Angebliche „Unterdrückung“: Experten fürchten Putin-Einmarsch in weiteres Land
Der Einmarsch in die Ukraine könnte womöglich nur der Anfang sein: Schon länger wird spekuliert, dass Wladimir Putin es nicht nur auf das „Bruderland“ südwestlich von Russland abgesehen hat. In seiner von Beobachtern beschriebenen Allmachtsfantasterei vom russischen Großreich spielen weitere Staaten eine Rolle. Die Sorge vor einem Angriff wächst derzeit besonders in einem kleinen Land, das mit Russland gar keine eigene Grenze hat.
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Der Einmarsch in die Ukraine könnte womöglich nur der Anfang sein: Schon länger wird spekuliert, dass Wladimir Putin es nicht nur auf das „Bruderland“ abgesehen hat. In seiner von Beobachtern beschriebenen Allmachtsfantasterei vom russischen Großreich spielen weitere Staaten eine Rolle. Die Sorge vor einem Angriff wächst derzeit besonders in einem kleinen Land, das mit Russland gar keine eigene Grenze hat.
Die „Begründungen“ für seinen Krieg sind mehr als fadenscheinig: International gibt es scharfe Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin und seiner „Spezialoperation“ in der Ukraine. Er wolle das Land „entnazifizieren“ und den angeblichen Genozid an russischstämmigen Menschen im Donbass stoppen, behauptet Putin.
Für nichts davon gibt es Belege: Die Ukraine wird geführt von einer demokratisch gewählten Regierung, ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj ist Jude. Unabhängigen Untersuchungen zufolge findet auch kein Völkermord im Osten der Ukraine statt. Beobachter vermuten daher, dass noch etwas ganz anderes hinter dem Angriff stecken könnte: Putins irrer Traum von der Wiederherstellung eines russischen Großreichs.
Republik Moldau fürchtet Putin
Dass der Kremlchef derartige Pläne hegt, befürchtet auch die Republik Moldau – vor allem nach jüngsten Aussagen des russischen Generalmajors Rustam Minnekaew. Der hatte am Freitag erklärt, seine Armee verstärke derzeit die Offensive im Osten und Südosten der Ukraine, um die vollständige Kontrolle über die entsprechenden Gebiete zu erhalten. Das erklärt, warum weiter heftig um das eigentlich schon komplett zerstörte Mariupol gekämpft wird – es ist die letzte Großstadt im Südosten der Ukraine, die noch nicht vollständig unter russischer Kontrolle ist. Fällt sie, kann Russland eine Landbrücke zwischen der völkerrechtswidrig annektierten Krim und dem Donbass herstellen.
Doch da soll laut Minnekaew noch nicht Schluss sein – im Gegenteil: Russland strebe die Einnahme der kompletten Südukraine bis nach Odessa und darüber hinaus an, so entstehe „ein weiterer Weg nach Transnistrien, wo es Fälle gibt, in denen russischsprachige Menschen unterdrückt werden“ sagte der General laut Übersetzung der Nachrichtenagentur Reuters.
Transnistrien – ein Land, das es gar nicht gibt
Transnistrien ist ein schmaler Landstreifen im Osten der Republik Moldau. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärte sich Moldau, das etwa so groß ist wie Nordrhein-Westfalen und hierzulande auch Moldawien genannt wird, für unabhängig. Anschließend gewannen starke nationalistische Strömungen innerhalb der Landes die Oberhand. So wurde unter anderem Russisch als Amtssprache abgeschafft – was die überwiegend russischstämmige und/oder -sprachige Bevölkerung im Landesteil Transnistrien wütend machte.
Es kam zu heftigen Spannungen, einer kurzzeitigen kriegerischen Auseinandersetzung und schließlich 1992 zur transnistrischen Unabhängigkeitserklärung. Die Region ist international jedoch nicht als eigenständiger Staat anerkannt, sondern wird als Teil Moldawiens gesehen. Beide Landesteile haben sich mit dem Status Quo eines „eingefrorenen Konflikts“ arrangiert, es gibt einen weitgehend störungsfreien Waren- und Personenverkehr.
Hilfe, auch militärischer Art, erhielt und erhält die Lokalregierung in Transnistrien aus dem Kreml, der den Konflikt damals wie heute immer wieder anheizt und das Regime in der Hauptstadt Tiraspol unterstützt und beeinflusst. Russland hat in Transnistrien auch immer noch Truppen stationiert – obwohl es selbst keine Landgrenze zu Moldawien hat, das Land wird vollständig umschlossen von Rumänien und der Ukraine.
Als Putin die Ukraine angriff, stellte Tiraspol sofort klar, dass transnistrische Truppen als Unterstützung für die russische Invasion nicht zur Verfügung stünden. Moldau nahm zudem zehntausende ukrainische Geflüchtete auf, von denen ein kleiner Teil über eine Luftbrücke nach Deutschland evakuiert wurde.
Lage in Transnistrien spitzt sich zu
Die jüngsten Aussagen Minnekaews sorgten im Land für große Beunruhigung: Die Regierung in Chinsinau bestellte noch am Wochenende den russischen Botschafter ein, um „tiefe Besorgnis“ auszudrücken. Eine Unterdrückung russischsprechender Menschen gebe es in Moldawien nicht, Minnekaews Behauptungen seien „unbegründet“, teilte das Außenministerium anschließend mit. „Während des Treffens wurde wiederholt, dass die Republik Moldau gemäß ihrer Verfassung ein neutraler Staat ist und dieses Prinzip von allen internationalen Akteuren, einschließlich der Russischen Föderation, respektiert werden muss“.
Am Montagabend spitzte sich die Lage trotzdem weiter zu: In Tiraspol wurde nach Angaben der örtlichen Behörden das Ministerium für Staatssicherheit beschossen. Auf Fotos waren eingeschlagene Scheiben und ein zertrümmerter Eingang zu sehen. Die Behörden teilten mit, dass das Gebäude mit Panzerabwehrmunition angegriffen worden sei. Verletzte gab es demnach keine.
Die Zentralregierung in Chisinau ließ verlauten, dass unklar sei, wer geschossen habe. Es handele sich aber offenkundig um eine Provokation mit dem Ziel, die Lage in Transnistrien zu destabilisieren. Auch der ukrainische Militärgeheimdienst warf den Angreifern vor, Panik schüren zu wollen. Kiew vermutet Moskau hinter der Attacke und befürchtet, dass die in Transnistrien stationierten russischen Truppen zeitnah versuchen, von dort aus die Ukraine anzugreifen. Von Tiraspol bis Odessa sind es nur rund 100 Kilometer.
Am Dienstag dann der nächste Zwischenfall: In Transnistrien wurden zwei Radiomasten gesprengt. Moskau behauptete, die aktuellen Vorgänge seien „eine Provokation mit dem Ziel, Russland noch tiefer in die Kriegshandlungen in der Region hineinzuziehen“, wie der Chef des Duma-Ausschusses für die GUS, Leonid Kalaschnikow, am Dienstag sagte.
Angriffe in Transnistrien erinnern Experten an Vorgänge im Donbass
Die aktuellen Entwicklungen und Aussagen zu Transnistrien sorgten auch deshalb für Beunruhigung, weil sie frappierende Ähnlichkeit mit Putins Kriegsrhetorik der angeblichen Unterdrückung von russischsprachigen Menschen in der Ostukraine haben. Darauf wies auch der Journalist und Ukraine-Korrespondent Denis Trubetskoy hin: „Die angeblichen ,Terrorangriffe‘ in Transnistrien erinnern sehr stark an die Ereignisse in den sogenannten Separatistenrepubliken im Donbass Mitte Februar. De facto wird dort exakt die gleiche Inszenierung betrieben. Beunruhigend, auch für Moldau“, schrieb er auf Twitter.
Die Behauptung der Russen-Unterdrückung wird von Moskau immer wieder verwendet, um militärische Aktionen gegen postsowjetische Staaten zu rechtfertigen.
Ukraine-Präsident: Wir sind „nur der Anfang“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte schon länger gewarnt, dass Angriffe auf sein Land „nur der Anfang“ seien. Am Freitag sagte er in einer Ansprache, Putin beabsichtige auch „andere Länder zu erobern“.
Selenskyjs Berater Igor Zhovkva ergänzte am Sonntag in einem Interview mit dem US-Sender NBC: „Was die Republik Moldau betrifft, ja, wir haben diese Ankündigungen russischer Beamter gehört“. Ob ein Angriff Russlands auf Moldawien realistisch sei, wurde Zhovkva gefragt. „Wer weiß? Bei Russland weiß man nie, aber … das könnte eine hohe Wahrscheinlichkeit sein“, antwortete er.
US-General: „Putin will die Macht Russlands in seiner Nachbarschaft ausbauen“
Die moldawische und ukrainische Einschätzung der drohenden Gefahr für die Republik Moldau wird von Experten geteilt. So sagte etwa Doug Lute, ehemaliger General der US-Armee und Ex-Vertreter bei der NATO, er stimme Selenskyjs Progonsen zu Putins Ambitionen zu. „Ich glaube, er würde das gerne tun. Präsident Putin würde das gerne tun. Er möchte die Macht Russlands in seiner Nachbarschaft ausbauen. Er würde gerne so etwas wie das alte russische Imperium nachbauen“, so Lute gegenüber dem US-Sender ABC.
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Auch andere Ex-Sowjetstaaten wie Estland, Lettland, Litauen und Polen warnen schon seit Jahren von russischer Aggression und fürchten einen Überfall. Alle vier Länder sind allerdings NATO-Mitglieder und könnten im Falle eines Angriffs auf Unterstützung des Verteidigungsbündnisses zählen.
Auch Lute glaubt nicht, dass Putin mit Bestrebungen, die alte Sowjetunion wiederherzustellen, erfolgreich wäre. Das läge „nicht im Rahmen“ seiner Möglichkeiten, sagte Lute zu ABC. „Hier klafft eine große Lücke zwischen seinen Zielen und seinen Mitteln.“