Von der Altenpflege in den Bundestag: Wie fühlt sich das an, Frau Moll?
Pflegenotstand, Pandemie und Impfpflichtdebatte: Keine einfachen Zeiten für Claudia Moll (SPD). Seit Anfang des Jahres ist sie die neue Pflegebeauftragte des Bundes. Die 53-Jährige aus dem Rheinland weiß, wovon sie spricht. Fast 30 Jahre lang hat sie in der Altenpflege gearbeitet, bevor sie in den Bundestag wechselte. Der MOPO hat Moll offen erzählt, wie abwertend im Bundestag mit ihr umgegangen wurde, was sie von einer allgemeinen Impfpflicht hält und warum sie „das mit dem Pflegebonus“ nicht gemacht hätte.
Pflegenotstand, Pandemie und Impfpflichtdebatte: Keine einfachen Zeiten für Claudia Moll (SPD). Seit Anfang des Jahres ist sie die neue Pflegebeauftragte des Bundes. Die 53-Jährige aus dem Rheinland weiß, wovon sie spricht. Fast 30 Jahre lang hat sie in der Altenpflege gearbeitet, bevor sie in den Bundestag wechselte. Der MOPO hat Moll offen erzählt, wie abwertend im Bundestag mit ihr umgegangen wurde, was sie von einer allgemeinen Impfpflicht hält und warum sie „das mit dem Pflegebonus“ nicht gemacht hätte.
MOPO: Frau Moll, im Bundestag sitzen fast nur Juristen und Beamte. Sie sind seit 2017 die erste Altenpflegerin. Wie fühlt sich das an?
Claudia Moll: Für mich ist das kein Problem. Aber es gibt Leute, die gehen anders damit um. Die Altenpflegerin gilt in der Gesellschaft nicht als Intellektuelle. Man hat mich anfangs gefragt, ob ich überhaupt mit den Ärzten und Juristen sprechen könnte. Dann habe ich zurückgefragt: Können die überhaupt mit mir sprechen?
Wollten Sie schon immer Politikerin werden?
Politisch interessiert war ich schon immer. Ich komme aus einer Gewerkschafterfamilie. Bei uns musste man entweder Betriebsrat oder Personalrat sein. Ich war bei einem kirchlichen Träger in der Mitarbeitervertretung und bei einem kommunalen Träger im Personalrat. Aber ich bin nicht morgens aufgewacht und habe gedacht, ich bewerbe mich mal für den Bundestag.
Wie kam schließlich der Schritt in den Bundestag?
Mir ist aufgefallen, dass die Pflege bei den meisten Bundestagswahlen kein Thema war. Wenn das kein Thema ist, dann musst du es selbst machen, habe ich gedacht. Zum anderen brauchte die SPD wieder mehr Arbeiter und ich habe gesagt: Die könnt ihr haben.
Sie sollen sich um die Anliegen der Pflegekräfte kümmern. Überall wird über den Pflegenotstand geredet. Wie beheben wir den?
Wenn ich zaubern könnte, dann wäre das morgen weg. So einfach und schnell funktioniert es aber leider nicht. Wir brauchen mehr Personal, das ist der Schlüssel. Und das fängt im Kleinen an: Wir brauchen neben Fachkräften auch Pflegehelfer und Alltagsbegleiter. Durch eine starre Fachkraftquote können Pflegehilfskräfte die Fachkräfte jetzt nicht entsprechend entlasten. Wir wollen dort den Einsatz von einem bundesweit einheitlichen und wissenschaftlich fundierten Personalbemessungsverfahren, das einen bedarfsgerechten Qualifikationsmix ermöglicht, beschleunigen und ausbauen. Wir müssen eine neue Pflegereform auf den Weg bringen. Das ist für Ende des Jahres geplant.
Wie sollen denn junge Menschen für den Pflegeberuf begeistert werden?
Wir müssen aufhören den Beruf schlecht zu reden und junge Menschen schon früh dafür begeistern. Ich kenne zum Beispiel Schulen, die übernehmen Patenschaften. Dort gehen die Schüler einmal pro Woche in eine Einrichtung und kümmern sich liebevoll um die Bewohner.
Liegt das Desinteresse nicht vor allem auch am geringen Verdienst?
Mit Sicherheit, aber nicht allein. Ich bin immer nach Tarif bezahlt worden und mir ging es nie ums Geld. Es kommt vor allem auf die Rahmenbedingungen an, wenn die sich bessern und wir mehr Personal in allen Bereichen haben, dann brechen die Auszubildenden nicht so schnell ab und mehr junge Menschen kommen in die Pflege. Das Ziel bleibt natürlich ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für die ganze Branche, bis dahin heben wir erst einmal den Pflegemindestlohn an und verpflichten Träger ab September nach Tarif zu zahlen.
Anfang 2020 haben die Menschen auf den Balkonen für die Pflegekräfte geklatscht – dann passierte nicht mehr viel. Wie empfinden das Deutschlands Pfleger?
Durch Corona ist viel liegen geblieben. Und Politik ist eben in einer Demokratie langsam, das kann ich nicht schönreden. Es ist viel passiert, aber ich habe immer das Gefühl, es kommt unten nicht an, daran müssen wir arbeiten.
Kürzlich wurde der Corona-Pflegebonus für Pflegekräfte und Klinikpersonal beschlossen. In der Altenpflege soll es für Vollzeitkräfte etwa einen einmaligen Bonus von bis zu 550 Euro geben. Nach zwei Jahren Pandemie klingen 550 Euro nach ziemlich wenig, oder?
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte jeder mehr verdient. Von mir aus hätte jeder 3000 Euro bekommen, aber man muss das Geld auch irgendwo herholen. Einmalzahlungen allein können aber Defizite im System, wie den geringen Gehältern, nicht überdecken. Wir werden mehr Geld in den Pflegekassen brauchen, um insgesamt höhere Gehälter zu ermöglichen.
Kritik gibt es auch von Branchenverbänden, weil nicht alle Mitarbeitenden, die eng mit Corona-Erkrankten zusammenarbeiten, wie Ergotherapeuten den Bonus erhalten. Warum bleiben sie außen vor?
Es ist jetzt leider so geregelt worden, das gefällt mir auch nicht. In der ersten Bonusrunde 2020 haben Kliniken eine feste Summe bekommen und konnten dann selbst auswählen, wer vor Ort Mehraufwand hatte, vom Reinigungspersonal bis zum Chefarzt. Das wurde vom DGB kritisiert, da es zu Dilemmata unter den Beschäftigten geführt hat. Jetzt geben wir etwas konkret vor, wer wie viel bekommt. Aber es ist klar, dass wir damit auch definieren, wer leer ausgeht. Genau um diese Debatte zu vermeiden, hätte ich das mit dem Pflegebonus nicht gemacht. Ich hätte das Geld in die Pflegestrukturen gesteckt, damit dort die Rahmenbedingungen besser werden. Aber es ist jetzt leider, wie es ist.
Da konnten Sie nicht mal zum Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gehen und ihn darauf hinweisen?
Man wollte die besondere Leistung in der Pandemie anerkennen, die Idee finde ich gut. Am Ende wird es aber jemanden geben, der außen vor ist. Gibt man allen mehr Geld, fühlen sich die, die bis an die Belastungsgrenze gearbeitet haben, nicht mehr besonders wertgeschätzt. Wie man es macht, macht man es falsch.
In den Kliniken fallen derzeit viele Pflegekräfte aus, weil sie sich in Isolation befinden. Die Kollegen müssen Überstunden machen. Würde eine allgemeine Impfpflicht zur Entlastung der Pflegekräfte beitragen?
Sicher, damit wir dasselbe nicht im Herbst wieder erleben. Ich habe die Schnauze voll von Corona. Klar kann man auch wenn man geimpft ist Corona bekommen, aber der Verlauf ist lange nicht so schlimm wie ohne.
Als Pflegebeauftragte kümmern Sie sich auch um die Anliegen der Pflegebedürftigen. Was sind hier die größten Stellschrauben, an denen gedreht werden muss?
Wir müssen in der ambulanten Pflege viel machen. Die meisten Menschen wollen möglichst lang zu Hause bleiben und das müssen wir ermöglichen. Pflege darf nicht arm machen, da müssen den Ländern auch ihren Teil beisteuern. Und viele wissen nicht, was ihnen zusteht. Hier braucht es niedrigschwellige Informationen, dafür werde ich mich einsetzen. Viele ältere Menschen haben etwa kein Internet und brauchen alternative Angebote.