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Drahtseilakt Lützerath
  • Nicht nur dieser Aktivist in Lützerath hat mit einem wackligen Seilkonstrukt zu kämpfen.
  • Foto: picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd

Der Drahtseilakt der Grünen in Lützerath

In früheren Zeiten war die Rollenverteilung klar: Die „Bewegungspartei“ der Grünen steht Seite an Seite mit anderen Protestierenden. Und das, wogegen sie demonstrieren, das haben Unions- oder SPD-geführte Regierungen zu verantworten – Atomkraft- oder Kohle-Freunde. Spätestens mit Lützerath ist das nun vorbei. Grüne Wirtschaftsministerien haben den Deal mit RWE eingefädelt. Klima-Aktivist:innen sprechen schon von der „Kohle-Partei“. Und dennoch finden sich auch immer noch grüne Parteimitglieder unter den Protestierenden.

Spagat, Zerreißprobe, Drahtseilakt – viele Vokabeln passen auf das, was die Grünen rund um das Thema Lützerath gerade erleben. Anschauliches Beispiel: Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger, einst selbst Klima-Aktivistin, die im Interview mit dem ARD-„Morgenmagazin“ ziemlich ins Straucheln kam.

Grüne Abgeordnete: „Zu einfach, immer auf uns rumzuhacken“

Sie war live aus Lützerath zugeschaltet. Wie andere Abgeordnete der Grünen vor Ort will sie sich solidarisch mit dem Protest zeigen. Als der Moderator immer wieder nachhakt („Fakt ist, das hat ein grüner Minister ausgehandelt“), kommt sie ständig ins Stocken, behilft sich mit inhaltsarmen Worthülsen. „Ich finde es immer viel zu einfach, nur auf die Grünen raufzuhauen“, sagt sie. Fakt ist aber auch: Von folgendem Satz aus dem grünen Wahlprogramm ist nicht viel geblieben: „Niemand soll mehr für einen Tagebau sein Zuhause verlassen müssen.“

Und das kommt bei den Aktivist:innen und anderen nicht gut an. Einige von ihnen dürften auch schon mal Grün gewählt haben, so sie denn schon wahlberechtigt waren. Nun schwingt vor allem Verachtung mit, wenn sie über die Grünen sprechen: „Die Rolle der Grünen ist es in diesem Moment, der Bevölkerung einen Greenwashing-Deal zu verkaufen“, sagt etwa Aktivist Florian Özcan. In Aachen und Leipzig wurden gar Scheiben von Grünen-Büros eingeschlagen. „Grüße aus Lützi“ hat jemand hingesprayt.

Parteispitze verteidigt tapfer den Kompromiss

Die Parteispitze indes verteidigt den angeblichen „Greenwashing-Deal“, also eine Vereinbarung, die nur dem Zweck dienen soll, den Energiekonzern RWE in ökologischen Fragen besser dastehen zu lassen. Ob Ricarda Lang, Omid Nouripour oder Robert Habeck – Letzterer sagt etwa immer noch, das Ganze sei „eine gute Entscheidung für den Klimaschutz“.

Die Argumentation: Fünf Dörfer seien dank des Deals gerettet worden, würden nicht für den Kohleabbau geräumt. Zudem wurde der Kohlestopp auf 2030 vorverlegt. Und: Die Berechnungen der grünen Wirtschaftsministerien im Bund und in NRW sowie die von RWE ergaben: Die Lützerath-Kohle wird wegen der aktuellen Energiekrise gebraucht.

Grüne stehen vor einer inneren Zerreißprobe

Dies bezweifelt nicht nur das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, sondern auch prominente, zumeist jüngere Grüne. Etwa die Chefin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich. Oder die deutsche Klima-Ikone Luisa Neubauer: „Ihr habt euch verrechnet“, sagt sie Richtung Parteispitze.

Waffenlieferungen in die Ukraine, Gas aus Katar – all die realpolitischen Winkelzüge schienen zumindest toleriert zu werden. Der Drahtseilakt in Lützerath könnte auch intern zur echten Zerreißprobe für die Grünen werden. Und Stimmen bei einer vermeintlichen Stammwählerschaft kosten. Immerhin: Abgeordnete wie Kathrin Henneberger stellen sich vor Ort, ducken sich nicht weg.

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Die Polizei indes kam am Donnerstag mit der Räumung zügig voran. Zahlreiche Holzhütten und Barrikaden wurden von Baggern dem Erdboden gleichgemacht, es gab relativ wenig Gegenwehr.

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