Naturparadies Billiggemüse
  • Die Aktivistinnen Marta (rechts) und Isabel stehen am Ufer des Mar Menor. Die größte Salzwasserlagune Europas liegt im Sterben.
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„Weltuntergang”: Wie Billiggemüse für Deutschland ein Naturparadies tötet

„Wo sind die Seepferdchen geblieben?“, fragt man sich in der Region um das spanische Mar Menor. Die größte Salzwasserlagune Europas liegt im Sterben. Umweltschützer machen den Massen-Anbau von Billiggemüse dafür verantwortlich, das vor allem in Deutschland konsumiert wird.

An der Playa de los Alemanes, dem „Strand der Deutschen“, stinkt es gewaltig. Eigentlich ist es trotz des Herbstanfangs und einiger Wolken ein sehr angenehmer Abend. 25 Grad, leichte Brise. Aber dieser und auch andere Strände hier am Mar Menor, der größten Salzwasserlagune Europas im Südosten Spaniens, sind ebenso wie die Lokale drumherum fast alle menschenleer. Man sieht allenfalls den einen oder anderen Jogger. Und ins Wasser wagen sich nur ein paar Hunde. Kein Wunder: Es ist eine dunkle Brühe voller Algen. An der Oberfläche treiben unter anderem unzählige tote Quallen.

„Hier habe ich schon als Kind und auch noch bis vor wenigen Jahren im glasklaren Wasser gebadet. Man konnte wegen des hohen Salzgehalts regelrecht schweben und inmitten der Seepferdchen herrlich entspannen“, erzählt Unternehmerin Marta Añíbarro. Das circa 170 Quadratkilometer große und nur wenige Meter tiefe Mar Menor, das „Kleinere Meer“, ist vom Mittelmeer, hier das „Größere Meer“ genannt, nur durch eine schmale Sandbank getrennt. Es ist ein Naturparadies, aber ein sterbendes, wie Añíbarro treffend sagt. „Sehr traurig, mir ist hier immer zum Heulen zumute. So muss der Weltuntergang aussehen.“ Seepferdchen sehe man hier kaum noch. Die toten Algen setzen Schwefel frei. Es riecht auch nach faulem Fisch. Man muss sich beim Spaziergang oft die Nase zuhalten.

Spanien: Aktivisten beklagen hyperintensive Landwirtschaft

Wie konnte so etwas passieren? Schuld sind der Massentourismus, der wegen der Probleme jedoch derzeit stetig abnimmt, und die dichte und oft ungeregelte Bebauung. Die Hauptursache sei aber die nach einem großen Bewässerungsprojekt Mitte der 1990er Jahre hier im Anbaugebiet Campo de Cartagena in der Region Murcia betriebene hyperintensive Landwirtschaft, klagen Aktivisten, Wissenschaftler und auch die linke Zentralregierung in Madrid. Letztere hat schon einige Maßnahmen ergriffen, ihre Zuständigkeiten sind in der sogenannten Autonomen Gemeinschaft Murcia aber eingeschränkt.

Am Pranger stehen jene Betriebe, die die sehr kostengünstig angebauten Produkte wie Kopfsalat, Brokkoli, Tomaten, Paprika, Trauben und Zitronen vor allem nach Deutschland exportieren. Zuletzt wurden 730 000 Tonnen, rund 30 Prozent der Jahresexporte des Campo de Cartagena, von Deutschen gekauft. Mit größerem Abstand folgen als wichtigste Abnehmer Frankreich und Großbritannien.

Große Umweltprobleme verursacht der Anbau von Billiggemüse und -obst nicht nur in Murcia, sondern auch in anderen Regionen Spaniens – vor allem in Andalusien. Fast jeder hat Bilder vom „Plastikmeer“ in der Region Almería gesehen. Zehntausende Hektar sind dort mit Gewächshäusern aus weißen Plastikplanen bedeckt. Anders als im 600 Kilometer entfernten Mar Menor ist in Andalusien vor allem der gravierende Wassermangel ein Problem, der unter anderem das Feuchtgebiet und Naturparadies Doñana auszutrocknen droht.

Intensivanbau von Gemüse. Dabei werden Plastikfolien verwendet, die in Form von Plastiktunneln zum Einsatz kommen. dpa
Billiggemüse
Intensivanbau von Gemüse. Dabei werden Plastikfolien verwendet, die in Form von Plastiktunneln zum Einsatz kommen.

Zurück nach Murcia: Die dortigen Probleme empören nicht nur spanische Umweltschutzgruppen und Aktivisten wie die 60 Jahre alte Añíbarro, die 2019 die Initiative „Abracemos el Mar Menor“ (Umarmen wir das Mar Menor) gründete. Die ihrer Ansicht nach allzu sorglosen Einzelhändler und Konsumenten in „Alemania“ werden auch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ins Visier genommen.

Billiggemüse führt wohl zu verheerender Umweltkatastrophe

„Der massenhafte Anbau von Billiggemüse für den europäischen Markt führt im spanischen Murcia zu einer verheerenden Umweltkatastrophe, an der auch deutsche Supermarktkonzerne eine entscheidende Mitverantwortung tragen“, weil sie „auf Billig-Gemüse aus spanischen Trockengebieten setzen“, hieß es jüngst in einer Mitteilung der DUH mit der Überschrift „Billiggemüse und tote Seepferdchen“. Das sei das Ergebnis einer Umfrage in Zusammenarbeit mit der spanischen Umweltorganisation „Ecologistas en Acción“ zum Einkaufsverhalten von Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl, Rewe und Edeka.

Die von der Deutschen Presse-Agentur befragten Handelsketten beteuern unterdessen, man setze sich auch in Spanien für einen nachhaltigen Obst- und Gemüseanbau unter anderem im Bereich des Wassermanagements ein. Es gebe auch andere Maßnahmen. Bei gegebener Warenverfügbarkeit biete man zum Beispiel bevorzugt Obst und Gemüse aus Deutschland an, betonten sie.

„Bei Südfrüchten, die hauptsächlich in Ländern wie Spanien angebaut werden (wie Aprikosen und Wassermelonen) unterstützen wir aktuell Pilotprojekte, um diese aus deutschem Anbau zu beziehen“, schrieb Lidl. Aldi Süd versicherte, ein „verantwortungsbewusster Umgang mit der Umwelt und den natürlichen Ressourcen“ sei „fester Bestandteil der Unternehmenspolitik“. Das verlange man auch von den Partnern. Seit Juli 2022 beziehe man die 15 umsatzstärksten Gemüse- und Obstartikel aus Murcia ausschließlich von zertifizierten Erzeugern.

Das alles überzeugt DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner jedoch nicht. Statt auf bis zu vier Ernten im Jahr, auf Kunstdünger und Pestizide zu setzen, sollten die Supermärkte sich für die Renaturierung der Flächen einsetzen, fordert er. Das Mar Menor ersticke für den Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland. „Für künstlich bewässertes Billig-Gemüse aus einem Trockengebiet droht ein einzigartiges Ökosystem zu sterben, das seltene und gefährdete Arten wie das Langschnäuzige Seepferdchen beheimatet.“

Dass das Mar Menor mit seiner rund 73 Kilometer langen Binnenküste und auch die Tierwelt des Ökosystems ersticken, wie Müller-Kraenner sagt, das steht sicher außer Frage. Das erste größere Warnsignal gab es 2016, als das Wasser der Lagune sich im Mai über Nacht in eine „gigantische grüne Suppe“ mit sehr faulem Gestank verwandelte. „So etwas hatten wir hier nie erlebt, das hat uns die Augen geöffnet“, erzählt Isabel Rubio (72), die sich als Koordinatorin einer anderen Organisation, des „Pacto por el Mar Menor“, engagiert und gemeinsam mit Añíbarros und anderen Vereinen seit 2021 jeden Sommer die „Umarmung des Mar Menor“, eine Menschenkette mit Zehntausenden Teilnehmern, organisiert.

Die stinkende „grüne Suppe“ war Folge der schädlichen Anreicherung von Nährstoffen, die in der Landwirtschaft verwendet werden, wie Nitrate und Phosphate. Vor allem bei heftigem Regen gelangt neben Süßwasser auch viel düngerhaltiger Schlamm in das Mar Menor. Dadurch kommt es zu einer starken Vermehrung von Algen und Bakterien, die letztlich Sauerstoffmangel verursacht und den Fischen und weiteren Lebewesen die Lebensgrundlage entzieht. Dafür gibt es Quallen, immer mehr Quallen, die sich von Mikroalgen ernähren.

Hohe Temperaturen, wie sie nach Angaben des Wetterdienstes Aemet in Spanien immer öfter vorkommen, beschleunigen die Eutrophierung. Der bis dahin größte Schreck kam dann im Sommer 2019. Circa drei Tonnen toter Lagunenbewohner – vor allem kleine Fische und Krebse – wurden binnen Stunden an die Ufer angespült. Das traurige Schauspiel wiederholte sich im August 2021. Damals waren es sogar viereinhalb Tonnen verendeter Tiere, die aus dem Wasser geholt wurden.

Zentral- und Regionalregierung geben sich gegenseitig die Schuld

Während sich die linke Zentralregierung und die rechtskonservative Regionalregierung gegenseitig die Schuld zuschieben, über Zuständigkeiten streiten und unterschiedliche Lösungen bevorzugen, wird die Lage an der 170 Quadratkilometer großen Lagune schlimmer und schlimmer. Im Sommer meldete der Fischerverband des Mar Menor einen Rückgang des Fischfangs in dem Binnengewässer um 90 Prozent. „Viele Fischer haben seit einiger Zeit keinen Lohn mehr erhalten. Das ist noch nie passiert“, klagte Verbandschef José Blaya.

Doch wenn die Tragödie so viele so hart trifft, wieso ist es so schwer, entschlossen(er) zu handeln? Nun ist es nicht so, dass die Behörden tatenlos zuschauen. Das Umweltministerium in Madrid hat etwa seit dem vorigen Jahr via Justiz in die Zwangsschließung von insgesamt mehr als 8000 Hektar (von insgesamt gut 400 000 in der Region Murcia) erwirkt, die illegal bewässert worden waren. Bis 2026 will Madrid zudem insgesamt 484 Millionen Euro für Maßnahmen zur Wiederherstellung des Ökosystems zur Verfügung stellen.

Durch die Sammlung von mehr als 640 000 Unterschriften schafften es die Aktivisten, dass die Lagune vor einem Jahr als erstes Ökosystem in Europa per Parlamentsbeschluss eine eigene Rechtspersönlichkeit mit einklagbaren Rechten erhielt. „Es gibt außerdem schon viele Schutzgesetze, die aber nicht respektiert werden“, sagt Rubio.

Auf dem Spiel steht viel Geld. Nach Angaben des regionalen Agrarverbandes Proexport brachten die Ausfuhren von insgesamt 2,5 Millionen Tonnen Obst und Gemüse im vorigen Jahr mehr als drei Milliarden Euro ein. Proexport-Präsident Mariano Zapata bestreitet die Probleme nicht. Er beteuerte aber jüngst, die Krise sei weitgehend überstanden, denn man habe „mit Hilfe von Wissenschaft und Biotechnologie eine nachhaltige Umwandlung der Landwirtschaft durchgeführt, die in Europa beispiellos“ sei.

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Aktivistin Rubio, eine begeisterte Taucherin, die ihrem Hobby im Mar Menor immer noch nachgeht, kann jedoch noch keine Erfolge bescheinigen. „Wenn man taucht, sieht man nur Tausende Quallen, die es früher nicht gab.“ Von der speziellen Fauna mit Seepferdchen, Goldbrassen, Tintenfischen und Zackenbarschen, die die Lagune wegen der besonderen Konditionen früher aufgewiesen habe, sei heute praktisch „nichts mehr zu sehen“, erzählt die frühere Lehrerin.

Während die Umweltschützer und auch die Regierung in Madrid für weitere Maßnahmen für einen nachhaltigeren Anbau eintreten, die natürlich die Gewinne schmälern würden, weisen die Landwirte und die Regionalregierung eine „Kriminalisierung der Arbeiter“ zurück. Sie schlagen unter anderem die Öffnung von Kanälen zwischen Mar Menor und Mittelmeer vor, um einen Wasseraustausch zu ermöglichen. Das wiederum lehnen die Umweltschützer ab. „Das würde die Lagune nicht wirklich säubern, wenn weiterhin immer wieder Dünger hineinfließt. Und schlimmer noch: Das würde dem Ökosystem des Mar Menors, so wie wir es gekannt haben, den endgültigen Todesstoß versetzen“, sagt „Ecologistas en Acción“-Koordinator Pedro Luengo.

Añíbarro, Rubio, Luengo & Co. wollen weiterkämpfen. Trotz aller Widerstände und der geringen Unterstützung. „Oft werden wir von Restaurant-, Hotel- und Hausbesitzern angegangen, die das Problem am liebsten untern Teppich kehren würden, damit weiterhin ahnungslose Touristen kommen und die Immobilienpreise nicht weiter fallen“, erzählt Isabel Rubio. „Wir sind wenige, haben wenig Geld, weil wir keine Spenden von Unternehmen akzeptieren, die oft Greenwashing betreiben wollen, aber wir werfen nicht das Handtuch.“

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