Merkel-Experte: „Noch ein Satz und sie hätte geweint“
Heute gibt's den großen Zapfenstreich – die Bundeswehr bläst Angela Merkel (CDU) den Abschiedsmarsch. 16 Jahre hat sie Deutschlands Politik geprägt, wurde geliebt aber auch gehasst. Einer, der die Kanzlerin in ihren Amtsjahren intensiv beobachtet hat, ist Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“. Gerade erst hat er mit „Machtverfall“ einen Bestseller zur Ära Merkel rausgebracht. Für die MOPO wagt der Experte einen Blick hinter ihre Fassade, gibt tiefe Einblicke in die Gefühlswelt der Machtpolitikerin – und beschreibt, wie erschöpft die 67-Jährige wirklich ist nach all den Jahren.
MOPO: Herr Alexander, die Kanzlerin plaudert auf Podien plötzlich über Persönliches: ihre Kindheit, den Tod ihrer Mutter. Wird sie auf ihre alten Tage gefühlig?
Robin Alexander: Ich glaube, dass Angela Merkel ihr Bild in den Geschichtsbüchern gerade abrundet. Sie erzählt den Menschen etwas über sich. Das hat sie früher nie gemacht. Sie hat nie über ihre ostdeutsche Herkunft gesprochen und auch nie über ihr Frausein. Ihre Befindlichkeiten und Emotionen hat sie immer verborgen. Jetzt, zum Ende ihrer Kanzlerschaft, will sie den Menschen auch eine andere Seite zeigen.
Wird sie sich komplett zurückziehen?
Heute gibt’s den großen Zapfenstreich – die Bundeswehr bläst Angela Merkel (CDU) den Abschiedsmarsch. 16 Jahre hat sie Deutschlands Politik geprägt, wurde geliebt aber auch gehasst. Einer, der die Kanzlerin in ihren Amtsjahren intensiv beobachtet hat, ist Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“. Gerade erst hat er mit „Machtverfall“ einen Bestseller zur Ära Merkel rausgebracht. Für die MOPO wagt der Experte einen Blick hinter ihre Fassade, gibt tiefe Einblicke in die Gefühlswelt der Machtpolitikerin – und beschreibt, wie erschöpft die 67-Jährige wirklich ist nach all den Jahren.
MOPO: Herr Alexander, die Kanzlerin plaudert auf Podien plötzlich über Persönliches: ihre Kindheit, den Tod ihrer Mutter. Wird sie auf ihre alten Tage gefühlig?
Robin Alexander: Ich glaube, dass Angela Merkel ihr Bild in den Geschichtsbüchern gerade abrundet. Sie erzählt den Menschen etwas über sich. Das hat sie früher nie gemacht. Sie hat nie über ihre ostdeutsche Herkunft gesprochen und auch nie über ihr Frausein. Ihre Befindlichkeiten und Emotionen hat sie immer verborgen. Jetzt, zum Ende ihrer Kanzlerschaft, will sie den Menschen auch eine andere Seite zeigen.

War diese Emotionslosigkeit Taktik?
Ja, denn diese sehr reduzierte Kommunikation hat ihr zumindest nie geschadet. Wir haben im Wahlkampf erlebt, wie Politikern aus biografischen Dingen ein Strick gedreht wurde. Beispiel Armin Laschet: Der geht gern zum Karneval, erzählt das auch jedem und es gibt davon sehr viele Fotos. Das trug dazu bei, dass der politische Gegner sein Image verzerren konnte: In den sozialen Medien wurde Laschet dargestellt, als sei er ein Clown.
Sie haben Merkel aber auch auf vielen Reisen begleitet. Wie kann man sich den Umgang vorstellen? Gibt es abends auch mal ein gemeinsames Glas Wein?
Sie lässt auf Reisen die Nähe von Journalisten zu, um in Hintergrundgesprächen ihre Politik zu erläutern. Das passiert sehr oft im Flugzeug, weil sie so ein „Arbeits-Maniac“ ist und keine Minute verschwenden will. Die Kanzlerin zieht sich dann andere Schuhe an und das berühmte Jackett aus. Sie redet aber nicht über ihren Mann, sondern über Putin. Es geht immer um Politik und nie um Privates.
Sie haben den Begriff „Maniac“ benutzt, die Kanzlerin galt immer als übermenschlich, wenn es um ihre körperliche Konstitution ging. Muss sie jetzt, nach 16 Jahren, nicht trotzdem wahnsinnig erschöpft sein?
Man hat in ihrer letzten Amtszeit gesehen, dass sie an ihre Erschöpfungsgrenzen kommt. Wir alle haben noch ihr Zittern in Erinnerung. Eine Zeit lang hat sie in der Öffentlichkeit auch nicht mehr gestanden, sondern nur noch gesessen. Ich finde außerdem, dass ihre Kommunikation in der Coronakrise gezeigt hat, dass sie emotional aufgerieben ist. Es gibt diese Bundestagsrede aus dem Spätherbst 2020, in der sie fast flehend betont, dass schärfere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wenn sie in der Situation noch einen Satz mehr gesagt hätte, hätte sie geweint. Ihre Stimme wurde schon brüchig. So etwas hat es vorher in all den 16 Jahren nicht gegeben. Daher würde ich die These wagen, dass sie sowohl körperlich als auch seelisch erschöpft ist.
Wird sie sich komplett zurückziehen?
Es gibt verschiedene Wege, die Politiker nach einer solchen Amtszeit einschlagen können. Manche machen einfach viel Geld und hängen mit Leuten rum, die viel Geld haben. Das wird Angela Merkel garantiert nicht machen, denn Geld ist ihr wirklich völlig egal. Andere Politiker schreiben dicke Bücher über ihre Amtszeit. Das würde mich auch überraschen. Worte sind nicht ihre Sprache. Was Merkel außerdem ausgeschlossen hat, ist, dass sie auf die internationale Bühne geht. Was ich mir also vorstellen könnte – jetzt bin ich aber im Spekulativen –, ist, dass sie sich wieder der Wissenschaft widmet. Und vielleicht an einer amerikanischen Westküsten-Uni lehrt.
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Was wird in zehn Jahren in den Geschichtsbüchern über sie stehen?
Die Krisen. Angela Merkel war eine Krisenkanzlerin. Finanzkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise. Sie hat in diesen Krisen den Laden zusammengehalten. Das ist die Plus-Seite. Denn dass zum Beispiel der Euro überlebt, war lange gar nicht sicher. Die negative Seite ist, dass viele Strukturreformen in Deutschland nicht passiert sind. Die letzte große Steuerreform ist 20 Jahre her, Bildung und Digitalisierung sind zu kurz gekommen. Sie war eine Kanzlerin, die vor allem reagiert und nicht agiert hat. Aber – das muss man fairerweise sagen – es gab auch vieles, auf das sie reagieren musste.
Was werden Sie an ihr vermissen?
Wenn Olaf Scholz jetzt Kanzler wird, geht es ja in ihrem Stil weiter. Dann gibt es nicht so viel zum Vermissen. Mein Gefühl ist aber: Es ist jetzt wirklich genug und vier weitere Jahre wären nicht gut. Nicht für Angela Merkel und nicht für Deutschland.