Baerbock zu Gast bei „Freunden“ und „Feinden“
Paris, Brüssel, Warschau: Die ersten Reiseziele der neuen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zeigen: In erster Linie folgt sie dem üblichen Protokoll, signalisiert Kontinuität. Alles andere wäre kaum denkbar gewesen. Und dennoch wird sie ihr Amt anders führen als ihre Vorgänger. Um dies zu erkennen, musste man etwas zwischen den Zeilen lesen.
Wollte man Klischees bedienen, könnte man sagen, dass auf den Besuch Baerbocks bei den französischen „Freunden“ und denen der EU gewissermaßen der bei den „Feinden“ in Polen folgte, deren Regierung zuletzt gegen die Ampel Stimmung machte und auf Hetzplakaten Deutsche Politiker:innen neben Hitler und Goebbels abbildete. Beide Darstellungen stimmen so natürlich nicht, zumindest nicht ganz.
Baerbock: Auf die Zwischentöne kam es an
Tatsächlich gab es in Paris Zwischentöne, die Konfliktlinien zeigen. Wie sollte es anders sein? Besonders deutlich wurde dies, als ein Journalist nach den unterschiedlichen Haltungen zur Atomkraft fragte. Es sei bekannt, so Baerbock, dass Paris und Berlin in diesem Punkt unterschiedlich denken.
Frankreich setzt auf Atomkraft, gerade beim Klimaschutz, will diese als „grün“ einstufen. Deutschland geht den entgegengesetzten Weg. Und dann sagte sie noch etwas, bei dem es sich lohnte, genau hinzuhören: Dieses Thema werde auf anderen Ebenen gleichfalls besprochen. Sprich: Ihr Außenminister-Kollege Jean-Yves Le Drian, der neben ihr stand, und sie selbst, sie hätten das ohnehin nicht zu entscheiden. Brüssel einerseits und die Staatschefs andererseits sind für derlei Entscheidungen viel wichtiger. Das Treffen der beiden Außenminister demnach: Vor allem ein freundschaftliches Gute-Laune-Treffen?
Auffällig war vor allem die Inszenierung
Dafür spräche, dass Baerbock die Chance auffällig nutzte, um gute Bilder für die Presse zu erzeugen. Als ihr Auto nach dem Treffen mit Le Drian die Seine überquerte, ließ sie abrupt stoppen. Und stellte sich demonstrativ vor das Eiffelturm-Panorama. Die Presse-Apparate klickten heftig – und nach wenigen Minuten war die Sache auch schon wieder vorbei.
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Noch entscheidender war aber das Bild, wie Baerbock im Zug von Paris nach Brüssel reiste – schließlich hat sie die Klimapolitik als wichtiges außenpolitisches Ziel ausgerufen. Dass sie nach Paris und von Brüssel nach Warschau mit dem Jet reiste – geschenkt. Hauptsache, die Bilder stimmen. Abgesehen davon, dass eine 13-Stunden-Fahrt mit dem Zug nach Warschau reichlich unpraktikabel gewesen wäre.
Polen als vermeintlicher „Feind“
Gestern dann der Besuch bei den vermeintlichen „Feinden“, mit denen sie schon mal eine zumindest leichte Abneigung gegenüber China und vor allem Russland eint. Richtung beider Großmächte sandte sie Warnungen. Und kassierte dafür wiederum Kritik, in Deutschland vor allem von der Linken, für ihre „Polterpolitik“.
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Und in Polen selbst? Immerhin dritte Station, was auf symbolischer Ebene viel bedeutet. So sprach sie von einer „tiefen Freundschaft“ beider Länder. Gleichwohl auch von „Diskrepanzen“, vor allem in Sachen Flüchtlinge und Rechtsstaatlichkeit. Aber auch von einem „strategischen, geduldigen Dialog“. Konkret forderte Baerbock, an der Grenze zu Belarus humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge zuzulassen.
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Die Freundschaft der Länder indes sei „unbezahlbar“. Zuvor hatten Schmähplakate der polnischen Regierung noch späte Reparationen gefordert. Am Ende zeigte sich in den ersten Tagen eins: Eine Außenministerin ist vor allem oberste Diplomatin. Klare Haltungen muss sie qua Amt meist in Nebensätzen verstecken. (km)