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„Hochriskantes Experiment am Menschen“: Experten warnen vor Putins Corona-Impfstoff

Am Dienstag hat der russische Präsident Wladimir Putin die weltweit erste staatliche Zulassung eines Corona-Impfstoffes bekanntgegeben. Schon bald sollen Tausende Probanden geimpft werden – obwohl noch keine Ergebnisse von großen klinischen Studien zur Wirksamkeit des Impfstoffes vorliegen. Das Vorgehen wird von Experten scharf kritisiert. Auch das Bundesgesundheitsministerium ist skeptisch.

„Die Zulassung eines Impfstoffs ohne die entscheidende dritte Testreihe halte ich für ein hochriskantes Experiment am Menschen“, sagte Klaus Reinhardt der „Rheinischen Post“ laut Vorabmeldung vom Dienstag. Es dränge sich der Eindruck auf, dass es sich um eine populistische Maßnahme eines autoritär regierten Staates handele, der der Weltgemeinschaft seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit demonstrieren möchte, so Reinhardt. „Es ist unverantwortlich, ganze Bevölkerungsgruppen bereits in diesem Stadium der Entwicklung zu impfen.“

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Auch der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hat sich skeptisch gezeigt. „Ich sehe die Zulassung sehr, sehr zurückhaltend. Es gibt bislang keine publizierten Daten zu dem Impfstoff – das ist schon mal eine ganz große Schwierigkeit“, sagte Schmidt-Chanasit am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Bislang habe noch kein Wissenschaftler den Impfstoff unabhängig beurteilen können.

Wladimir Putin

Wladimir Putin bei einem Treffen im Kreml am 10. August 2020

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dpa

Der Impfstoff soll ab September industriell produziert werden

Die Zulassung des nach Wladimir Putin wirksamen Impfstoffs „Sputnik V“ gegen das Coronavirus erfolgte vor dem Vorliegen der Ergebnisse großer klinischer Studien – ein Vorgehen, das dem international üblichen Ablauf widerspricht. Erst wenige Menschen haben den Impfstoff im Rahmen einer Studie erhalten.

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Am Mittwoch soll die dritte und letzte klinische Testphase beginnen; schon in wenigen Wochen sollen dann erste Personenkreise wie etwa medizinisches Personal oder Lehrer geimpft werden. Die industrielle Produktion soll im September starten. Die russische Bevölkerung soll dann ab Januar mit dem neuen Stoff geimpft werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kündigte an, alle Daten über die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs genau zu überprüfen.

Besonders die Durchführung der sogenannten Phase III sehen Experten problematisch

Die weltweit geltenden Standards für Studien und Testungen von Impfstoffen nach Vorgaben der WHO müssten unbedingt eingehalten werden, mahnte auch Schmidt-Chansit – insbesondere wenn in der sogenannten Phase III größere Tests zur Wirkung am Menschen mit mehreren Tausend Probanden gemacht werden. „Es ist ganz wichtig, dass man auf jeden Fall einen sicheren Impfstoff einsetzt und auch weiß, wo möglicherweise Nebenwirkungen liegen“, sagte der Virologe vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin.

Video: Putin verkündet Zulassung von weltweit erstem Corona-Impfstoff

Sollte sich ein Impfstoff als weniger effektiv herausstellen, bestehe die Gefahr, dass es zu „gegenteiligen Effekten“ komme – etwa einer Impfmüdigkeit in der Bevölkerung. Dies sei zuletzt etwa bei einem Impfstoff gegen das Dengue-Fieber auf den Philippinen der Fall gewesen. „Die Bevölkerung hatte da zu Recht kein Vertrauen mehr in den Impfstoff und sich wie Versuchskaninchen gefühlt“, sagte Schmidt-Chanasit. Durch den Vertrauensverlust seien dann Impfungen insgesamt zurückgegangen – etwa gegen Polio oder Masern.

Bundesgesundheitsministerium ist skeptisch

Auch das Bundesgesundheitsministerium blickt skeptisch auf die beschleunigte Zulassung eines Coronavirus-Impfstoffes in Russland. Zwar gebe es derzeit keine Gespräche des Ministeriums mit russischen Kontakten zu deren Impfstoff-Entwicklung, sagte eine Sprecherin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Deshalb lägen dem Ressort von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) keine Informationen über Zulassungsanforderungen in Russland, den Ablauf eines solchen Verfahrens und rechtliche Rahmenbedingungen vor.

Impfstoff aus Russland

Ampullen mit einem neuen Impfstoff gegen das Coronavirus.

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Das Ministerium betont jedoch: “Die Zulassung eines Impfstoffs in Europa setzt neben dem Nachweis der pharmazeutischen Qualität, hinreichende Erkenntnisse aus klinischen Prüfungen zum Beleg von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit voraus.“ Diese Prüfung des Serums in einer großen klinischen Studie – sogenannte “Phase-III-Studien“ – will Russland erst nach der Zulassung beginnen.

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Davon distanziert sich das Bundesgesundheitsministerium: “Die Durchführung von Phase-III-Studien ist hierbei von besonderer Bedeutung“, sagte die Sprecherin dem RND. “Es muss ein positives Nutzen-Risiko Verhältnis des Impfstoffs nachgewiesen werden, bevor er in der Breite angewendet werden kann.“ In der EU gelte: “der Patientensicherheit kommt höchste Priorität zu“. (dpa)

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