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  • Foto: picture alliance/dpa/POOL AFP

Demos, Gewalt, Hass: Warum es in Frankreich gerade an allen Ecken und Enden brennt

Paris –

Als Emmanuel Macron 2017 mit seiner neuen Partei „En Marche“ zum Marsch auf den Élysée-Palast blies, wurde er zum Liebling vieler Medien, sowohl in Frankreich als auch hierzulande. Die Hoffnung: Ein neuer, linksliberaler Weg zwischen Sozialisten und Konservativen könne das Land einen. An diesem Anspruch musste Macron fast zwangsläufig scheitern. Doch in letzter Zeit reiben sich einige verwundert die Augen, weil der Präsident neuerdings den rechten Hardliner zu geben scheint. Was ist da eigentlich los im Nachbarland?

Polizeigewalt und Rassismus: Thema seit Jahrzehnten

Manchem Frankreich-Touristen mag das schon mal aufgefallen sein: Die Polizei in Frankreich tritt seit eh und je martialischer auf als wir das hierzulande gewohnt sind. Gerade Bevölkerungsteile mit Wurzeln in den französischen Kolonien beklagen seit Jahrzehnten Polizeigewalt und Rassismus-Probleme.

Als dann im Sommer der US-Amerikaner George Floyd starb, blieben viele „Black Lives Matter“-Proteste in Frankreich nicht so friedlich wie in Deutschland. Viele fühlten sich erinnert an ähnliche Fälle im eigenen Land, etwa von Adama Traoré, der im Juli 2016 von mehreren Polizisten auf den Boden gedrückt worden war und – wie George Floyd – kurz vor seinem Tod „Ich kann nicht mehr atmen“ gerufen hatte.

Scharfe Rhetorik Macrons bei Corona und islamistischen Anschlägen

In einer Rede im Frühjahr hatte Macron erklärt, dass Frankreich sich „im Krieg“ befinde gegen das Coronavirus. Auch bei den islamistischen Anschlägen im Oktober war seine Wortwahl drastisch und der Staatschef gab sich weniger versöhnlich als bei früheren Vorkommnissen. Frankreich werde nicht klein beigeben, der Islam sei in einer Krise und Muslime müssten es aushalten, dass sich über ihren Propheten lustig gemacht werde.

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Wichtig zur Einordnung: Seit 1904 ist Frankreich ein laizistischer Staat, Kirche und Staatsapparat sind also strikt getrennt. Das steht sogar im Artikel 1 der aktuellen Verfassung – da, wo bei uns die Menschenwürde festgehalten wird. Gerade die letzten beiden Äußerungen sorgten dennoch für Spannungen mit muslimisch geprägten Staaten, vor allem der Türkei.

Sommer/Herbst: Einsetzen konservativer Minister, neues Sicherheitsgesetz

Im Juli setzte Macron plötzlich eine Reihe konservativer Minister ein, darunter Innenminister Gérald Darmanin. Der ordnete nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty die Schließung einer Moschee in einem Pariser Vorort an, die in sozialen Medien ein Video geteilt hatte, in dem der Unterricht des Lehrers kritisiert worden war, weil er Mohammed-Karrikaturen thematisiert hatte.

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Am Sonnabend arteten die Proteste gegen das geplante französische Sicherheitsgesetz teils in Gewalt aus, wie hier in Paris.

Foto:

imago images/Hans Lucas

Außerdem ist Darmanin Urheber eines Gesetzentwurfs, gegen den seit Wochen demonstriert wird – auch dieses Wochenende wieder mit teils ausufernder Gewalt. Im Kern soll der zwar Sicherheitsgefühle eines Teils der Bevölkerung und Interessen der Polizei bedienen, greift aber vor allem die Pressefreiheit an. Das Filmen von polizeilichen Maßnahmen soll verboten werden, wenn es die Beamten „gefährde“. Außerdem sollen Journalisten sich grundsätzlich vor Demonstrationen bei der Polizei akkreditieren müssen. Eine Mehrzahl der Franzosen glaubt nach Umfragen, dass Polizisten besser geschützt werden müssen und häufig Opfer von blinder Gewalt sind.

Ein Gewalt-Video und die folgenden Proteste

Kurz nach dem Bekanntwerden des Gesetzentwurfs filmte eine Überwachungskamera, wie vier Polizisten den schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler verprügelten und als „dreckigen Neger“ beschimpften. Diese Aufnahme hätte es nach dem neuen Gesetz vermutlich nicht geben dürfen.

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Seither protestieren wiederholt Tausende in Paris und anderen Großstädten gegen Polizeigewalt, Rassismus und das Sicherheitsgesetz. Den Begriff „Polizeigewalt“ diskreditierte der Präsident dieser Tage als Rhetorik von „Linksextremen“. Nach den Erfahrungen mit den Gelbwesten-Protestlern (die im Übrigen auch jetzt wieder mitmischen) und mit Macrons Wirtschaftsreformen ist die Wut auf den Präsidenten unter vielen Linken groß. Der Ex-Banker hatte zu Beginn seiner Präsidentschaft wirtschaftsliberale Gesetzes-Änderungen angeschoben wie die de facto-Abschaffung der Vermögenssteuer.

Wahltaktische Überlegungen des Präsidenten?

Doch warum hat Macron die konservative Minister-Riege eingesetzt? Warum will er Gesetze anschieben, die vor allem das Sicherheitsbedürfnis konservativer Wähler bedienen sollen? Warum die scharfe Rhetorik gegen Linksradikale und Islamisten? Französische Politologen wie Jérôme Fourquet vermuten: Wahl-Taktik! Im Frühjahr 2022 werde gewählt, so Fourquet vor einigen Tagen im Interview mit dem „Spiegel“.

Das Szenario: Die Wahl wird vermutlich wie immer knapp ausfallen. Die Linke ist zum Einen ohnehin contra Macron eingestellt wegen seiner Arbeitsmarkt-Reformen. Außerdem ist sie spätestens seit 2017 heillos zersplittert, wird vermutlich mit mehreren Kandidaten antreten. Macron geht also von einer Stichwahl gegen einen rechten Kandidaten oder Kandidatin aus. Vermutlich gegen Marine Le Pen vom rechtsradikalen „Rassemblement National“.

Fourquet beobachtet Macrons Rechtsruck schon länger, schon die Ernennung des konservativen Premierministers Edouard Philippe direkt nach seinem Wahlsieg 2017 sei ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Weil Macron gewusst habe: Die Linke liegt darnieder. Seine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik könne ohnehin von konservativer Seite kaum kritisiert werden. Und nun bereite er sich auf das Duell mit mutmaßlich Le Pen vor, indem er das letzte Feld beackere, das für rund 70 Prozent der französischen Wähler von großer Bedeutung sei, vor allem die Konservativen: die Sicherheitspolitik!

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