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Corona in Italien: Warum es dieses Mal sogar noch schlimmer kommen könnte

Rom –

Überfüllte Krankenhäuser, überforderte Ärzte und Leichen, die in Militärkonvois abtransportiert werden müssen: Die Bilder aus Italien sorgten im Frühjahr weltweit für Entsetzen. Während das Land das Virus danach extrem gut in den Griff bekam, kehrt Corona nun mit Heftigkeit zurück – und könnte dieses Mal sogar noch schlimmer wüten. 

Der 27. März war der schlimmste Tag in der Geschichte der Corona-Pandemie in Italien: 969 Menschen starben an diesem Tag in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung – viele von ihnen allein, ohne Familienangehörige, ohne tröstende Worte oder Beistand.

Die Pandemie war damals weitgehend außer Kontrolle: Jeden Tag steckten sich Tausende Italiener neu an – am 21. März wurde mit 6557 Neuinfektionen binnen 24 Stunden der damalige Höchstwert erreicht. 

Italien war wochenlang im völligen Lockdown

Mit drastischen Maßnahmen wie einem landesweiten Lockdown samt Ausgangssperre bekam die Regierung in Rom das Virus bis Mai in den Griff. Erstaunlich: Im Sommer, als Tausende Touristen, auch aus dem Ausland, durchs Land reisten, verzeichnete Italien extrem niedrige Neuinfektionswerte. Landesweit steckten sich zum Teil weniger als 200 Menschen pro Tag neu mit dem Virus an, die Todeszahlen waren teilweise sogar nur einstellig – ein krasser Kontrast zu Ländern wie Spanien und Frankreich.

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Was hat Italien anders gemacht? Der Schock vom Frühjahr saß tief, sodass die Italiener die von der Regierung verordneten Maßnahmen ernst nahmen: Verstöße gegen die Maskenpflicht gab es kaum, es wurde strikt auf Händedesinfektion beim Betreten egal welchen Gebäudes geachtet, Abstandhalten wurde zur Selbstverständlichkeit, man schränkte seine Kontakte ein, auch illegale Parties gab es kaum. Nicht zu unterschätzen natürlich auch: Im Sommer spielte sich das Leben auch in Italien überwiegend im Freien ab.

Das zeigte bis Herbst Wirkung: Während in Deutschland bereits wieder Neuinfektionsraten von über 2500 registriert wurden, stagnierten die Zahlen in Italien bis Ende September bei 1400 bis 1600 neuen Ansteckungen pro Tag. Doch seit Anfang Oktober ist das anders: Die Neuinfektionsraten schnellen sprunghaft nach oben!

Corona in Italien: Zahlen haben sich zum Teil vervierfacht!

Wurden etwa am 5. Oktober 2257 Neuansteckungen in 24 Stunden registriert, waren es nur fünf Tage später, am 10. Oktober schon 5724 Neuinfektionen und am gestrigen Samstag sogar 10.925. 

Menschen in Italien tragen Masken

In ganz Italien gilt seit Kurzem eine verschärfte Maskenpflicht.

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Innerhalb von zehn Tagen haben sich die Zahlen also nicht verdoppelt, sondern sogar fast verfünffacht! Die Entwicklung ist dramatisch – und um ein vielfaches schlimmer als noch im Frühjahr, als der Anstieg weitaus weniger steil war. Die Regierung ist deswegen höchst beunruhigt, hat unter anderem bereits eine verschärfte Maskenpflicht in Kraft gesetzt, private Feiern sind verboten. Auch rät Rom dringend, daheim auf Abendessen und andere Treffen mit mehr als sechs Gästen aus anderen Haushalten zu verzichten. Wenn Leute zu Besuch sind, soll außerdem am besten ein Mundschutz getragen werden.

Neue Hotspots bereiten große Sorgen

Sorgen machen den Behörden aber nicht nur die noch nie da gewesenen Rekordwerte und der extrem steile Anstieg. Für Beunruhigung sorgt auch die Verlagerung des Ausbruchsgeschehens. Der im Frühjahr eingeführte Lockdown hatte unter anderem dazu geführt, dass das Virus weitgehend nur im Norden des Landes zirkulierte – nun ist der Süden zum Hotspot geworden: Seit diesem Wochenende ist unter anderem die süditalienische Region Kampanien zum von der deutschen Regierung erklärten Risikogebiet geworden. 

Masken vor dem Vesuv: In der Region Neapel spitzt sich die Corona-Lage zu.

Masken vor dem Vesuv: In der Region Neapel spitzt sich die Corona-Lage zu.

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Allein in der Provinz Neapel wurden am Freitag innerhalb von 24 Stunden 889 Neuinfektionen registriert. In ganz Kampanien liegt der R-Wert derzeit bei 1,24 – und damit weit über dem zur Eindämmung benötigten Wert von unter 1. Gut 11 Prozent aller getesteten Menschen in Kampanien waren zuletzt im Schnitt positiv. Insgesamt sind derzeit mehr als 13.000 Einwohner der Region infiziert – im Juni waren es 125.

Der Süden ist viel schlechter aufgestellt als der Norden

Das ist besonders problematisch, weil im Vergleich etwa zur reichen Lombardei – wo das Virus am heftigsten wütete – die Provinzen im Süden ärmer, strukturschwächer und medizinisch schlechter aufgestellt sind. Und wenn selbst der wirtschaftsstarke Norden mit seiner niedrigen Arbeitslosigkeit und hohen Durchschnittseinkommen von der Pandemie so krass in die Knie gezwungen wurde, will man sich auf offizieller Seite gar nicht ausmalen, was passieren könnte, wenn sich das Virus ähnlich heftig durch den Süden frisst. So warnte auch der Regionalgouverneur von Kampanien, Vincenzo De Luca, auf Facebook vor einem „Zusammenbrechen unserer Krankenhäuser.“

Betet für sein Land: Kampaniens Regionalgouverneur Vincenzo De Luca

Betet für sein Land: Kampaniens Regionalgouverneur Vincenzo De Luca

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Ähnlich ist die Situation in Apulien, ganz unten am Stiefelabsatz. Dort hat die Regionalregierung ganze Krankenhäuser leergeräumt und sie zu Corona-Kliniken erklärt, in denen nur Covid-Patienten behandelt werden sollen.

Platz hätte man nun zwar – aber leider kein medizinisches Fachpersonal: Erst kürzlich versuchten die Behörden, zusätzliche Krankenschwestern und -pfleger einzustellen. 30 Stellen schrieb man dazu aus – nur sechs konnten besetzt werden. Auch in Kampanien fehlen nach Schätzungen von Giuseppe Galano, Chef einer lokalen Anästhesisten-Vereinigung, mindestens 200 bis 300 Narkoseärzte – die man vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie dringend bräuchte.

Im Süden gibt es für viele junge Leute keine Zukunft

Das Problem: Viele junge Leute sind in den Norden abgewandert – nicht erst kürzlich, der Trend besteht schon lange. Der Grund: Es gibt kaum größere, gute Arbeitgeber im Süden. Die wichtigen Industriezweige sitzen alle im Norden: Textil, Autobau, Technologie. Im Süden leben die Menschen von Landwirtschaft und, im Sommer, vom Tourismus. Es gibt für junge Menschen mit Karriereambitionen schlicht keine Jobs.

Wer nicht in den Norden weggezogen ist, schlägt sich im Süden mit Gelegenheitsjobs durch, arbeitet für die Mafia – oder ist arbeitslos. Was wiederum dazu führt, dass viele junge Leute sich keine eigene Wohnung leisten können und auch mit Mitte 30 noch zuhause wohnen.

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Drei oder sogar vier Generationen unter einem Dach sind im Süden keine Seltenheit – schließlich fallen auch die Renten nur selten üppig aus. Beengte Wohnverhältnisse und viel Zeit zuhause – hier dürfte das Virus leichtes Spiel haben.

WHO: Süditalien ist „definitiv nicht vorbereitet“

Dass die exponentiell steigenden Zahlen in Kombination mit beengten Wohnverhältnissen und einer schlechten gesundheitlichen Ausstattung in einer Katastrophe enden könnten, davor warnt auch die WHO: Mitarbeiter Walter Ricciardi, der Rom in der Pandemie berät, sagte, dort sei man „definitiv nicht vorbereitet“ auf eine größere Corona-Welle. Sollte es im Süden eine ähnliche Situation wie im Frühjahr im Norden geben, würden „die Konsequenzen viel übler“ sein. 

Das befürchtet auch Kampaniens Regionalgouverneur De Luca. „Dramatisieren wir die Situation?“, schrieb er auf Facebook. „Nein. Wir rechnen einfach nur.“

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