Der Fall Brosius-Gersdorf – ein Gau für unsere Demokratie
Aus dem generösen Verzicht der angesehenen Juristin Frauke Brosius-Gersdorf auf eine Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht muss man mehrere Lehren ziehen – allesamt sehr bittere Lehren.
- Mit ihrem unverantwortlichen Agieren und Taktieren hat die Union unsere Demokratie schwer beschädigt.
- Kanzler Friedrich Merz und erst recht Unionsfraktionschef Jens Spahn sind dermaßen führungsschwach, dass sie den politischen Amoklauf großer Teile ihrer Fraktion nicht verhindern konnten.
- Inhaltlich oder innerlich ist die viel beschworene Brandmauer zwischen CDU/CSU und der rechtsextremen AfD längst zusammengekracht.
- Die SPD läuft Gefahr im Bündnis mit dieser Union ihre eigene Glaubwürdigkeit weiter zu verspielen.
- Die Chance, dass die schwarz-rote Koalition anders als die unglückselige Ampel eine volle Legislaturperiode durchhält, wird immer geringer.
Das Statement, mit dem Frauke Brosius-Gersdorf ihren Verzicht erklärte, hat noch einmal offenbart, welch überzeugte Demokratin von Unionskräften diffamiert worden war. Sie werde sich, versprach Brosius-Gersdorf am Ende ihrer acht-Punkt-Erklärung, „weiterhin für die Werte unseres wunderbaren Grundgesetzes einsetzen.“
Rechte Kampagne gegen Brosius-Gersdorf
Lassen wir noch einmal den geradezu ungeheuerlichen Vorgang Revue passieren: Die Wahl der renommierten Juristin zu einer Richterin am Bundesverfassungsgericht war eigentlich nur noch Formsache. Die Spitzen von Union und SPD hatten sich auf sie verständigt. Dann wurde von äußerst rechten und teilweise AfD-affinen Medien und Aktivisten eine Kampagne mit unhaltbaren Vorwürfen und Verdächtigungen gegen Frauke Brosius-Gersdorf gestartet. Sie wurde als linksradikale Juristin gezeichnet. Das verfing tatsächlich, denn nun wurde ihr aus der Union unmissverständlich signalisiert, sie sei unwählbar.

Die WochenMOPO – ab Freitag neu und überall, wo es Zeitungen gibt!
Diese Woche u.a. mit diesen Themen:
– Hamburgs Gen Z: Darum ist uns Geld so wichtig
– Block-Prozess: Der tiefe Fall des Star-Anwalts
– Sieben tote Radler: Eine Spurensuche
– Wandsbek: Parks, Burgen, bestes Essen
– Große Rätselbeilage: Knobelspaß für jeden Tag
– 20 Seiten Sport: Auf diese Schuhe setzen die HSV-Profis & St. Paulis Team als großes Poster
– 20 Seiten Plan7: Pop-Star Ronan Keating kommt in den Stadtpark & Ausgeh-Tipps für jeden Tag
Dass neben Kanzler Merz im Nachhinein jetzt auf einmal auch Fraktionschef Spahn die „herabsetzende und beleidigende Kritik“ an Brosius-Gersdorf „ausdrücklich verurteilt“, dass er ihre „juristische Expertise und persönliche Integrität“ in den höchsten Tönen lobt, kann man nur als zynisch oder verlogen bezeichnen. Warum haben Merz und Spahn der Hetze gegen die Juristin nicht Einhalt geboten? Warum haben sie ihre Wahl zur Verfassungsrichterin nicht doch noch durchgesetzt? Nein, sie haben vor der Kampagne rechter Netzwerke kapituliert. Schon zu viel von dem Gift dieser Hetze war bereits in die Union eingesickert. Von der Brandmauer zur AfD soll man bitteschön gar nicht mehr reden.
Schwarz-Rot aufs Schwerste beschädigt
Frauke Brosius-Gersdorf wurde üblen politischen Intrigen geopfert. Das Amt einer Verfassungsrichterin wurde zum Spielball ideologischer oder parteilicher Rankünen. Damit hat unser politisches System schweren Schaden genommen. Denn die Unabhängigkeit der obersten Richter und Richterinnen sollte in unserer Demokratie geradezu heilig sein. Wohin so ein Angriff wie die Kampagne gegen Brosius-Gersdorf führen kann, ist derzeit in den USA zu besichtigen. Dort zertrümmert Donald Trump das Rechtssystem seines Landes, weil er Richter nach oben hievt oder diffamiert – je nach seinem persönlichen Gusto.

Mit dem Eklat um Frauke Brosius-Gersdorf wurde die schwarz-rote Koalition aufs Schwerste beschädigt. In der SPD fragen viele, wie man der Union noch trauen könne, die sich von rechtsextremen Influencern steuern lässt und Absprachen aufkündigt. Wie lange, so eine weitere Frage von Genossen, kann man mit dieser CDU/CSU überhaupt zusammengehen, wie oft soll man sich solche „Spielchen“ bieten lassen, wenn die ohnehin stark dezimierte SPD nicht die eigene Glaubwürdigkeit verlieren will.
Das könnte Sie auch interessieren: Streit ums Bürgergeld: Schluss mit der Augenwischerei!
Eine dermaßen schwerwiegende Koalitionskrise, ein solcher Vertrauensverlust so kurze Zeit nach der Wahl, das lässt für den großen Rest dieser Legislaturperiode wenig Gutes erwarten. Neue Konflikte sind schon in Sicht. Nur ein Beispiel: Das unermessliche Leid im Gaza-Streifen und unser Verhältnis zu Israel. Hier liegen Union und SPD weit auseinander.
Wer heute darauf wetten wollte, dass diese Koalition volle vier Jahre hält, muss schon tollkühn sein.
Anmerkungen oder Fehler gefunden? Schreiben Sie uns gern.