Heizen, fliegen, Auto fahren: Warum wir so schlecht verzichten können
„Wenn wir beim Thema Klimawandel eine Chance haben wollen, bräuchten wir täglich ein Unwetter“, sagt Kommunikationspsychologe Michael Schirmer. Dann wäre unmittelbare Betroffenheit, die emotionale Nähe bei jedem und jeder hergestellt, denn wir alle würden darunter leiden. Und dann stiege auch die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu ändern. Was sonst noch eine Rolle spielt.
- Deutsch (Deutschland)
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Es sind unschuldige Menschen, die Wladimir Putin bombardieren lässt. In Kramatorsk, in Borodjanka, in Butscha, in Mariupol. Sie müssen sterben, weil der russische Präsident die Ukraine angeblich „entnazifizieren“ will. Deutschland finanziert diesen Krieg mit, weil es weiter Öl und Gas aus Russland bezieht, werfen Kritiker der Bundesregierung vor. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) forderte die Bürger bereits auf, Energie zu sparen. Doch nur wenige Menschen lassen bislang das Auto stehen, heizen weniger, duschen kälter. Können wir Deutschen nicht verzichten?
So schnell wie möglich weg von russischer Energie: Die Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck daran, Deutschland von Öl- und Gas-Importen aus Russland unabhängig zu machen. Schon im laufenden Jahr könnte das zumindest in Bezug auf Gas gelingen, sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Dafür müssten aber Gaslieferungen aus anderen Ländern stark ausgeweitet werden – und: Die Deutschen müssten massiv Energie sparen, so das DIW.
Das hatte auch Bundeswirtschaftsminister Habeck jüngst gefordert. Doch nur die wenigsten Bundesbürger haben dem bislang Folge geleistet. Woran liegt das? „Der Mensch folgt bei seinen Entscheidungen weniger rationalen Argumenten, als inneren Bedürfnissen“, erklärt der Hamburger Kommunikationspsychologe Michael Schirmer (46). „Und diese können durchaus im Widerspruch zu logischen Argumenten stehen.“
Es braucht einen unmittelbaren Belohnungseffekt für eine Verhaltensänderung
Konkret bedeutet das: „Man braucht zu einer Sache eine starke Bindung, dann ist man auch bereit, sein Verhalten zu ändern“, sagt Schirmer im MOPO-Interview. Diese Bindung lässt sich zum Beispiel über Bilder herstellen oder eigene Erlebnisse.
Warum aber reagieren wir dann nicht deutlicher, wenn wir die Gräueltaten in Butscha, die schlimmen Bilder aus Kramatrosk sehen? Zum Beispiel, indem wir weniger Autofahren und so Energie sparen? „Weil das zu abstrakt ist“, sagt Schirmer. „Da gibt es keinen unmittelbaren Belohnungseffekt.“
„Wenn wir beim Thema Klimawandel eine Chance haben wollen, bräuchten wir täglich ein Unwetter“
Man könne das vergleichen mit dem Kampf gegen den Klimawandel, sagt Schirmer. Wissenschaftler:innen wiederholen die Fakten seit Jahren und die meisten Menschen haben zwar verstanden, dass unser Planet schon in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar sein wird, wenn wir so weitermachen wie bisher. „Wir tun aber nicht genug dagegen, weil die Auswirkungen der Verhaltensänderung nicht schnell genug, vielleicht gar nicht spürbar werden“, sagt Schirmer.
Das ist so, weil „der Effekt einer Verhaltensänderung erdacht werden muss“, erklärt der Experte. Die „Belohnung“ ist also nicht sofort sichtbar. Natürlich würde der Verzicht auf Kreuzfahrten, Flugreisen, Diesel-Autos, Fleischkonsum langfristig zu sauberer Luft, weniger Erderwärmung, weniger Klimawandel führen. „Aber bis das eintritt, vergeht viel Zeit. Das würde man selbst ja gar nicht mitbekommen, sondern bestenfalls unsere Kinder und Kindeskinder“, erklärt Schirmer.
Man könnte es auch so formulieren: „Wenn wir beim Thema Klimawandel eine Chance haben wollen, bräuchten wir täglich ein Unwetter“, sagt Schirmer. Dann wäre unmittelbare Betroffenheit, die emotionale Nähe bei jedem und jeder hergestellt, denn wir alle würden darunter leiden. Und dann stiege auch die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu ändern.
Wenn viele Menschen sich einer Sache anschließen, fällt jedem einzelnen der Verzicht leichter
Eine wichtige Rolle beim Thema Verhaltensänderung spiele auch das Umfeld, so der Experte weiter. „Da geht es um Gruppendynamik. Wenn alle deine Freunde, deine Familie, deine Nachbarn ihr Auto stehen lassen, dann tust du das natürlich auch“, sagt Schirmer. „Du willst ja nicht schief angeschaut werden.“ Oder anders ausgedrückt: Wenn viele Menschen sich einer Sache anschließen, fällt jedem einzelnen der Verzicht leichter.
Auch hier spiele der Belohnungseffekt eine Rolle: „Man erhält Anerkennung und Interesse aus seinem Umfeld“, wenn man sich selbigem mit seiner Verhaltensänderung anschließe, erklärt Schirmer.
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Gelingt es vielen Menschen, ihr Verhalten zu ändern, spricht man von „shifting baselines“, also der Herstellung einer neuen Norm, erläutert der Experte. „Dann wird vieles gar nicht mehr als Verzicht wahrgenommen.“ Und genau hier könnte die Politik noch besser ansetzen, sagt Schirmer: Die Verantwortlichen müssten es schaffen, „uns eine Utopie aufzuzeigen, einen Zustand, der so schön ist, dass wir ihn unbedingt erreichen wollen.“
„Wenn der emotionale Bezug stark ist, dann kann der Mensch auch verzichten“
Wie kann das gelingen? Die politische Kommunikation müsse ganz deutlich unsere Bedürfnisse ansprechen, sagt der Experte, sagt der Experte. „Beim Thema Heizen zum Beispiel. Da muss einfach deutlicher gesagt werden: ,Wir machen das jetzt alle, damit wir der Ukraine helfen. Damit wir Putin richtig schaden. Und damit wir unsere schöne Heimat schützen.’“
Also frieren für die Freiheit? Das sei gar kein schlechter Spruch, meint Schirmer. Denn er sei leicht verständlich und löse Emotionen aus: Und, fasst Schirmer zusammen, „wenn der emotionale Bezug stark ist, dann kann der Mensch auch verzichten.“