• Die MOPO traf den FDP-Politiker und rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Volker Wissing.
  • Foto: Florian Quandt

MOPO-Interview: „Die FDP lag bei Corona häufiger richtig als die Kanzlerin“

Hamburg –

Volker Wissing (51) ist Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz und seit September 2020 Generalsekretär der Bundes-FDP. Die MOPO sprach mit ihm über die Möglichkeiten einer „Ampel“, die Corona-Politik, den Klimawandel und eine Amtszeitbegrenzung für Kanzler.  

Herr Wissing, Sie sind der „Ampelmann“ der FDP, regieren in Rheinland-Pfalz mit Grünen und SPD. Annalena Baerbock als Kanzlerin – schöne Vorstellung oder gruselt‘s Sie da?
Wir orientieren uns an unseren Inhalten und nicht an anderen Parteien und schon gar nicht an Personen anderer Parteien. Aber natürlich sind wir gesprächsbereit, was andere Parteien der demokratischen Mitte angeht.

Eine klassische Politiker-Antwort, Sie haben aber doch sicher auch eine Meinung. Wer wäre Ihnen als KanzlerInlieber: Olaf Scholz oder Baerbock?
Beide sollten zunächst einmal ihr Verhältnis zur Linkspartei klären und offen sagen, in welche Richtung ihre Politik gehen soll. Eine Präferenz habe ich für keinen der beiden. Ich kenne Olaf Scholz und auch Annalena Baerbock, die in den Jamaika-Sondierungsgesprächen 2017 mit am Verhandlungstisch saß. 

Und wie war Ihr Eindruck?
Sie ist sehr energisch und engagiert bei der Sache – so, wie wir auch. Das könnte eine spannende Gesprächsbasis sein. 

Ihr Parteichef Christian Lindner hat sich zuletzt klar für Schwarz-gelb ausgesprochen. In einem Bündnis mit Grünen und SPD sieht der die FDP hingegen in der „Rolle der Neinsager“. Sind Sie in Rheinland-Pfalz nur „Neinsager“?
Wir regieren in Rheinland-Pfalz seit fünf Jahren erfolgreich und auf Augenhöhe in einer Ampel. Natürlich gibt es unterschiedliche Themen auf Landes- und auf Bundesebene. Wenn es zum Beispiel um Steuererhöhungen geht, würden die Vorschläge von SPD und Grünen von der FDP mit einem klaren Nein beantwortet. Aber noch mal: Wir definieren uns nicht über das Verhältnis zu anderen Parteien.

Christian Lindner war lange die FDP-One-Man-Show. Zuletzt ist er aus dem Rampenlicht zurückgetreten und siehe da: Die Umfragewerte der Liberalen steigen. EinZeichen, dass Lindner als Gallionsfigur der FDP ausgedient hat?
Christian Lindner hat die FDP 2017 in den Bundestag zurückgeführt und hat sich immer gewünscht, auch andere in der Partei sichtbarer zu machen. Wir sind ein Team. Und Christian Lindner ist ein Glücksfall für die FDP.

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Volker Wissing ist seit September 2020 Generalsekretär der Bundes-FDP. 

Foto:

Florian Quandt

Der gern mal daneben liegt. Er hat früh ein Öffnungsmodell gefordert, wie es in Tübingen umgesetzt wurde und schlussendlich gescheitert ist. Von Selbstkritik ist allerdings wenig zu hören aus Ihren Reihen. Müssten Sie da nicht auch mal ehrlich sein und sagen: Wir lagen falsch?
Die größten Fehleinschätzungen in der Pandemie waren die der Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzlerin, die den Impfstoff und die benötigten Tests nicht rechtzeitig beschafft hat. Alles Dinge, die von der FDP früh gefordert und von der Bundesregierung erst spät umgesetzt wurden. Ich würde sagen: Die Trefferquote von Christian Lindner ist um ein Vielfaches höher als die der Bundeskanzlerin. 

Und was antworten Sie jetzt auf unsere Frage?
Ich glaube nach wie vor, dass ein klug gestalteter Stufenplan richtig ist.

Sie murren gern über die Kanzlerin. Was hätten Sie zuletzt anders gemacht?
Ich hätte die privaten, niedergelassenen Ärzte viel früher ins Impfen mit einbezogen. Wir haben massenweise Arztpraxen. Wir haben überall gut ausgebildetes Personal, das diese Aufgabe hätte erledigen können. Stattdessen hat man große Hallen aufgemacht, Pfeile auf den Boden geklebt und Callcenter eingerichtet. Und das brachte jede Menge Schwierigkeiten: Leute, die in der Warteschleife hingen. Menschen, die lange Wege zum Impfzentrum zurücklegen mussten, weil sie auf dem Land leben. 

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Inzwischen sind trotzdem gut ein Drittel der Deutschen erstgeimpft – über Lockerungen für diese Gruppe wird heftig gestritten. Was sollten Geimpfte jetzt wieder dürfen?
Dass wir in Deutschland über Monate über Privilegien für Geimpfte diskutieren mussten, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht beschämend. Grundrechte sind keine Privilegien. Und ob der Staat Grundrechtseingriffe zurücknimmt, steht ihm gar nicht frei. Er muss sie zurücknehmen, sobald der Grund dafür wegfällt. Wir warten seit Wochen auf die Verordnung, um Geimpften ihre Grundrechtsausübung wieder zu ermöglichen – die Regierung handelt im Schneckentempo, wo große Eile geboten ist. 

Aber was genau würden sie jetzt machen? Alles auf für Geimpfte?
Die Impfung gibt keinem den Anspruch, dass eine Gaststätte wieder öffnet, das gehört nicht zu den bürgerlichen Freiheiten. Die Frage ist aber, ob der Gasthof einen Anspruch darauf hat, für Geimpfte öffnen zu dürfen. Da sage ich, ja, warum denn nicht? Dafür brauchen wir dringend einen zuverlässigen Impfnachweis, einen digitalen Impfpass. Dass es diesen in Deutschland noch immer nicht gibt, ist schlimm, dass es ihn europaweit nicht gibt, ist eine Katastrophe. 

Gehört die Pandemie-Bekämpfung ihrer Meinung nach nicht in die Hand des Bundes?
Sie hätte spätestens im letzten Sommer in die Hand von Bundestag und Bundesrat gehört. Als zu Beginn der Pandemie die Zusammenhänge noch nicht so klar waren wie heute, hat die Bundesregierung von uns einen Vertrauensvorschuss erhalten und ist mit Sonderrechten ausgestattet worden.

Das war falsch?
Die Entscheidungen sind letztlich in die intransparenten Ministerpräsidenten-Konferenzen verlagert worden, die das Grundgesetz gar nicht vorsieht und wo die einen Candy-Crush gespielt und die anderen überlegt haben, wie sie Kanzler werden könnten. Sie hätten viel früher zurück in die Hände der Parlamente gehört, um dort transparent debattiert und beschlossen zu werden. Der Föderalismus ist ein Stück weit ausgehebelt worden. 

Nun liegen die Entscheidungen ja wieder stärker bei den Parlamenten …
Es ist aber bereits erheblicher Schaden angerichtet. Der Föderalismus ist nahezu kaputt geredet worden, nach dem Motto: „Ein Flickenteppich ist falsch”. Dabei lässt sich regional oder sogar kommunal viel zielgerichteter und verhältnismäßiger reagieren. Außerdem hat dieses pauschale Vorgehen ohne ausreichende Erklärung viele Demonstrationen à la Querdenker noch befeuert. Wenn Bundestagsabgeordnete aus Berlin in ihre Wahlkreise zurückkehren und Entscheidungen, an denen sie aktiv mitgewirkt haben, erklären und rechtfertigen, schafft das sehr viel Vertrauen. Das ist völlig unterschätzt worden. 

Stichwort „unterschätzt“: Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik ermahnt, schon jetzt mehr für den Klimaschutz zu tun. Ist das im Sinne der FDP?
Es ist ein wunderbar liberales Urteil! Es sagt letztlich, wer heute die Freiheit hat zu wirtschaften, muss die Verantwortung dafür tragen, dass diese Freiheit auch künftigen Generationen zur Verfügung steht.  

Die FDP will den Klimaschutz weitgehend dem Markt überlassen. Und das soll reichen?
Wir haben in der Pandemie gesehen, was für eine Schnecke die staatliche Planung ist. Industrie und Wirtschaft können sich sehr schnell bewegen und innovativ werden. Soll das staatliche Schneckentempo für den Klimaschutz besser sein als der Turbo der Marktwirtschaft? 

Brauchen wir auf Dauer beim Klimawandel nicht doch auch Beschränkungen in der Art, wie wir sie gerade bei Corona erleben?
Ich bin optimistisch, dass wir für die Herausforderungen technische Lösungen finden werden, die uns beim Erreichen der Ziele helfen. Auch die Corona-Impfstoffe konnten schneller entwickelt werden, als ursprünglich gedacht. Sie helfen uns aus den Einschränkungen wieder heraus.

Im September wird Angela Merkel 16 Jahre lang Kanzlerin gewesen sein. Eine Umfrage hat nun ergeben, dass gut zwei Drittel der Bundesbürger für eine Amtszeitbegrenzung sind. Sie auch?
Ja! Wir haben mit diesen langen Amtszeiten keine guten Erfahrungen gemacht. Sie führen dazu, dass unsere parlamentarische Demokratie präsidiale Züge erhält. Angela Merkel hat sich zur Präsidentin der Bundesrepublik entwickelt.

Was wäre die Vorteile einer Amtszeitbegrenzung?
Man sieht ja immer wieder, wie stark Personen die Wahl beeinflussen. Dabei müsste es wieder viel stärker um Inhalte gehen. Die Frage, ob man Frau Merkel nun gut findet oder nicht, führt letztlich in eine furchtbare Lethargie. Auch wenn es für alle anstrengender ist: die inhaltliche Auseinandersetzung belebt die Demokratie.

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