Streit ums Bürgergeld: Schluss mit der Augenwischerei!
Das Bürgergeld wird immer teurer: Im Jahr 2024 zahlte der Staat insgesamt 46,9 Milliarden Euro für entsprechende Leistungen. Das sind vier Milliarden Euro mehr als noch 2023. Die Politik ruft deshalb mal wieder nach mehr Härte im System. Doch die damit verbundenen Versprechungen sind eher Augenwischerei.
Für Kanzler Friedrich Merz (CDU) war das Bürgergeld ein wichtiges Wahlkampfthema. Die Zuwendungen seien zu hoch, sie hielten zu viele Menschen vom Arbeiten ab, so seine These. In dem System ließen sich ganz leicht sechs Milliarden Euro sparen, versprach er damals.
Aktuell tingelt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann durchs Land und erklärt, er wolle Bürgergeldempfängern, die die Arbeitsaufnahme verweigern, die staatlichen Zuwendungen komplett streichen. CSU-Chef Markus Söder sagt, er wolle allen Ukrainern das Bürgergeld streichen, sie sollen künftig nur noch Leistungen wie alle Asylbewerber erhalten.
Söders Forderung ist durchaus diskutabel
Söders Forderung ist zumindest diskutabel: Tatsächlich haben sich Union und SPD im Koalitionsvertrag bereits darauf geeinigt, neu ankommenden Ukrainern kein Bürgergeld mehr zu gewähren. Söder will das auch auf diejenigen ausweiten, die schon im Land sind. Dafür spricht, dass nur etwa ein Viertel der Ukrainer mit sicherem Aufenthaltsstatus einer bezahlten Arbeit nachgeht. In anderen Ländern mit weniger „großzügigen“ Zuwendungen liegt die Arbeitsquote deutlich höher. Und Ukrainer sind inzwischen die größte Gruppe im Bürgergeld.
In diesem Bereich ließe sich also tatsächlich Geld sparen und dem Arbeitsmarkt etwas Gutes tun. Die Forderungen Linnemanns sind aber vor allem populistische Augenwischerei: Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht ein Existenzminimum definiert, das es dem Staat verbietet, Zuwendungen komplett zu streichen. Demnach wären nur Kürzungen bis maximal 30 Prozent möglich. Linnemanns Vorstellung ist also streng genommen verfassungswidrig.
„Totalverweigerer“ sind nur 0,4 Prozent der Bezieher
Fast niemand bestreitet, dass es im Bürgergeld Sanktionsmöglichkeiten geben muss, damit das System auf Dauer funktionieren kann. Die großen Einsparungen oder gar sechs Milliarden Euro, wie sie CDU/CSU suggerieren, ließen sich mit Linnemanns Vorschlag aber sicher nicht realisieren. Die Jobcenter haben 2023 in „nur“ 16.000 Fällen Personen den Regelsatz gekürzt, weil die sich weigerten, ein Arbeits- oder Weiterbildungsangebot oder einen Ausbildungsplatz anzunehmen. Diese sogenannten Totalverweigerer machen nur etwa 0,4 Prozent der erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher aus.
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Ebenso muss inzwischen ein Fragezeichen hinter der Vorstellung gemacht werden, dass ein niedrigeres Bürgergeld mehr Menschen zum Arbeiten bewegen würde. Denn unter den offiziell 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehern sind (neben Kindern und Jugendlichen) auch viele Menschen, die suchtkrank sind oder psychische oder körperliche Erkrankungen haben. Dazu viele Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Sie finden ohnehin nur schwer sozialversicherungspflichtige Arbeit. Und in Zeiten der Wirtschaftskrise konkurrieren sie auf dem regulären Arbeitsmarkt noch stärker mit teils hochqualifizierten Menschen, die beispielsweise die Autoindustrie gerade vor die Tür setzt.
Die Union schielt auf den Sozial-Populismus der AfD
Natürlich entbinden diese Punkte den Staat nicht davon, Reformen in den Sozialsystemen anzugehen. Doch diese müssen mit Herz und Verstand erfolgen. CDU/CSU haben momentan aber vor allem Sozial-Populismus im Angebot. Offenbar denkt man im Konrad-Adenauer-Haus, man müsse der AfD etwas entgegensetzen, wenn diese den Eindruck erweckt, alle Ausländer aus den Sozialsystemen werfen zu wollen – egal, ob sie jemals Steuern und Abgaben bezahlt haben oder nicht. Aber mit Populismus wird man der AfD sicher nicht Herr. Mit nachvollziehbaren Politik-Rezepten schon eher. Doch daran mangelt es gerade.
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