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Plakat auf einer Demo
  • Bei der Demonstration gegen Gewalt an Frauen am 29. Mai war dieses Transparent zu sehen.
  • Foto: Christophe Gateau/dpa

Gewalt gegen Frauen: Warum wird das immer schlimmer?

Während die Kriminalität in Deutschland sinkt, steigt die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen. Der statistisch gefährlichste Mann ist der eigene Ehemann oder Ex-Partner – oder auch ein Mann, dessen Avancen zurückgewiesen wurden. Der Begriff „Femizid“, der benutzt wird, wenn Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind, ist heute in vieler Munde. Trotzdem: Es passiert zu wenig, sagen Expertinnen.

Die 27-jährige Besma A. schläft auf dem Sofa, als ihr Ehemann die dreifache Mutter mit einem Kopfschuss tötet. Er habe sie beim Reinigen der Pistole versehentlich erschossen, sagt er der Polizei. Das Landgericht Göttingen wirft ihm heimtückischen Mord vor. Eine Mutter von sechs Kindern wird in Berlin auf der Straße erstochen. Tatverdächtig ist ihr Ehemann, von dem sie sich getrennt hat. Im hessischen Schwalmstadt stirbt eine 53-Jährige in einem Supermarkt, als ihr Ex-Freund vier Schüsse auf sie abfeuert. Der Mann tötet sich selbst. Sie hatte ihn wegen Körperverletzung, Nötigung und Nachstellung angezeigt. Nur drei von bundesweit mehr als 100 derartigen Tötungsdelikten jedes Jahr.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte jetzt an, Gewalt gegen Frauen strenger bestrafen und dafür auch das Strafgesetzbuch ändern zu wollen.

Die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes hält mehr staatliche Anstrengungen für überfällig. „Spanien hat schon seit 2004 ein Gesetz zum Schutz von Frauen und seit 2020 eine unabhängige Monitoringstelle, die alle frauenfeindlichen Morde registriert, auch stellvertretende Racheakte an Kindern“, sagt Yamina Lourghi, Referentin bei Terre des Femmes.

Andere EU-Staaten investieren mehr Geld im Kampf gegen Femizide

Mit einer Software werde in Spanien landesweit eine Risikobewertung vorgenommen. Wenn ein besonders hohes Risiko für die Frau vorliege, müssten Gewalttäter GPS-Armbänder tragen. Auch andere EU-Staaten haben eine Strategie und nehmen weit mehr Geld in die Hand als Deutschland, betont die Expertin.

Mit Unterzeichnung der Istanbul-Konvention des Europarates hat sich Deutschland verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen. Erschreckend: Nach den Richtlinien dieses Abkommens fehlen jedoch bundesweit knapp 15.000 Frauenhaus-Plätze.

Gewalt gegen Frauen „wird in Deutschland weggeblendet“

„Die maximale Gewalt gegen Mädchen und Frauen, die Femizide, werden in Deutschland weggeblendet, es gibt seitens des Staates nicht einmal eine Begriffsdefinition“, kritisiert Kristina Wolff, die seit 2019 Femizide dokumentiert und wissenschaftlich auswertet. Was es bräuchte: Änderungen im Strafrecht, allerdings müsse weit früher angesetzt werden, mit Schulungen zur Gewaltprävention von der Kindheit an.

Anders als für Männer ist es für Frauen eine reale Gefahr, getötet zu werden, wenn sie ihr Leben nicht mehr mit dem bisherigen Partner verbringen wollen, so ein Statement des deutschen Juristinnenbundes: „Dieser geschlechtsspezifischen Gewalt dürfen weder Justiz noch gesellschaftliches Umfeld mit Nachsicht, Verständnis oder Strafmilderungen begegnen.“

Wenn Männer in Trennungssituationen ihre frühere Partnerin töteten, wurde das bisher vor Gericht oft nur als Totschlag und nicht als Mord gewertet. Die aufgewühlte emotionale Situation des Täters wurde als strafmildernd betrachtet, sein patriarchales Besitzdenken, das der Frau kein Leben ohne ihn zugestand, dagegen nicht als strafverschärfend.

Erst seit 2015 veröffentlicht das BKA eine Statistik zur Gewalt in Partnerschaften. 2020 wurden demnach 139 Frauen sowie 30 Männer von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern getötet. Nach Auswertung von Kristina Wolff sind noch weit mehr Menschen von Femiziden betroffen, zum Beispiel von ihren Brüdern, Cousins oder von Stalkern getötete Frauen. Zudem seien sehr oft Kinder involviert. Wolff ist davon überzeugt, dass die Zahl der Femizide in Deutschland gestiegen ist.

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Der Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen, Jörg Kinzig, betont dagegen, dass umfassende Daten zu sogenannten Femiziden in Deutschland fehlen. Die wissenschaftlichen Arbeiten konzentrierten sich bisher auf sogenannte „Ehrenmorde“ sowie Tötungen in Partnerschaften. Mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen sollen in einem dreijährigen Projekt Tötungen von Frauen in untersucht werden. Keine Frage: Es ist noch ein langer Weg für Gesellschaft, Politik und Justiz. (dpa/miri)

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