• Von Corona-Maßnahmen keine Spur: Prager spazieren vergangenen Sommer dicht an dicht über die Karlsbrücke.
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Inzidenz von 758!: Noch im Sommer feierte Tschechien den Sieg über das Virus

Prag –

Die Corona-Lage in Tschechien ist derzeit dramatisch: Die Zahl der Toten hat die Schwelle von 20.000 überschritten, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 758. Dazu verzeichnet das Land die höchste Neuinfektionsrate der EU. Um die Pandemie in den Griff zu bekommen setzt die dortige Politik nun auf russischen Impfstoff.

Innerhalb von 24 Stunden wurden 14.676 Neuinfektionen registriert. Die Gesamtzahl der jemals Infizierten lag bei mehr als 1,2 Millionen. Tschechien hat rund 10,7 Millionen Einwohner und derzeit die höchste Neuinfektionsrate unter allen EU-Staaten.

Tschechisches Gesundheitssystem am Limit

Das Gesundheitssystem ist nach Angaben der Regierung am Limit. Das Minderheitskabinett unter Ministerpräsident Andrej Babis rief erneut den Ausnahmezustand aus. Er gilt nun bis zum 28. März. Zuvor hatte das Parlament eine Verlängerung des bisherigen Notstands unter anderem aus juristischen Gründen abgelehnt.

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Um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen, greift die Regierung nun zudem zu drastischen Maßnahmen. Die Bürger dürfen ihren jeweiligen Bezirk von Montag an nur noch in Ausnahmefällen verlassen. Die Bezirke entsprechen in ihrer Größe etwa den Landkreisen in Deutschland.

„Wenn wir das nicht tun, sieht die ganze Welt ein zweites Bergamo in Tschechien“, warnte Ministerpräsident Andrej Babis nach einer Sondersitzung des Kabinetts. Im vorigen Frühjahr wütete das Coronavirus in der italienischen Provinz Bergamo.

Erlaubt bleiben Fahrten zur Arbeit, zum Arzt und zu Behörden, wenn entsprechende Nachweise erbracht werden. Spaziergänge und Sport werden nur in der eigenen Gemeinde erlaubt sein. Kontrollieren sollen das nicht nur Polizisten, sondern auch bis zu 5000 Soldaten.

Menschen reagieren verärgert auf Maßnahmen

Wie die „Tagesschau“ berichtete, gab sich Ministerpräsident Babis ungewöhnlich selbstkritisch, als er einräumte, dass seine Regierung Fehler gemacht habe: „Ich weiß, dass das Vertrauen gekostet hat. Es ist aber notwendig, dass sich die Leute wie vor einem Jahr verhalten und ihre Kontakte einschränken. Wir hoffen, dass das alle verstehen und uns noch eine letzte Chance geben“.

In Online-Kommentaren und den sozialen Medien überwog dennoch der Ärger. „Bisher habe ich alles eingehalten, aber darauf werde ich pfeifen“, schrieb ein Internet-Nutzer. „Die Regierungspolitiker sind verrückt geworden“, meinte ein anderer.

Für die schwierige Lage im Land gibt es mehrere Gründe. Einer davon sei, dass sich auch bekannte Politiker des Landes nicht an die aufgestellten Corona-Regeln halten würden, so der Korrespondent für „Sächsische.de“ Hans-Jörg Schmidt. Auch wurde im Sommer nach dem ersten harten Lockdown feuchtfröhlich der Sieg über das Virus gefeiert – mit Tausenden. Doch auch die britische und die südafrikanische Mutation sowie die Maßnahmen-Müdigkeit der Tschechen seien Gründe für die derzeit explodierenden Zahlen.

Tschechien hofft auf russischen Impfstoff

Die Politiker Tschechiens baten die EU bereits um Hilfe, so berichtete die „SZ“. Die Reaktionen folgten prompt: Frankreich schickte 100.000 Impfdosen von Pfizer Biontech, als „Leihgabe“ wie Premier Babis betonte. Deutschland bot an, Intensivpatienten aufzunehmen und Israel verschenkte 5000 Dosen Moderna-Impfstoff, der den Soldaten zugute kommen soll, die im Krankenhaus aushelfen.

Für ein wenig Luft in der derzeitigen Krise soll ebenfalls der russische Impfstoff Sputnik V sorgen. In Tschechien werden bereits die Impfstoffe von Pfizer-Biontech, Moderna und Astrazeneca verwendet. Doch angesichts der hohen Infektionszahlen wächst in der Bevölkerung die Kritik, die Impfkampagne würde viel zu langsam verlaufen. Bislang wurden in dem EU-Mitgliedstaat mit 10,7 Millionen Einwohnern 644.321 Einzeldosen verabreicht.

Der tschechische Präsident Milos Zeman erklärte am Samstag im Fernsehsender CNN Prima News, er habe sich mit einer Anfrage nach Impfstoff an Russlands Präsidenten Putin gewandt. „Wenn ich richtig informiert bin, wird diesem Wunsch nachgekommen“, sagte der 76-Jährige.

Man brauche indes noch eine Zulassung für den Impfstoff, räumte Zeman ein. Ihm selbst würde nach eigener Aussage eine Genehmigung durch die tschechische Arzneimittelbehörde SUKL „vollauf genügen“ – doch Ministerpräsident Andrej Babis äußerte erst vor kurzem, dass er erst die offizielle Freigabe durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) abwarten will. (vd/dpa)

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