Getötet oder gefeuert: Putins Problem mit den Generälen
Der erhoffte Durchmarsch ist es nicht: Putins Angriff auf die Ukraine läuft deutlich schlechter, als der russische Präsident es geplant hatte. Das liegt vermutlich auch daran, dass er innerhalb kürzester Zeit einen Teil seiner militärischen Führungsriege verloren hat: Mehrere russische Strategen wurden entweder getötet oder vom Kreml kaltgestellt. Langsam gehen Putin die Generäle aus.
Die Tatsache, dass es die zahlenmäßig und mit Blick auf die militärische Ausstattung unterlegene ukrainische Armee geschafft hat, vier russische Top-Generäle auszuschalten, ist an sich schon überraschend. Bemerkenswert ist allerdings auch, wie dies gelang – und was es für den weiteren Verlauf der Kriegs bedeutet.
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Der erhoffte Durchmarsch ist es nicht: Putins Angriff auf die Ukraine läuft deutlich schlechter, als der russische Präsident es geplant hatte. Das liegt vermutlich auch daran, dass er innerhalb kürzester Zeit einen Teil seiner militärischen Führungsriege verloren hat: Mehrere russische Top-Strategen wurden entweder getötet oder vom Kreml kaltgestellt. Langsam gehen Putin die Generäle aus.
Es ist eine bittere Bilanz: Nach rund drei Wochen Krieg hat Russland bereits mehrere wichtige Armee-Chefs verloren. So sollen nach übereinstimmenden Medienberichten und Angaben der ukrainischen Streitkräfte mindestens vier hochrangige, russische Generäle bei Gefechten ums Leben gekommen sein.
Wie das „Wall Street Journal (WSJ)“ schreibt, handelt es sich bei den Getöteten um Vitaly Gerasimov, Andrei Kolesnikov, Oleg Mityaev und Andrei Sukhovetsky. Alle vier waren erfahrene Militärstrategen und bereits mehrfach im Kriegseinsatz, etwa in Syrien, Tschetschenien – und an der Krim-Besetzung beteiligt.
Russische Kriegs-Kommunikation ist eine Katastrophe
Gerasimov etwa war der Stabschef der 41. Armee, vom Rang her vergleichbar mit einem deutschen Generalmajor. Wie Christo Grozev, Direktor der renommierten Enthüllungs- und Fact Checking-Plattform „Bellingcat“ auf Twitter berichtete, starb Gerasimov bei Gefechten nahe Charkiw. Der ukrainische Geheimdienst erfuhr davon, weil er ein Telefonat zweier russischer Offizieller abfangen konnte. Darin berichtete der eine dem anderen von Gerasimovs Tod und beklagte zeitgleich, man habe keine abhörsichere Leitung mehr in der Ukraine. Daher erfolgte der Anruf über eine lokale Sim-Karte – und die war laut Grozev leicht abzufangen.
Doch das war noch nicht alles: In dem Gespräch soll der in der Ukraine stationierte russische Geheimdienstler seinen Kollegen gefragt haben, ob es nicht möglich sei, statt per Sim-Karten-Telefon über das supergeheime Era-System zu kommunizieren. „Era ist ein megateures Krypto-Telefonie-System, das das russische Verteidigungsministerium 2021 mit großem Tamtam einführte. Es garantierte Funktionstüchtigkeit ,unter allen Bedingungen’“, so Grozev. Aber: „Era funktioniert nicht“, soll der russische Geheimdienstler seinem Kollegen in der Ukraine gesagt haben. Das Fazit des „Bellingcat“-Chefs: „Russland, wenn ihr zuhört: Löscht Eure Armee.“
Beobachter vermuten, dass die unverschlüsselte Kommunikation zwischen den russischen Truppen, der Militärführung in der Ukraine und den Strategen im Kreml auch dazu führte, dass die Ukrainer meist genau wussten, wo sich der Feind aufhielt. So war nicht nur der gezielte Einsatz der eigenen Truppen möglich, sondern auch punktgenauer Beschuss etwa mittels Drohnen. Das zeigte auch der Tod von Sukhovetsky: Er wurde Ende Februar in Mariupol von ukrainischen Scharfschützen ausgeschaltet.
Die russischen Generäle in der Ukraine „führen wahrscheinlich von vorne“
Warum aber sind die russischen Generäle überhaupt so nah an der Front, dass sie in die Schusslinie geraten können? Tatsächlich ist das nicht ungewöhnlich. Das US-Militärnachrichtenportal „Military.com“ zitierte dazu Mark Cancian, einen pensionierten Oberst des Marine Corps. Ihm zufolge pflegen hochdekorierte russische Generäle eine Tradition, Truppen selbst in die Schlacht zu führen, die zurückgeht auf die Kriegsführung der Sowjet-Armee und der Roten Armee. Auch die russischen Generäle in der Ukraine „führen wahrscheinlich von vorne. Sie gehen ganz eindeutig da raus – und das hat ein Element der Verwundbarkeit“, so Cancian.
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Im Gegensatz dazu versuche etwa das US-Militär, hochrangige Generäle eher hinter den Frontlinien zu halten und überlasse die Führung in Kampfsituationen jüngeren Offizieren und hochrangigen Soldaten, die dann die Befehlskette von oben nach unten kommunizieren, schrieb „Military.com“. Dadurch verliere das US-Militär auch nur sehr selten wichtige Generäle im Kampf. Zum letzten Mal sei das 2014 passiert, als der Generalmajor Harold Green in Afghanistan von einem Soldaten erschossen wurde. Greene war laut dem Portal auch „der ranghöchste Todesfall seit dem Vietnamkrieg 1972“.
Was erschwerend hinzukommt: Laut der Seite fehlt dem russischen Militär derzeit auch Personal in den unteren Offiziersrängen. Bedeutet: Weder kann gut ausgebildeter Nachwuchs nach oben nachrücken, noch können Aufgaben nach unten weiterverteilt werden.
Die Moral der russischen Soldaten soll schlecht sein
Gerasimov, Kolesnikov, Mityaev und Sukhovetsky waren indes wohl nicht die einzigen hochrangigen Militärs an der Front. Wie die Nachrichtenseite „Business Insider“ unter Berufung auf nicht genannte westliche Beamte schrieb, seien russische Generäle gerade nicht nur aus Tradition nahe an den Kampflinien, sondern auch, „weil die Dinge schlecht laufen. Sie müssen mehr aus nächster Nähe überwachen, weiter nach vorne gehen.“ Der Grund: eine „sehr, sehr niedrige Moral der russischen Streitkräfte.“
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Dazu wurden die Generäle vermutlich auch von Moskau gedrängt, analysierte Jeffrey Edmonds, der damalige Russland-Beauftragte im Sicherheitsrat der Obama-Regierung gegenüber „Military.com“. Ihm zufolge baue der Kreml wohl zunehmend politischen Druck auf die Militärführung auf, „Erfolge zu erzwingen“, vor allem in der ukrainischen Hauptstadt. „Sie denken eindeutig immer noch, dass sie Kiew einnehmen können und dann wird der Rest des Landes fallen“, so Edmonds.
Putin feuert Nationalgarde-Vize – wegen Benzinverschwendung?
Dass Moskau ob der ausbleibenden Erfolge in der Ukraine zunehmend ungehalten wird, wurde zuletzt öfter berichtet. Vergangene Woche behauptete der ukrainische Verteidigungsminister Oleksiy Danilov, Putin habe wegen der militärischen Verluste seines Landes während der Invasion schon bis zu acht Generäle gefeuert. Zudem sollen mindestens zwei Mitarbeiter aus allerhöchsten Kreisen des russischen Geheimdienstes FSB unter Hausarrest gestellt worden sein, hieß es bei „Bellingcat“.
Jüngstes Opfer von Putins Zorn ist Roman Gavrilov, der Vize-Chef von Putins Nationalgarde Rosgvardia. „Bellingcat“-Direktor Grozev berichtete bereits am Donnerstag, Gavrilov sei vom FSB festgenommen und weggesperrt worden. Am Freitag hieß es dann in russischen Medien, Gavrilov sei „nur“ gefeuert worden.
Die Rosgvardia meldete seit Beginn der Invasion besonders hohe Verluste, geriet immer wieder in Hinterhalte und unter ukrainischen Beschuss. Offiziell ist die Entlassung Gavrilovs bislang noch nicht begründet worden. Laut „Bellingcat“ gibt es zwei mögliche Erklärungsansätze. Demnach habe ihn die Spionageabwehr-Abteilung festgesetzt wegen „Lecks militärischer Informationen, die zum Verlust von Menschenleben führten.“ Zwei andere Quellen sollen der Plattform jedoch gesagt haben, Gavrilov habe sich der „verschwenderischen Vergeudung von Kraftstoff“ schuldig gemacht.
Obwohl schwer abzuschätzen sei, was genau die „Säuberung/Umbildung“ an der Spitze der russischen Militärs und Geheimdienste bringen wird, sei in jedem Fall klar, so Grozev: „Putin erkennt zweifellos, dass diese Operation ganz tief in der Sch*** steckt. Es ist so schlimm, dass er mitten im Rennen die Pferde wechselt – und das ist ein ganz großes Tabu im Krieg.“