Gewaltige Kraft einer Geschundenen
Mit Abgründigem kennen sich Journalisten aus. Das liegt daran, dass man beruflich von vielem hört, was Grenzen sprengt. Was aber nun der Mammut-Vergewaltigungsprozess von Avignon ans Licht brachte, zeigte auch Reporter-Profis ihr Limit auf.
Der Angeklagte Dominique Pelicot (72) hatte von 2011 bis 2020 seine Frau Gisèle (72) immer wieder heimlich mit Drogen betäubt. Dann lud er mehr als 80 fremde Männer dazu ein, seine Frau mit ihm zu missbrauchen. Die Taten filmte er, die erschütternden Bilder wurden im Gerichtssaal gezeigt. Gisèle Pelicot, die all die Jahre dachte, mit einem freundlichen Ehemann verheiratet zu sein, wollte es so, weil alle Welt das Unvorstellbare sehen sollte. Die Kinder, die all die Jahre ihren Vater für einen fürsorglichen Mann hielten, standen ihr bei.
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Und die 50 Angeklagten, viele von ihnen Bürger aus der Nachbarschaft, Feuerwehrmann, Metzger, Supermarkt-Angestellter? Ergingen sich bis zuletzt in erbärmlichsten Ausreden. Nun wurden sie alle verurteilt, zu Strafen von drei bis 20 Jahren Haft. Gisèle Pelicot wurde zur Heldin für viele Frauen. Weil sie sich weigerte, sich zu schämen, für das, was man ihr angetan hatte. Das sollten die Täter tun. Was das für ein Kraftakt ist und wie schwer es Vergewaltigungsopfer in der Öffentlichkeit haben, zeigt ein Gespräch zum Thema unter mittelalten Männern, das ich neulich mithörte. „Kann doch nicht sein, dass die die ganze Zeit davon nichts mitbekommen hat“, sagte da einer. „Die wollte das bestimmt auch.“