• Jubel beim US-Präsidenten: Donald Trump freut sich über die Ernennung von Amy Coney Barrett.
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Oberste Richterin ernannt: Kommentar: Warum Trump sich damit ein Denkmal gesetzt hat

Washington –

Amy Coney Barrett (48) ist am Montagabend (Ortszeit) als Richterin am Supreme Court vereidigt worden. Für die Demokraten und liberale US-Amerikaner ist das ein schwerer Schlag – für die Konservativen ein Grund zum Feiern. Doch der größte Gewinner ist der amtierende Präsident. Mit der Vereidigung seiner Wunschkandidatin hat Trump erreicht, was wohl jeder selbstverliebte Herrscher schaffen will: Er hat die Geschicke des Landes weit über seine Amtszeit hinaus in seinem Sinne beeinflusst und sich somit selbst ein Denkmal gesetzt. 

Es war sein letzter großer Schachzug vor der Wahl – und Donald Trump hat seine Figur richtig gesetzt. Die Vereidigung der ultrakonservativen Richterin Barrett ist für ihn ein historischer Triumph. Denn: Auch wenn er am 3. November nicht wiedergewählt wird – sein Geist schwebt weiterhin über den USA und hat Einfluss auf die großen Entscheidungen des Landes. 

Durch Barretts Ernennung hat Trump das Machtverhältnis im Supreme Court dauerhaft in seinem Sinne verschoben – denn Barrett ist genau wie ihre künftigen Kollegen auf Lebenszeit bestellt. Zwar beteuerte sie im Rahmen ihrer Vereidigung erneut, dass sie die Absicht habe, unabhängig von politischen Interessen Recht zu sprechen. Doch auch wenn sie sich zivilisierter benimmt und gepflegter auszudrücken weiß: In ihren Ansichten unterscheidet sie sich nicht groß von Trump.

Amy Coney Barrett verschiebt das Gleichgewicht im Supreme Court

Zurecht sorgen sich die Demokraten deshalb um ihre Errungenschaften für eine liberalere Gesellschaft. Denn Themen wie Rechte für Homosexuelle und andere Mitglieder der LGBTQI-Community, Regulierungen im Arbeitsschutzrecht oder das Recht auf Abtreibung sind bekanntlich nicht die oberste Priorität der Konservativen – sofern sie überhaupt vorhanden sind. Die Machtverhältnisse im Obersten Gericht haben sich mit Barretts Ernennung massiv gewandelt – und das dürfte schon bald sehr deutliche Auswirkungen haben. Barrett ist die sechste konservative Richterin auf der neunköpfigen Richterbank. Und sie ist die dritte Richterin, die von Trump ernannt wurde: Zuvor holte er bereits die Konservativen Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh an den Supreme Court. 

Präsident Donald Trump zusammen mit Amy Coney Barrett auf dem Balkon des Weißen Hauses.

Präsident Donald Trump zusammen mit Amy Coney Barrett auf dem Balkon des Weißen Hauses.

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Einen Vorgeschmack auf die neuen Machtverhältnisse werden die Amerikaner wohl bereits eine Woche nach der Präsidentschaftswahl bekommen. Dann sollen die Anhörungen zum Krankenversicherungssystem Obamacare beginnen. Es ist bekannt, dass Trump für das gesellschaftliche Projekt seines Vorgängers nichts als Häme und Schmähungen übrig hat. Bisher gelang es dem US-Präsidenten jedoch nicht, die Regelung abzuschaffen. Doch das könnte sich mit Barrett nun ändern. 

Denn die 48-Jährige ist bekannt für ihre strikte Auslegung des Rechts im Sinne des Originalismus, also der Auslegung der Verfassung und des Rechts wie sie von den damaligen Verfassern und Zeitgenossen verstanden wurde – und damals spielte der Gedanke einer solidarische Krankenversicherung keine Rolle. Hinzu kommt, dass Barrett sich bereits mit ihren ultrakonservativen und oft religiös begründeten Positionen einen Namen gemacht hat. So sprach sie sich beispielsweise für das Recht auf Waffen auch für Straftäter aus (wenn der Staat sie nicht als gefährlich einstuft) oder gegen das Recht auf Abtreibung („immer unmoralisch“). Auch mit Blick auf das Thema Einwanderung vertritt sie strikt konservative Positionen. 

Warum Donald Trump so oder so von Barretts Ernennung profitiert

Die Vereidigung von Barrett dürfte Trumps Leben und Regieren, sollte es doch zu einer zweiten Amtszeit kommen, erheblich erleichtern. Gegenwind bekam er bisher insbesondere vom mehrheitlich demokratisch geprägten Kongress und vom Obersten Gericht. Doch wenn er bei seinen politischen Zielen das Oberste Gericht auf seiner Seite hat, braucht er wohl keine Kongressmehrheit mehr. Sollte hingegen Joe Biden Amerikas neuer Präsident werden, wird es für ihn nicht einfach werden, seine Ziele durchzubringen – der Supreme Court dürfte in vielen Fragen sein stärkster Gegner sein.

Trump hat mit der Ernennung von Barrett jedoch nicht nur dafür gesorgt, dass die USA auch ohne ihn in seinem Sinne – und dem seiner Anhänger – gestaltet werden. Die Ernennung und Bestätigung ist auch für die Präsidentschaftswahl selbst relevant. Dann nämlich, wenn eine Partei die Wahlergebnisse offiziell in Zweifel zieht. Zur Erinnerung: Trump drohte bereits mehrfach, diese im Falle einer Niederlage nicht anzuerkennen und dagegen zu kämpfen.

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Klar ist: Donald Trump zu unterschätzen ist ein grober Fehler. Er poltert, pöbelt und provoziert, doch phlegmatisch ist er nicht. Die schnelle Ernennung einer Nachfolgerin für die liberale Ruth Bader Ginsburg war ein raffinierter Schachzug. Die Luft für Demokraten und Liberale in den USA wird immer dünner.

Das Einzige, worauf die Demokraten noch hoffen können, ist ein klarer Sieg ihres Kandidaten, der nicht anfechtbar ist. Dann könnte man über die Forderung der New Yorker Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez nachdenken: Das Oberste Gericht zu vergrößern und ein Limit für die Amtszeit der Richter einführen. Denn die Anzahl der Richter ist in der Verfassung nicht festgelegt. 

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