„Ihr wollt das vermutlich nicht hören“: Neue Variante könnte Omikron bald verdrängen
Sie ist die „Schwester von Omikron“ und breitet sich rasend schnell in Dänemark aus: Vor zwei Wochen berichtete die MOPO bereits von der Corona-Variante BA.2. Damals war noch weitgehend unklar, welche Auswirkungen sie auf die Welt und den weiteren Fortgang der Pandemie haben wird. Nun gibt es neue Daten.
Wie viele kommen da noch? Die Frage nach weiteren Corona-Varianten treibt derzeit nicht nur Virolog:innen um. Denn: Wenn immer neue Mutationen auftauchen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unser Impfschutz irgendwann nicht mehr ausreicht – und dann lässt sich auch die Pandemie nicht so einfach beenden. Deshalb schauen Forschende derzeit genau hin, wenn beim Sequenzieren von Abstrichen irgendwelche Auffälligkeiten zu beobachten sind.
B.A.2 ist ein Subtyp von Omikron – aber eigentlich eine eigene Variante
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Sie ist die „Schwester von Omikron“ und breitet sich rasend schnell in Dänemark aus: Vor zwei Wochen berichtete die MOPO bereits von der Corona-Variante BA.2. Damals war noch weitgehend unklar, welche Auswirkungen sie auf die Welt und den weiteren Fortgang der Pandemie haben wird. Nun gibt es neue Daten.
Wie viele kommen da noch? Die Frage nach weiteren Corona-Varianten treibt derzeit nicht nur Virolog:innen um. Denn: Wenn immer neue Mutationen auftauchen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unser Impfschutz irgendwann nicht mehr ausreicht – und dann lässt sich auch die Pandemie nicht so einfach beenden. Deshalb schauen Forschende derzeit genau hin, wenn beim Sequenzieren von Abstrichen irgendwelche Auffälligkeiten zu beobachten sind.
B.A.2 ist ein Subtyp von Omikron – aber eigentlich eine eigene Variante
Eine solche Auffälligkeit haben Expert:innen jüngst in Dänemark festgestellt. Dort zeigen Daten, dass eine neue Corona-Variante eventuell bald zum Problem werden könnte. Sie heißt BA.2 und ist ein Subtyp der Omikron-Mutation. Wobei: Sie unterscheidet sich von Ursprungs-Omikron derart drastisch, dass man sie eigentlich als eigenständige Variante betrachten könnte.
Das bestätigte auch der US-amerikanische Naturwissenschaftler und Lehrer Ryan Hisner im Gespräch mit der MOPO. Er beschäftigt sich seit einigen Wochen intensiv mit BA.2. Die Variante sei, „zumindest was ihre Mutationen anbelangt, signifikant anders als BA.1“, so Hisner. BA.1 ist zwar offiziell auch ein Omikron-Subtyp, aber bislang die dominierende Omikron-Variante, sodass, wenn man von „Omikron“ spricht, meist BA.1 gemeint ist. Aber: „Es gibt 27 Mutationen in BA.2, über die BA.1 nicht verfügt“, konkretisiert der kanadische Evolutionsbiologe T. Ryan Gregory auf Twitter. Hisner dazu: „27 ist viel. Ich erinnere mich, als Alpha zuerst auftauchte und die Leute schockiert waren, dass es 17 Mutationen hatte.“
Daher sei es „nur eine Frage der Zeit – und vermutlich nicht viel Zeit –, bis BA.2 offiziell (…) einen eigenen griechischen Buchstaben bekommt“, ist Hisner überzeugt. Einen griechischen Namen analog zu Omikron bekäme BA.2 allerdings wenn dann von der WHO – und auch nur, wenn diese in BA.2 eine „besorgniserregende Variante (VoC)“ sieht. Die WHO hat sich bislang noch nicht dazu geäußert. Aber: Großbritannien hat BA.2 bereits als „Variante unter Beobachtung“ eingestuft, eine Vorstufe zur VoC.
B.A.2 entstand parallel zu B.A.1
Wie aber entstand BA.2? Der italienische Neurobiologe Giorgio Gilestro, der am Imperial College in London forscht, erklärt im MOPO-Interview: „BA.1 und BA.2 wurden mehr oder weniger gleichzeitig beschrieben, nur wenige Tage auseinander.“ Die erste Genom-Sequenz von BA.2 wurde am 27. November 2021 auf dem Wissenschaftsportal GISAID (Global Initiative on Sharing All Influenza Data) hochgeladen. Sie stammte aus Südafrika – genau wie die erste BA.1-Sequenz, die vier Tage zuvor registriert wurde.
Dass Viren mutieren, ist nichts Neues. Auch von SARS-CoV-2 gibt es bereits mehrere Varianten. Normalerweise entwickeln sich diese Varianten „mit einem Rhythmus von etwa zwei bis drei Mutationen pro Monat“, erklärt Gilestro. Bedeutet: Bis eine Variante so mutiert ist, dass daraus eine neue Variante entsteht, vergeht einige Zeit.
Legt man die von Gregory benannten 27 unterschiedlichen Mutationen zwischen B.A.1 und B.A.2 zugrunde, bedeutet dies, „dass es fast ein Jahr dauern würde, bis B.A.1 sich zu B.A.2 entwickelt“, so Gilestro. Da beide Subtypen aber nahezu gleichzeitig auftauchten, „können wir ausschliessen, dass sie Mutter und Tochter sind, und stattdessen als Schwestern betrachten, die mehr oder weniger gleichzeitig von einem gemeinsamen Vorfahren geboren wurden.“
Sorgte die Übertragung von Mensch zu Tier für Mutation?
Wie aber passiert so etwas? „Das ist das Szenario der umgekehrten Zoonose, bei dem ein Mensch das Virus an ein Tier weitergibt“, erklärt Gilestro. Das wäre das Gegenteil der Entstehungsgeschichte des ursprüngliche Wuhan-Virus, das vermutlich von Fledermäusen auf den Mensch übertragen wurde.
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Wenn die umgekehrte Zoonose „wirklich bei Omikron passiert ist, dann bedeutet das, dass das Risiko, dass weitere Varianten bei Tieren entstehen, real und wahrscheinlich ist“, erklärt Gilestro. „Das wäre eine massive, massive Entwicklung bei der Pandemie.“ Denn, so der Experte weiter: „Varianten, die wir von Tieren bekommen, sind potenziell viel gefährlicher als Varianten, die wir von Menschen bekommen, weil sie womöglich ganz neue Viren sein können.“
Pandemie-Modellierer J.P. Weiland kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: „Eine weite Verbreitung in einer Tierpopulation im Laufe des vergangenen Jahres“ könnte in der Tat „zwei oder mehr sehr unterschiedliche Versionen von Omikron“ hervorbringen, so der Experte auf Twitter.
„Ihr wollt das vermutlich nicht hören, aber B.A.2 ist dominierend in Dänemark geworden“
Ob B.A.2, wie Gilestro und Weiland vermuten, wirklich das Produkt einer Zoonose ist, dazu gibt es bislang noch keine finalen Daten. Sicher aber ist: In einigen Ländern hat die Variante schon jetzt B.A.1 abgelöst. Das beschreibt auch der kanadische Arzt und Medizinjournalist Dr. Brian Goldman.
Mit Blick auf aktuelle Daten der niederländischen Wissenschaftlerin Josette Schoenmakers, die sich als eine der ersten genauer mit BA.2 beschäftigte, twittert er: „Ihr wollt das vermutlich nicht hören, aber eine Omikron-Variante namens BA.2 ist zur dominierenden in Dänemark geworden. Sie verbreitet sich sehr schnell.“
Auch aus Großbritannien gibt es aktuelle Zahlen. Dort, schreibt der Informatiker Dave McNally auf Twitter, „sieht es derzeit so aus, als verdopple sich der Anteil von BA.2 alle vier Tage“. Bleibt es bei dieser Geschwindigkeit, wäre die Variante bereits Mitte Februar auch im Vereinigten Königreich die dominierende.
Wie gefährlich wird uns BA.2?
Was können wir aus all diesen Daten schließen? Wie gefährlich wird uns BA.2? Derzeit ist das noch nicht final absehbar. Aber es gibt erste Indikationen. So scheint BA.2 auch in Deutschland bereits auf dem Vormarsch zu sein, analysiert der Daten-Spezialist Mike Honey auf Twitter.
Allerdings: Länder wie etwa Dänemark und Großbritannien sequenzieren deutlich mehr Corona-Proben als Deutschland und andere Staaten. „Das ist dramatisch, um ehrlich zu sein. Genom-Überwachung ist kostengünstig und bringt einen enormen Forschungsgewinn“, klagt auch Gilestro an.
Die massive Ausbreitung innerhalb kurzer Zeit etwa in Dänemark könnte zweierlei bedeuten: „Entweder ist BA.2 ansteckender – oder es schafft es, Infizierte erneut zu infizieren“, schreibt Evolutionsbiologe Gregory auf Twitter. Sollte sich Letzteres bestätigen, „dann denke ich, dass es wahrscheinlich eine zweite Welle von Infektionen überall auslösen wird“, ist auch Hisner überzeugt.
Und wie schwer erkranken BA.2-Infizierte? Dazu gebe es „leider noch keine gesicherte Datenlage“, so Gilestro. Aber, sagt der dänische Virologe Anders Fomsgaard zur „New York Times“, bislang gebe es in seinem Land „keine großen Unterschiede bei Impfstatus, Durchbruchsinfektionen und dem Risiko einer Klinikeinweisung“ zwischen BA.1 und BA.2.
Was bedeutet BA.2 für den weiteren Verlauf der Pandemie?
Kann BA.2 zum erneuten Gamechanger in der Pandemie werden? Das ist möglich und „wirklich der kritische Punkt für mich“, sagt Gilestro. Vor allem, da nicht nur BA.2, sondern auch „andere Omikron-Varianten offenbar anderswo auftauchen. So zeigt beispielsweise die Analyse des Virusvorkommens in den Abwasserkanälen von San Diego, dass dort eine weitere Variante wächst: BA. 1. 1, eine leicht modifizierte Version von B1“, erklärt der Wissenschaftler.
Omikron sei eine rasend schnell mutierte und mutierende Variante, betont Gilestro. „Omikron überraschte die Welt: Es wurde am 23. November in Südafrika entdeckt und nach zwei Wochen war es in den meisten Ländern der Welt schon verbreitet, ohne dass die Regierungen überhaupt wussten, was los war“, so der Forscher. Er findet: „Wir können es uns nicht leisten, ein solches Risiko noch einmal einzugehen.“ Das unterstreicht auch sein Kollege Gregory auf Twitter: „Wir müssen wachsam bleiben.“