Gewalt gegen Jugendliche im Papst-Internat: „jähzornig, prügelnd und bösartig“
Das Traunsteiner Studienseminar St. Michael galt als katholische Kaderschmiede, als Papst-Internat. Der frühere Seminarist Georg Rieperdinger hat seine Zeit dort aber als eine dunkle in Erinnerung.
Als Georg Rieperdinger den ehemaligen Studiensaal in seinem alten Internat betritt, sind die Erinnerungen sofort wieder da. Alphabetisch aufgereiht hätten die Schüler dort gesessen, er entsprechend weit hinten. Dann schießen ihm die Tränen in die Augen. „Trostlosigkeit, Hilflosigkeit, Sinnlosigkeit“, an diese Gefühle erinnere er sich noch gut.
Rieperdinger war von 1978 bis 1985 Internatsschüler am Traunsteiner Studienseminar St. Michael, einem Haus, das jahrelang als katholische Kaderschmiede galt. Seinen Ruf hatte das Seminar vor allem deshalb, weil auch Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., dort einst Seminarist war.
Rieperdinger: „Speziell mein Direktor war bösartig“
„Der Blick hinter die Kulissen war alles andere als ermutigend“, sagt Rieperdinger, der sich damals gegen eine Priesterlaufbahn entschied: „Überforderte Priester mit wenig pädagogischer Ausbildung, jähzornig, prügelnd zum Teil – nicht alle – aber prügelnd zum Teil, unehrlich und speziell mein Direktor, bösartig.“

Nicht nur die Erinnerungen Rieperdingers zeigen: Das Bild der Elite-Einrichtung hat Risse bekommen. 2022 wurden erstmals Misshandlungsvorwürfe eines ehemaligen Bewohners öffentlich. Inzwischen haben sich weitere mutmaßlich Betroffene gemeldet – und das für das Studienseminar zuständige Erzbistum München und Freising hat eine Studie in Auftrag gegeben, die die Vorwürfe untersuchen und aufarbeiten soll.
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Es geht um körperliche Übergriffe, systematische, psychische Gewalt – und Fälle sexuellen Missbrauchs, um „körperliche, psychische und spirituelle Gewalt gegen minderjährige Seminaristen“, wie das Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik mitteilt, das die Untersuchung leitet. Im Fokus stehen dabei die 1960er, 70er und 80er Jahre.
Auch Berichte über sexualisierte Gewalt
Nach ersten Interviews mit Betroffenen stehen den Angaben zufolge auch „vereinzelt Berichte sexualisierter Gewalt durch Erwachsene gegen Minderjährige“ im Raum, „die im Umfeld des Studienseminars ausgeübt wurde“. Hilfe für die Opfer gab es nach ersten Erkenntnissen nicht.
„Es sind einzelne Schüler ausgewählt worden von entsprechenden Pädagogen und sind dann psychisch unter Druck gesetzt worden, körperlich gezüchtigt worden“, sagt der heutige Leiter des Studienseminars, Wolfgang Dinglreiter, in einem Interview.
„Das war ja eine Priesterschmiede.“ Ein früherer Direktor habe „den Anspruch gehabt, möglichst viele Priester rauszubringen“. Und wenn dann einer der Jungen sich dagegen entschied – und beispielsweise nicht Griechisch belegte – „dann hat er die fallenlassen“, sagt Dinglreiter. „Oder wenn jemand eine Freundin bekommen hat, dann hat der Stress bekommen, dann wurden Lügengeschichten erzählt.“
Rieperdinger erinnert sich an Demütigungen und Schläge
So erging es auch Rieperdinger. Sein damaliger Direktor habe ihn systematisch fertiggemacht, berichtet er im Interview. Es habe ab und an eine Watschn gegeben oder „massives An-den-Haaren-Ziehen“, sagt er. „Aber das war das weniger große Problem. Die Demütigungen, die Infragestellung oder das Signal: ‚Ich bin einfach von Grund auf nicht in Ordnung‘“ – all das sei noch viel schlimmer gewesen.
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Der Priester habe die Lügen verbreitet, Rieperdinger habe mit Drogen zu tun und seine damalige Freundin, die es nach Angaben des ehemaligen Seminaristen gar nicht gab, in einen Selbstmordversuch getrieben. Der mutmaßliche Grund auch hier: Rieperdinger entschied sich gegen die griechische Sprache und damit auch gegen eine Priesterlaufbahn.
Studienergebnisse im Herbst 2026
Auf die ersten Hinweise auf Misshandlungen folgten ein von der Erzdiözese München und Freising veranstalteter Gesprächsabend für ehemalige Seminaristen – und jetzt der Aufruf des Frankfurter Instituts an Betroffene, sich dort zu melden. Die Studie wird von der Erzdiözese finanziert, erste Ergebnisse sollen im Herbst 2026 vorliegen.
„Meines Wissens ist jetzt dieses Projekt das erste, das auch psychische und spirituelle Gewalt untersucht“, sagt Rieperdinger und spricht von einem „Etappenziel“.
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Warum es genau ihn so hart traf, weiß er nicht. „Ich habe später von Mitseminaristen gehört, dass die ihn mal gefragt haben, warum er denn mit einigen Buben so ungerecht umgeht. Und er hat gesagt, so wurde es mir zugetragen: ‚So ein großes Haus kann man nur führen, indem Etliche über die Klinge springen.‘“ (dpa/mp)
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