Dieser „Merz-Infarkt“ wird noch länger nachwirken
Ein historischer Tag im Bundestag geht zu Ende: Anders als beispielsweise Ministerpräsidenten ist ein Kanzler noch nie im ersten Wahlgang gescheitert. CDU-Chef Friedrich Merz ist das nun passiert. Er konnte erst im zweiten Wahlgang die notwendige absolute Mehrheit auf sich vereinigen. Die Umstände dieses „Merz-Infarkts“ werden die Koalition noch einige Zeit belasten.
Natürlich rätseln nun erst einmal alle: Wer waren die Abweichler? Und was waren ihre Motive? „Verdächtige“ gibt es sowohl in der Union als auch in der SPD. Gut möglich, dass einige CDU/CSU-Abgeordnete auf ein neues Amt geschielt hatten, das sie aber nicht bekommen haben, weil Merz im Kabinett stark auf Quereinsteiger setzt. Diese Gruppe wolle Merz im ersten Wahlgang womöglich einen „Denkzettel“ verpassen.
Das Vertrauen ist sicher nicht gewachsen
In der SPD sind die Partei-Linken die „Hauptverdächtigen“. Ihre momentan bekannteste Vertreterin, Parteichefin Saskia Esken, ging bei dem Machtpoker ums Kabinett leer aus. Der künftige Vize-Kanzler Lars Klingbeil hat bis auf Boris Pistorius alle wichtigen Ampel-Minister rasiert. Das hat sicherlich für einigen Unmut unter den Genossen gesorgt.
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Auch wenn diese Gruppen im zweiten Wahlgang zur Besinnung kamen und eine größere Krise (vor allem für die frische Koalition selbst) abgewendet haben, kennt der Tag doch viele Verlierer: Das Vertrauen der künftigen Koalitionspartner ineinander dürfte nicht unbedingt gewachsen sein. Und auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Verlässlichkeit der demokratischen Mitte könnte einige Kratzer erlitten haben.
Die CDU war auf die Linkspartei angewiesen
Fast unbemerkt hat dieser Tag auch die Union verändert. Denn um einen zweiten Wahlgang noch am Dienstag zu ermöglichen, war eine Zwei-Drittel-Mehrheit unter den Abgeordneten notwendig. Die Linkspartei war bereit, sich auf diesen Vorschlag einzulassen – wohl vor allem, um einen Triumph der AfD zu verhindern, die Spaß daran hat, den manchmal mühsamen demokratischen Prozess im Parlament in den sozialen Medien zu verhetzen. Der „Unvereinbarkeitsbeschluss“, den die Union eigentlich mit der Linkspartei hat, dürfte damit der Geschichte angehören.
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Auch wenn die Merz-Koalition einen klassischen Fehlstart hingelegt hat, ist doch vermutlich kein Schaden entstanden, der sich im Laufe der Zeit nicht heilen ließe: Wenn die Wirtschaft in sechs Monaten wieder brummen und sich allgemein eine Aufbruchstimmung breit machen sollte, kräht kein Hahn mehr danach, ob Merz nun im ersten oder zweiten Wahlgang ins Amt gekommen ist.
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