• Dramatische Corona-Lage in Indien: Immer mehr Menschen sind auf medizinischen Sauerstoff angewiesen, doch der wird immer knapper.
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Corona-Drama: Indien zeigt, wie Fehlentscheidungen in der Katastrophe enden

Neu Delhi –

Anfang des Jahres machte es den Eindruck, als hätte Indien Corona hinter sich. Jetzt überrollt eine gigantische zweite Welle das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde, auf den Intensivstationen ist die Lage so dramatisch wie nie. Den Kliniken geht der Sauerstoff aus, immer mehr Menschen sterben, auch junge. Wie konnte es dazu kommen?

„Was wir momentan erleben, ist ein einziger Albtraum“, sagt Dr. Gyan Vatsa, Direktor und Mediziner am Divya-Prastha-Hospital in Neu-Delhi. „Es fühlt sich an, als wären wir im Krieg.“ Die MOPO erreicht Vatsa per Telefon, im Hintergrund schrillen die Alarmglocken der Intensivstation, auf der er und seine Kolleg:innen im Dauereinsatz um Leben kämpfen. 

Alle Kliniken in Neu Delhi sind massiv überlastet

Es ist ein Kampf, der in vielen Fällen nicht zu gewinnen ist. Neu-Delhis Ärzt:innen müssen jeden Tag entscheiden, wem sie überhaupt noch helfen können. „Wir geben unser Bestes, um diejenigen zu retten, die irgendwie eine Überlebenschance haben, meistens junge Menschen“, sagt Vatsa.

Für viele Ältere können er und seine Kolleg:innen nichts mehr tun. Sie sterben im Krankenhaus oder kommen gar nicht erst rein. Alle Kliniken in Neu-Delhi sind massiv überlastet, mitunter teilen sich Patient:innen Betten. Fernsehbilder und Fotos zeigen lange Schlangen vor den Krankenhäusern mit Menschen, die um Hilfe flehen. 

Corona-Katastrophe in Indien: Überall fehlt Sauerstoff

In den sozialen Netzwerken häufen sich ebenfalls die Hilferufe  – auch nach medizinischem Sauerstoff. Denn der fehlt landesweit, vor allem in Mega-Städten wie der Hauptstadt Neu-Delhi mit ihren fast 19 Millionen Einwohnern. „Jeden Tag ersticken Menschen, weil wir sie nicht beatmen können – und wir fürchten, dass es so weitergehen wird“, sagt Klinikdirektor Vatsa. 

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Jetzt wird der wertvolle Sauerstoff durchs ganze Land geflogen und gefahren, Videos im Netz zeigen entsprechende Laster, die von der Polizei eskortiert werden müssen. In Neu-Delhi, wo kaum medizinischer Sauerstoff hergestellt wird, kommt das lebensrettende Gas erst nach über 1000 Kilometern Fahrt an – für viele seiner Patienten zu spät, fürchtet Mediziner Vatsa. „Die Fallzahlen explodieren und wir können nur hilflos zusehen, wie immer mehr Menschen krank werden und sterben.“

Seit Tagen meldet Indien traurige, weltweite Rekorde bei den Neuinfektionen, allein gestern waren es 352.991. Offiziellen Angaben zufolge wurden 2812 Todesfälle binnen 24 Stunden registriert, doch die tatsächliche Zahl dürfte viel höher sein: Forscher:innen und Journalist:innen berichten, dass die Zahl der Einäscherungen von Covid19-Opfern in ihren Regionen um ein Vielfaches höher liegt als die Zahl der offiziell bekanntgegebenen Corona-Todesopfer.

Nach positivem Trend: Wie konnte die Lage in Indien so dramatisch werden?

Wie konnte es dazu kommen? Es war wohl die zu frühe politische Fehlannahme, man habe die Pandemie unter Kontrolle. Zusammen mit einer wachsenden Sorglosigkeit innerhalb der Bevölkerung: „Wir dachten, es wäre vorbei, wir hätten das Virus besiegt“, sagt Klinikchef Vatsa. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass das Virus in dieser Form zurückkommt und uns so hart trifft.“

Corona Indien Krematorium

Öffentliche Feuerbestattungen sind ein übliches Bestattungsritual im Hinduismus. Krematorien, wie hier in Neu-Delhi, sind schon jetzt mit der wachsenden Zahl der Corona-Toten massiv überlastet.

Foto:

imago images/ZUMA Wire

Anfang des Jahres sah es tatsächlich so aus, als sei Indien in der Pandemiebekämpfung auf dem Erfolgskurs. Premier Narendra Modi rief die größte Impfkampagne der Welt aus und die Infektionszahlen purzelten. Schon seit Mitte September hatte das Land nach einem Höhepunkt von knapp 100.000 gemeldeten Neuinfektionen einen kontinuierlichen Rückgang verzeichnet, Mitte Februar wurden dann pro Tag nur noch gut 9000 tägliche Neuinfektionen gemeldet. Die Entwicklung verblüffte Experten:innen. War sie bereits bestehender Herdenimmunität geschuldet? Dem jungen Durchschnittsalter der Bevölkerung (gerade einmal 28 Jahre)? Oder gab es vielleicht Kreuzimmunitäten durch den weit verbreiteten Kontakt mit anderen Erregern?

Indischer Premierminister will keinen landesweiten Lockdown

In jedem Fall: Indien machte sich locker, Corona-Maßnahmen wurden mehr und mehr zurückgenommen. Erst kamen Tausende zu Cricket-Spielen, dann trat Premier Modi im regionalen Wahlkampf vor Hunderttausenden auf, Schutzmasken trugen dabei die wenigsten. Kritiker warfen Modi und seiner Hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei vor, ein „Superspreader-Event“ zugelassen zu haben. Und schließlich zogen im März und April wochenlang Hunderttausende zum Pilgerfest Kumbh Mela, wo sie dicht gedrängt im Ganges badeten. Da verbreitete sich die in Indien grassierende Mutante B.1.617 bereits, die Infektionszahlen schossen in die Höhe, Anfang April gab es erstmals über 100.000 gemeldete Neuinfektionen.

Jetzt sind es dreimal so viele und Besserung ist nicht in Sicht – während das Gesundheitssystem zusammenbricht und die Mediziner:innen in immer schlimmere Situationen geraten. „Hier sterben viele Menschen, die gerade einmal 33, 34 Jahre alt sind“, sagt Klinikchef Vatsa. „Wir fühlen uns so hilflos, wie wir uns noch nie gefühlt haben in unserem Leben.“

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Auf einen landesweiten Lockdown will der Premier trotz allem verzichten, beschrieb entsprechende Maßnahmen erst vor einigen Tagen als letzte Option für die Bundesstaaten. In Städten wie Neu-Delhi herrscht hingegen Ausgangssperre. Bis die Maßnahmen Wirkung zeigen und sich die Situationen in den Krankenhäusern verbessert, werden viele Wochen vergehen, fürchtet Mediziner Vatsa. Wie das kollabierte Gesundheitssystem das überstehen soll, weiß er nicht. „Wir brauchen Hilfe von außen, sonst schaffen wir das nicht.“

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