„Es ist der Horror“: Ärzte berichten vom Omikron-Drama in den USA
Omikron überrollt die USA. Die Infektionszahlen steigen schwindelerregend schnell – und bringen dadurch das Gesundheitssystem stellenweise jetzt schon zum Zusammenbruch. In manchen Kliniken ist derzeit jedes einzelne Bett belegt. Ärztinnen, Ärzte und Pfleger schildern unvorstellbare Szenen.
Jon Levy, Professor an der Boston University School of Public Health, warnt auf Twitter: „Es besteht eine große Chance, dass dies die Woche ist, in der das Gesundheitssystem in den USA zusammenbricht.“
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Omikron überrollt die USA. Die Infektionszahlen steigen schwindelerregend schnell – und bringen dadurch das Gesundheitssystem stellenweise jetzt schon zum Zusammenbruch. In manchen Kliniken ist derzeit jedes einzelne Bett belegt. Ärztinnen, Ärzte und Pfleger schildern unvorstellbare Szenen.
Noch nie haben sich so viele Menschen in so kurzer Zeit mit dem Coronavirus angesteckt: Am Montag wurden in den USA knapp 1,5 Millionen Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Das ist ein neuer, trauriger Rekord. Dabei ist der bisherige Höchstwert auch noch nicht so lange her: Er wurde vor genau einer Woche registriert, lag aber um rund 313.000 Fälle niedriger.
Die Zahlen zeigen: Die USA werden derzeit von einer Infektionswelle überrollt, die alles bisher dagewesene in den Schatten stellt. Schuld daran ist Omikron. Die Virus-Mutation ist mittlerweile dominierend in den Vereinigten Staaten und macht im Schnitt 95 Prozent aller Ansteckungen aus.
Omikron: Gesundheitssystem in den USA vor dem Kollaps
Das hat krasse Auswirkungen auf das Gesundheitssystem: Auch bei den Hospitalisierungen wurde ein Negativrekord verzeichnet. Knapp 146.000 Klinikbetten landesweit waren, Stand Dienstag, mit Covid-Patienten belegt – so viele wie nie zuvor. Landesweit sind derzeit fast 78 Prozent aller Betten belegt, mancherorts schon jedes einzelne. Eng wird es auch auf den Intensivstationen: Dort sind inzwischen mehr als 80 Prozent der Betten besetzt – gut jedes dritte von Covid-Patienten.
Auch Jon Levy, Professor an der Boston University School of Public Health, warnte am Sonntag auf Twitter: „Es besteht eine große Chance, dass dies die Woche ist, in der das Gesundheitssystem in den USA zusammenbricht“.
Sorgen mache ihm allerdings, dass außer den Menschen, die selbst im Gesundheitssystem arbeiten, niemand deshalb fürchterlich beunruhigt sei, so Levy weiter.
Tatsächlich sind die meisten aktuell hospitalisierten Covid-Erkrankten in den USA auch wegen Corona im Krankenhaus, nicht mit. Das stellten mehrere Wissenschaftler auf Twitter klar, darunter der US-Physiker und Pandemie-Experte Yaneer Bar-Yam: „Wir müssen Fehlinformationen über *wegen* Corona und *mit* Corona stoppen. Wenn aktuell die Hospitalisierungen von einem konstanten Level von maximal 500 pro Tag auf 6000 steigen, sobald Omikron bei uns ankommt, dann sind 5500 von ihnen *wegen* Corona.“ Der renommierte US-Epidemiologe Eric Feigl-Ding nannte zudem konkrete Zahlen aus New York: Dort seien zuletzt etwa 57 Prozent aller hospitalisierten Covid-Patient:innen wegen ihrer Infektion in Kliniken gekommen.
Wegen Omikron: Lage in den Kliniken ist „der Horror“
Apropos Kliniken: Dort spitzt sich die Lage teils dramatisch zu. In mehreren Bundesstaaten sind Krankenhäuser buchstäblich bis auf das letzte Bett belegt – mit dramatischen Folgen nicht nur für Kranke. Die amerikanische Krebs-Ärztin Robin Schönthaler hat auf ihrer Webseite Erfahrungsberichte von Kolleginnen und Kollegen gesammelt, die an vorderster Front gegen Corona kämpfen.
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So beschreibt dort ein Notarzt aus dem Bundesstaat Massachusetts, die Lage in seiner Klinik sei „der Horror. Ich kann gar nicht genau beschreiben, wie schrecklich es ist. Die Zimmer, Flure, Wartezimmer sind alle mit Covid-Patienten gefüllt. Die Patienten sitzen stundenlang im Wartezimmer und warten darauf, untersucht zu werden, weil es nicht genügend Pflegekräfte gibt. Im Krankenhaus gibt es keine Betten. Covid-positive Patienten mit mentalen Erkrankungen bleiben tatsächlich oft die gesamten fünf Quarantänetage in der Notaufnahme. Obdachlose Patienten können nirgendwo hin, es gibt keine keine Unterkünfte, keine Hotels, keine Krankenhausbetten. Manche sitzen im Wartezimmer. Manche gehen hinaus in die Kälte. Manche haben Glück und bleiben in unseren Fluren. Wir sind ein Schiff auf einem Ozean des Chaos und der Katastrophe – ohne Rettungsboote, kein Land in Sichtweite, keine Küstenwache. So fühlt es sich an.“
Ein anderer Notarzt eines anderen Krankenhauses in Massachusetts berichtet ebenfalls von furchtbaren Zuständen: „Meine letzte Schicht in der Notaufnahme begannen wir mit acht Schwestern statt mit 14. Zwei Krankenschwestern weinten während der Arbeit und eine ging tatsächlich raus und kündigte. Wir hatten auch keine Sekretärin. Also musste ich ans Telefon gehen, selbst Blut abnehmen, Patienten transportieren. Ich habe hier Patienten, die während ihres gesamten Aufenthalts nie eine Krankenschwester gesehen haben, darunter ein Patient, der einen Schlaganfall hatte. Ich fand eine Patientin, die vier Stunden lang auf dem Flur in ihrem Kot saß. Ich komme Tag für Tag zur Arbeit und bin von den gleichen Patienten umgeben, weil das Krankenhaus randvoll ist und niemand ein Bett bekommt. (…) Es ist ein buchstäbliches Kriegsgebiet. Ich weine nach jeder Schicht. Wir sind jenseits des Ertrinkens, wir sind ertrunken. Das Kartenhaus ist zusammengebrochen.“
Auch auf Nicht-Covid-Patienten hat die Omikron-Welle dramatische Auswirkungen: „Ich bin Krebs-Chirurg und musste heute einer Frau mit Lebermetastasen sagen, dass ich sie diesen Monat nicht operieren kann, um ihre Tumore zu entfernen, weil das Krankenhaus voll ist. Sie saß in meinem Büro und schluchzte“, schreibt ein weiterer Kollege von Schönthaler.
Ein Hämatologe ergänzt: „Wir haben eine Reihe von Patienten, die alle drei Wochen Bluttransfusionen benötigen, und wir mussten letzte Woche einigen absagen, weil kein Blut da war, und einigen mussten wir diese Woche absagen, weil kein Personal da ist. Der Schock und das Entsetzen – bei uns, bei ihnen – ist einfach unerträglich.“
Jeder Fünfte in den USA hatte schon Corona
In dem Land mit 330 Millionen Einwohnern haben sich bislang mehr als 61,5 Millionen Menschen mit dem Erreger Sars-CoV-2 angesteckt. Mehr als 839.000 Infizierte starben. 62,6 Prozent der Bevölkerung gelten laut CDC als vollständig geimpft, 36,5 Prozent haben bislang eine Auffrischungsimpfung erhalten.
Immerhin eine gute Nachricht gab es: Die Zahl der Toten mit einer Corona-Infektion blieb mit 1906 am Montag vergleichsweise stabil.