bewegen, aber da unsere Möglichkeiten maximal ausnutzen“, erklärte Scholz. Alle verstünden, behauptete er, „dass die Zahl derjenigen, die nach Deutschland kommen, zu groß ist und dass es deshalb ein nachvollziehbares Interesse der deutschen Regierung ist, dafür zu sorgen, dass wir diese Dinge durch ein gutes Management irregulärer Migration in den Griff kriegen.“ Dazu gehörten auch solche Kontrollen.
Bei den Grünen werden sie aber kritisch gesehen. „Es ist fraglich, wie effektiv der Grenzschutz sein kann, auch angesichts der personellen Ausstattung der Bundespolizei“, sagte etwa Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur dem „Tagesspiegel“. Dennoch stimmten die Grünen dem Faeser-Vorhaben zu, obwohl sie eben solche Grenzkontrollen im Wahlkampf zur letzten Bundestagswahl stets ausgeschlossen hatten.
Faeser hatte die Ausweitung der Kontrollen am vergangenen Montag wie vorgeschrieben bei der EU-Kommission angemeldet und mit einer angeblich großen Belastung Deutschlands durch irreguläre Migration begründet. Sie sind erst einmal für sechs Monate geplant. Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass solche Kontrollen nach der Einführung so schnell nicht mehr enden. An den Landgrenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz kontrolliert die Bundespolizei seit Mitte Oktober, an der Grenze zu Österreich bereits seit Herbst 2015.
Nach dem Schengener Abkommen ist das grundsätzlich nicht vorgesehen. Aber auch andere Schengen-Staaten kontrollieren an ihren Landgrenzen und begründen dies teils mit der Begrenzung irregulärer Migration, teils mit der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus beziehungsweise mit Risiken im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Was die Union verlangt
Die Union hält die Kontrollen für unzureichend, um der irregulären Zuwanderung Herr zu werden. „Kontrollen alleine reichen nicht aus. Die Verweigerung der Ampel für umfassende Zurückweisung ist eine Kapitulation“, sagte der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt der „Bild“-Zeitung.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) warb für weitere Gespräche unter anderem mit der SPD. Diese müsse es „unbedingt“ geben, sagte er auf eine entsprechende Frage im „Berlin Playbook“-Podcast des Magazins „Politico“. „Es ist ganz wichtig, dass man zusammenkommt. Das muss über Parteigrenzen hinweg gelöst werden.“
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bekräftigte seine prinzipielle Offenheit für ein Spitzengespräch mit Kanzler Scholz. Er habe seine Bereitschaft dazu erklärt, sagte der Unionsfraktionschef in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Der Regierungssprecher hat allerdings dann erklärt, der Bundeskanzler würde daran nicht denken, eine solche Einladung auszusprechen. Dazu können wir ihn nicht zwingen. Ich nehme das zur Kenntnis.“
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Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Regierung und Union einen neuen Anlauf auf höchster Ebene angeregt: mit Merz, Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst.
Als einzige Partei wirklich kritisch zu den Grenzkontrollen äußerte sich in Deutschland die Linke. So beklagte Thüringens Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) einen „Überbietungswettbewerb der Abschreckungsgrausamkeiten“. Dadurch werde „leider auch intensiv die Ausländerfeindlichkeit getriggert“, sagte Ramelow dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Am Ende kommt nur das Gefühl raus: Die AfD hat es ja gesagt. Jetzt sagen es die anderen auch.“ (mp/dpa)