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  • Winfried Kretschmann (Grüne) möchte auch nach der Wahl am Sonntag Ministerpräsident in Baden-Württemberg bleiben.
  • Foto: imago images/Rüdiger Wölk

Bundestag, sechs Landtage: Das Virus und das Superwahljahr

Berlin/Stuttgart/Mainz –

Dass Corona auch den Kampf um Stimmen im Superwahljahr 2021 bestimmt, klingt zunächst erstmal nach einer ziemlichen Binsenweisheit. Schließlich hat kaum ein Ereignis der vergangenen Jahrzehnte den Alltag der Menschen derart beeinflusst. Schaut man sich aber die Äußerungen einzelner Politiker in den letzten Wochen an, so fällt doch auf: Ob Henne oder Hahn – am lautesten krähen derzeit diejenigen, die eine Wahl vor der Brust haben. Wie sehr beeinflusst also die Pandemie den Wahlkampf?

Einmal Bundestag, ganze sechsmal Landtag, und auf Kommunalebene wird auch noch gewählt. Den Anfang machen in diesem Superwahljahr die Südwest-Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 14. März. Am 6. Juni folgt dann die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Und am 26. September kommt es zum Grande Finale mit der Bundestagswahl und den Landtagen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. So denn alles pandemiebedingt stattfinden kann.

Womit wir schon beim ersten Punkt wären: Was bedeutet Pandemie ganz konkret technisch für Wahlen? Die vorgezogene in Thüringen etwa, bei der nach dem Eklat vor einem Jahr ein neues Parlament gewählt werden soll, wurde bereits verschoben, vom 25. April auf den Showdown-Termin im September.

Keine Infostände, keine Wahlkampfbühnen, kein Händeschütteln

Und sonst? Flyer verteilen am Infostand in Fußgängerzonen, Wahlkampfbühne mit Würstchen und Bier auf dem Marktplatz, Händeschütteln an Haustüren – all das wird kaum stattfinden können im Jahr 2021. Stattdessen haben die Parteitage der Grünen und der CDU oder die Wahlkämpfe im Südwesten gezeigt, wo die Reise hingeht: ins Digitale. Online-Formate noch und nöcher wird es geben, daneben vielleicht noch kontaktarme Flyer in Briefkästen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) diskutierte etwa jüngst auf der App „Clubhouse“ über das Thema „Recht oder Pflicht auf Homeoffice“.

Seine Parteikollegin Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, gehört zu denjenigen, die sich zuletzt mit am Offensivsten zum Thema Lockdown äußerten. So scherte sie etwa beim Thema Schulen und Kitas mehrfach aus, forderte Perspektiven und Stufenpläne, bot in ihrem Bundesland für die Klassenstufen 1 bis 4 Wechselunterricht an. Warum? Es könnte zumindest mit potenziellen Stimmen wählender Eltern zu tun haben.

Dreyer, Kretschmann & Co. vor Wahlen unter Druck

Muss es natürlich nicht. Aber wie man aus Hamburger Senatskreisen hört, ist unser Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nicht nur auf der Seite der vorsichtigen Lockdown-Öffner, weil er als Arzt vermutlich über Rechenmodelle und Corona-Mutanten besonders gut Bescheid weiß. Hinter vorgehaltener Hand heißt es auch, dass er natürlich nicht so unter Druck stehe wie andere Kollegen. Die Wahl in der Hansestadt liegt schließlich noch nicht so lange zurück, und die Koalition ist stabil. Da braucht’s eben auch keine Polterei.

Ansonsten waren die vergangenen Wochen nämlich vor allem diejenigen Landesfürsten zu hören, die um Wählerstimmen ringen. Manuela Schwesig (SPD) etwa verlangt schon länger regionale Differenzierungen je nach Inzidenzwert. Schließlich liegen in ihrem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern auch Kreise mit besonders niedrigen Werten.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) attackierte die Kanzlerin zuletzt in einem an die Öffentlichkeit gelangten Brief („Keine weitere Zeit verlieren!“). Und der Grüne Winfried Kretschmann brachte sich wenige Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg auch nochmal in die Schlagzeilen mit dem Zitat „Niemand kann Öffnungs-Orgien erwarten.“

Söder und Scholz präsentieren sich als mögliche Kanzler

Und auf Bundesebene? Auch da ist der Corona-Wahlkampf längst nicht mehr zu übersehen. Seit Beginn der Pandemie etwa positioniert sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) staatsmännisch als Schatten-Kanzlerkandidat, markiert den harten Hund, Zitat: „Bei uns in Bayern…“ Und dann erklärt er, was in seinem Bundesland alles besser läuft – angeblich.

Olaf Scholz (SPD) präsentierte zuletzt den Bundeshaushalt für 2020. Erstaunlicherweise machte sein Finanzministerium deutlich weniger Schulden als geplant, nämlich ganze 90 Milliarden Euro weniger. Aus dem Umfeld des Ministeriums wurde dann aber einzelnen Medien gesteckt, dass das auch mit den Verzögerungen bei den Corona-Hilfen zu tun habe. Hierfür verantwortlich: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). So setzt man sich elegant vom Koalitionspartner und Wahlkampfgegner ab.

Ungewöhnliche „Allianz“: Linke und FDP

Die Grünen indes kuscheln auffällig mit CDU-Positionen, wollen den möglichen Regierungspartner nicht verärgern. Und zu ungewöhnlichen Allianzen kommt es auch: DIe wirtschaftsliberale FDP und die ja eher einen starken Staat befürwortende Linke etwa.

Beide kritisieren unisono die Corona-Politik der Regierung: So bemängelten sie die fehlende Mitsprache des Parlaments. Auch in Pandemie-Zeiten befänden wir uns schließlich in einer Demokratie. Beide kritisierten die „einseitige“ Expertenrunde, die Schwarz-Rot berät, und forderten eine bessere Strategie zum Schutz der Pflegeheime. Besonders ungewöhnlich: Dies taten sie nicht etwa nur zufällig gleichzeitig. Nein, Christian Lindner (FDP) und Dietmar Bartsch (Linke) schrieben gar einen gemeinsamen Gastbeitrag im „Spiegel“ zu diesen Themen.

FDP und Linke in einem Boot? Als gemeinsame Koalitionsaussage wollten sie dies natürlich nicht verstanden wissen. „In diesem Wahljahr wird besonders deutlich werden, was uns alles trennt. Zum Beispiel werden wir sicherlich hart um die Zukunft unserer Wirtschaftsordnung streiten“, schrieben Bartsch und Lindner. Wahrscheinlicher dürfte ein bewusster Tabubruch sein, um in Pandemie-Zeiten als Opposition überhaupt im Gespräch zu bleiben. Und dennoch: Corona scheint die Politik-Welt gehörig durcheinander zu wirbeln.

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