Tragödie in Gaza: Nicht so zögerlich, Herr Bundeskanzler!
Israels Premierminister Bejamin Netanjahu glaubt nicht mehr an eine Verhandlungslösung im Konflikt mit der radikalislamischen Hamas. Deshalb will er den Militäreinsatz in Gaza ausdehnen und das Gebiet wohl vollständig besetzen. Das und der akute Hunger gefährdet nicht nur die palästinensische Zivilbevölkerung, sondern auch die israelischen Hamas-Geiseln – unter beiden Gruppen befinden sich auch deutsche Staatsbürger. Der Bundeskanzler muss seinen Einfluss auf die verschiedenen Akteure besser nutzen. Auch wenn der unterm Strich nur gering ist.
Als Netanjahu im Juni das Atomprogramm des Irans angreifen ließ, konnte er in Israel über die Parteigrenzen hinweg punkten. Höchst kritisch wird allerdings sein Umgang mit dem Gazastreifen gesehen. Die Opposition übt heftige Kritik, große Teile der internationalen Gemeinschaft warnen vor einer Hungersnot und sogar zwei israelische NGOs sprachen zwischenzeitlich von „Völkermord“.
Zu Beginn war der Feldzug in Gaza völkerrechtlich okay
Um es klar zu sagen: Mindestens das erste Jahr nach dem Hamas-Terror-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 mit 1200 toten Zivilisten war der Militäreinsatz Israels in Gaza völlig durch das Völkerrecht gedeckt. Das Land hat sich gegen Terroristen verteidigt. Seine militärischen Hauptziele hat Israel in Gaza aber inzwischen erreicht: Die Führungsebene der Hamas ist komplett ausgeschaltet. Jihia Sinwar (Hamas-Chef in Gaza) starb bereits im Oktober 2024, sein Bruder und Nachfolger Mohammed im Mai.
Inzwischen lässt Israel auf internationalen Druck wieder mehr Lebensmittel nach Gaza. Inwieweit das Problem der Unterernährung in dem Küstenstreifen alleine auf Israel zurückzuführen ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Netanjahu argumentiert, es sei die Hamas, die der palästinensischen Zivilbevölkerung einen erheblichen Teil der gelieferten Nahrung mit Waffengewalt raubt. Dieses Argument klingt plausibel, teilweise ist es auch gut dokumentiert.
Teile der Regierung in Tel Aviv träumen von „Großisrael“
Genauso klar ist allerdings, dass es Teile der israelischen Regierung gibt, die von einem „Großisrael“ träumen, in dem Palästinenser keine Rolle mehr spielen sollen. Namentlich sind dabei Finanzminister Bezalel Somtrich und Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir zu nennen. Die Knesset hat kürzlich die Annexion des Westjordanlandes in einer Resolution befürwortet, und inzwischen scheint Netanjahu Ähnliches auch für den Gazastreifen nicht mehr völlig auszuschließen – selbst wenn ihm sein eigener Militärchef sogar schon von einer vollständigen Besetzung abrät.
Aber was passiert dann mit den mehr als zwei Millionen Palästinensern? Versuchen bestimmte Kräfte in Israel mit „temperierter Grausamkeit“ – in diesem Fall Hunger –, die Palästinenser dazu zu bringen, das Land früher oder später freiwillig zu verlassen? Und die internationale Gemeinschaft unter Druck zu setzen, diese auch aufzunehmen? Mit diesem Verdacht muss die israelische Regierung vorerst leben. Dass die Hamas keinen Pfifferling auf das Leben von Zivilisten gibt, ist hingegen Gewissheit.
Merz reagiert zurückhaltend auf Forderung von Promis
Es ist grundsätzlich keine Frage: Israel kämpft seit dem 7. Oktober einen (verschärften) Kampf um seine eigene Existenz. Das weiß man auch in der Bundesregierung. Die Sicherheit Israels ist zudem deutsche „Staatsraison“. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Kanzler Friedrich Merz (CDU) zunächst sehr zurückhaltend auf die Forderung von mehr als 300 prominenten Kulturschaffenden reagiert hat, keine Waffen mehr an Israel zu liefern.
Aber ist Merz’ Zurückhaltung auch richtig? Jein! So nachvollziehbar der menschliche Impuls ist, in Anbetracht der Hunger-Bilder aus Gaza einen Stopp von Waffenlieferungen zu fordern – so gefährlich wäre es womöglich auch, dem Impuls nachzugeben. Israel ist militärisch momentan nicht auf Deutschland angewiesen – andersherum gilt dies aber sehr wohl: Die Ampel hatte in Israel das Raketenabwehrsystem „Arrow 3“ bestellt, das die Bundeswehr dringend braucht, um defensive Fähigkeitslücken zu schließen.
Die Staatsraison gilt nur für das Existenzrecht Israels
Trotzdem muss der deutsche Kanzler in Anbetracht der heutigen Situation mehr tun, als eine eher symbolische Luftbrücke nach Gaza aufzubauen. Zugespitzt gesagt: Die deutsche Staatsraison gilt zwar für das Existenzrecht Israels – aber nicht für die Schaffung von „Großisrael“. Durch Netanjahus fortgesetzten Feldzug in Gaza sind zudem auch die Leben deutscher Staatsbürger akut gefährdet.
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Deshalb muss Friedrich Merz alle Hebel nutzen, um Verhandlungen näher zu kommen. Dazu gehört das Einfrieren bestimmter Wirtschaftskooperationen mit Israel ebenso wie ein möglicher Boykott von Produkten aus dem Westjordanland. Am effektivsten wäre es, auf den Politiker Druck auszuüben, der den größten Einfluss auf Netanjahu hat: US-Präsident Donald Trump. Der hat sich gerade erst erbost über den Israeli gezeigt („Solche Hungerbilder kann man nicht fälschen!“). Es wäre also einen Versuch wert, ihn für eine stärkere Mäßigung der Regierung Netanjahu zu gewinnen. Um die Hamas werden sich die arabischen Länder kümmern, die deren Herrschaft über Gaza offiziell beendet sehen wollen. Es gibt eine Chance auf Frieden. Herr Bundeskanzler, übernehmen Sie!
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